Isolations-Haft in Bayern

Gefängnisfenster

In den letzten Wochen machte der Fall des Raimund M. Schlagzeilen, da er seit 2012 in bayrischen Gefängnissen in strenger Isolationshaft gehalten wurde.

Was ist Isolationshaft?

Hier sitzt man nicht nur in einer Einzelzelle, etwas, das viele Inhaftierte schätzen, da sie nicht auf 7 m² mit offener Klo-Schüssel im Zelleneck mit einem Mitgefangenen eingepfercht werden, sondern sie verbringen Tag und Nacht alleine. Einziger Kontakt besteht zu Wärtern, die das Essen bringen oder einen in den Hof eskortieren, um dort die einem zustehende Hofrunde (alleine) zu verbringen. Man ist also ganz auf sich alleine zurück geworfen, ohne menschliche Ansprache. Dazu kommt, dass im Rahmen der dann meist umfangreichen Sonderhaftbedingungen die Zellen besonders kärglich ausgestaltet sind. Der Besitz eigener Sachen ist vollständig oder zumindest weitestgehend verboten: Bspw. Nur ein, zwei Bücher, kein Fernseher, kein Radio (es sei denn, in der Zellenwand ist ein Zellenradio eingelassen, so wie z.b. im Isotrakt der JVA Straubing).

 

Selbst nach der eher restriktiven Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kann eine länger dauernde Isolationshaft Folter darstellen, und damit Artikel 3 der Menschenrechtskonvention verletzen.

 

 

Der Fall Raimund M.

 

Herr M. und dessen Bruder Rudi R. werden beschuldigt, im Oktober 2011 in Augsburg einen Polizisten erschossen zu haben. Nach der Festnahme Ende 2011 gerieten Rudi R. und Raimund M. in den Verdacht, im Wege einer Geiselnahme fliehen zu wollen, denn ein Insasse behauptete, von solchen Plänen erfahren zu haben.

 

Darauf hin wurden die schon bestehenden scharfen Haftbedingungen weiter verschärft und strengste Isolationshaft angeordnet.

 

Für Herrn M. besonders belastend, da er schwer an Parkinson erkrankt ist.

Die Haftbedingungen für ihn waren zu brutal, dass er mittlerweile als verhandlungsunfähig beurteilt und das Verfahren vorläufig eingestellt wurde. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 14.11.2013 („Krank durch Einzelhaft“), Raimund M. habe „optische und akustische Halluzinationen“, er durchleide eine „schwergradige depressive Episode mit psychotischen Phänomenen“. M. leide an permanenter Ermüdung und massiven Schlafstörungen.

 

Alles Symptome, die seit spätestens den 70'er Jahren als Folgen von Isolationshaft bekannt sind. Im Falle von Raimund M. wurden sie vom Sachverständigen Ralph-Michael Schulte dem Gericht vorgetragen. Der Sachverständige bemängelte, dass der schon im September vorgelegte „10-Punkte-Plan“ zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage des Angeklagten nur teilweise umgesetzt worden sei.

 

Symptomatisch für die Renitenz der Justizverwaltung: Anstatt der ärztlich vorgeschlagenen kognitiven Therapie wurde dem an Demenz, Depressionen und Parkinson leidenden Angeklagten von der Haftanstalt ein Buch „Gehirn-Jogging“ übergeben. Die erforderliche Ergänzung der Ernährung durch eine angepasste Gefängniskost, insbesondere was Proteine anbelangt, besteht laut Süddeutscher Zeitung vom 16.11.2013 in einem zusätzlichen Apfel und einem halben Liter Milch pro Tag; was nach fachlicher Ansicht des Neurologen Schulte nicht ausreichend sei.

 

Deshalb wurde am 19.11.2013 das Verfahren gegen Raimund M. abgetrennt und vorläufig eingestellt. Jedoch kam er nicht auf freien Fuß, da man nun in der JVA Stadelheim (München) mit therapeutischen Maßnahmen versuchen will, Herrn M. wieder soweit zu stabilisieren, dass er verhandlungsfähig wird.

