Der Bombenbastler von Lörrach

Erstveröffentlicht: 
02.09.2009

Der Bombenbastler von Lörrach


Ein Neonazi hortet Chemikalien für Sprengstoff in seiner Wohnung – erst ein Hinweis von Linken enttarnt ihn

 

Von Bernd Dörries

 

Stuttgart – Viel mussten die Ermittler nicht mehr machen. Sie stiegen in ihre Autos, klingelten an der Haustür und ließen die Handschellen klicken. Sie fanden alles vor wie angekündigt: Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoff, Waffen – und den Hauptverdächtigen, den 22-jährigen Neonazi Thomas B. Alles war so, wie in der anonymen Anzeige beschrieben, die wenige Tage zuvor an die Staatsanwaltschaft geschickt worden war. „Wir sind es nicht gewohnt, von außen solche detaillierten Hinweise zu bekommen”, sagte Engelbert Brüstle, der Leiter der Lörracher Polizeidirektion.


Er hätte auch sagen können, dass im südbadischen Weil am Rhein Ende vergangener Woche ein Bombenanschlag mindestens eines Rechtsextremen verhindert wurde, von dessen Treiben die Ermittler keine Ahnung hatten. Es ist wohl der größte geplante Terroranschlag von Rechtsextremisten in den vergangenen Jahren. Ein Fall, der letztlich auch Auswirkungen auf ein mögliches NPD-Verbotsverfahren haben könnte.


Das südbadische Gebiet um Freiburg und Lörrach ist eines der wenigen in der Republik, das kaum braune Flecken kennt. Freiburg hat einen grünen Oberbürgermeister und eine ziemlich aktive autonome Szene. Vor sieben Jahren kamen 15 000 Menschen zu einer Demonstration gegen einen winzigen NPD-Aufmarsch. In diesem Sommer veröffentlichte die autonome Antifa den Namen des örtlichen NPD-Kreisvorsitzenden, der aus Angst vor Angriffen der Linken bisher nur im Geheimen tätig war. Im Internet konnte man lesen, wo John Marlon Bürgel arbeitete, wo er wohnte, wie seine Frau heißt und wie hoch sein Gehalt ist. „Wir müssen mit tätlichen Angriffen rechnen”, sagte Bürgel damals und löste den Kreisverband auf. Diesmal sind die Informationen der autonomen Antifa noch viel brisanter. Darüber, wie man die Rechtsradikalen derart präzise ausspähen konnte, macht die Gruppe keine Angaben. Es dürfte ihr aber gelungen sein, sich in den E-Mail-Verkehr der Rechten einzuschleusen. Ihre Recherche-Ergebnisse stellten die Autonomen teilweise ins Internet.


Den früheren Skinhead Thomas B. haben sie schon länger im Visier. Der 22-Jährige war wie andere Rechtsextreme in Südbaden offenbar frustriert darüber, dass man hier bisher nicht richtig Fuß fassen konnte, es mit einem aggressiven Gegner auf der linken Seite zu tun hat. Nach Jahren in der Szene schreibt B. dann aber an einen Kameraden: „Wir haben uns jetzt langsam strukturiert und gehen zum Gegenschlag über.” Er verlangt die Adressen von linken Gegnern und nimmt wohl erste Ziele ins Visier, darunter vor allem den linken Szenetreff KTS in Freiburg. Mehrmals sollen Rechtsextreme verkleidet versucht haben, das Objekt auszuspähen.


Im Zimmer von B. bei seinen Stiefeltern fand die Polizei Chemikalien, die zum Bau von Sprengstoff geeignet sind. „Aus dem Material hätte man eine fünf Kilo schwere Bombe bauen und damit mehrere Menschen töten können”, sagt Oberstaatsanwalt Otto Bürgelin. Der Besitz der Chemikalien ist nicht strafbar, der Bau einer Bombe schon. Nach Ansicht der Ermittler hätte B. dafür nur wenige Stunden gebraucht. Er hatte sich elektronische Fernzünder besorgt und Anleitungen zum Bombenbau. Außerdem fand man Pistolen, Messer, Bajonette und ein Schweizer Sturmgewehr. Eine Pistole hätte er legal besitzen dürfen, er war Mitglied im Schützenverein.

 

Vor allem aber ist B. Stützpunktleiter der Lörracher Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD. „Dies zeigt, wie kurz der Weg vom Rechtsextremismus zum Terrorismus ist”, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Stephan Braun, der sich seit Jahren mit dem Rechtsextremismus beschäftigt.


Der inhaftierte 22-Jährige schweigt zu den Vorwürfen. Die Mitglieder der autonomen Antifa glauben aber, einen intensiven Kontakt von B. zur höchsten Ebene der NPD beweisen zu können. Zum Beispiel mit der E-Mail eines NPD-Landesvorstandes: „Ich hoffe, dass wir mit euch einen fähigen Außenposten aufbauen können, von dem aus das südbadische Gebiet systematisch angegriffen wird.” Für ein NPD-Verbotsverfahren könnten solche Details hochinteressant sein. „Die Landesregierung darf sich einem neuen Verbotsverfahren nicht länger verweigern”, sagt der Sozialdemokrat Braun.


Ein Verbot der NPD war bislang daran gescheitert, dass die im Verbotsverfahren gesammelten Informationen zum großen Teil von V-Leuten stammten. Im Fall des mutmaßlichen Lörracher Bombers übernahmen Autonome die Arbeit, die eigentlich die Behörden machen sollten. Dabei hatte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) noch im März damit geprahlt, wie gut die V-Leute in Baden-Württemberg vernetzt seien, ein hervorragendes „Frühwarnsystem”.

 

Warum Verfassungsschutz und Polizei offenbar nichts von dem Bombenbauer ahnten, obwohl die Antifa bereits im März erste Hinweise auf Chemikalienverkäufe veröffentlichte, möchte Rech nicht sagen. Der Innenminister, der in den vergangenen Monaten bereits in zahlreiche Polizeipannen verwickelt war, ist im Urlaub und möchte nicht gestört werden. Genauso die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz. Nur Terroristen machen meistens keinen Urlaub.