 

Selbst der anwaltliche Vertreter der Witwe des toten Polizisten hält den Vorgang und die Isolationshaft für einen „Skandal“, wenn auch aus anderen Gründen als die Verteidigung des Angeklagten.

 

 

Weitere Fälle

 

Aktuell sitzt in Straubing im Isolationstrakt Herr D.; ihn lernte ich vor einiger Zeit in der JVA Bruchsal persönlich kennen. Ihm wird zur Last gelegt, zu den führenden Köpfen der „russischen Subkultur“ in den Gefängnissen zu gehören und wird alle paar Monate von JVA zu JVA verlegt. Erst nach Kempten, nun nach Straubing. Er verbringt nun Tag und Nacht alleine im Sicherheitstrakt der JVA Straubing.

In der bayrischen JVA gibt es mehrere solcher Trakte, extra einmal erbaut für RAF-Gefangene. Bestehend aus zwei Zellen, dazwischen eine Dusch-Zelle und jeweils zwei Räume für die persönlichen Dinge der Iso-Gefangenen. Neben der Zellentüre gibt es noch eine Schallschutztüre, die verhindern soll, sollten zwei Gefangene den Trakt belegen, sie sich durch Rufen durch den Spalt an der Zellentüre zu verständigen. Hermetische Isolierung. Ein Holzbrett an der Wand als Tischersatz und zwei Bretter als Sitzgelegenheit, dazu ein an die Wand festgeschraubtes Bett. Als Regal für die wenigen Habseligkeiten dienen in die Wand geschlagene Ablageflächen.

 

Ich hatte 1998 selbst das zweifelhafte Vergnügen, diesen Trakt persönlich kennen zu lernen.

 

Wie Herr D. berichtet, werden ihm eigentlich ärztlich erforderliche und in den vorherigen Anstalten auch gewährte Maßnahmen verweigert, eben weil er in Isolation sitze und man dort „sowas“ nicht umsetzen könne.

 

D. beruft sich auf eine Entscheidung des LG Gießen von 2007, als man ihm bescheinigte, es gebe gerade keine Anhaltspunkte dafür, dass er in die „Subkultur“ verwickelt sei. Nur neigen Haftanstalten nicht dazu, gerichtliche Feststellungen, zumal wenn sie günstig sind für Gefangene, zu beachten. Außerdem gibt es – leider – immer genügend „Zuträger“, alias Spitzel unter der Insassenschaft, die jederzeit bereit sind, alles und jedes zu behaupten, in der Hoffnung, dadurch Privilegien zu erhalten.

 

Aber Isohaft ist kein original bayrisches Phänomen; auch in anderen Bundesländern sitzen Menschen in Isolation; so im baden-württembergischen Schwäbisch-Gmünd. In der dortigen Frauen-Haftanstalt sitzt seit mehreren Jahren Carmen F. in Einzelhaft.

 

Jedoch kann sie nun mit Entlassung, nicht nur aus der Isolation, sondern sogar aus der Haft rechnen. Denn sie sitzt seit 2009 in Sicherungsverwahrung, und zwar wurde diese nachträglich angeordnet. Etwas, das eigentlich nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte unzulässig ist. Nach einem Anwaltswechsel, mittlerweile vertritt sie der renommierte Münchner Anwalt Ahmed, u.a. spezialisiert auf das Recht der Sicherungsverwahrung, ordnete das Landgericht Ellwangen ihre Freilassung an. Die die Staatsanwaltschaft jedoch in Beschwerde ging, liegt die Sache nun beim Oberlandesgericht Stuttgart zur weiteren Prüfung.

 

Über den rund 18 Jahre in Isohaft gehaltenen Peter W. hatte ich mehrfach berichtet; zwischenzeitlich befindet er sich seit einigen Monaten nicht mehr in strenger Isolierung, sondern im Sicherheitstrakt der JVA Rosdorf, wo er Sicherungsverwahrung verbüßt und zumindest die Gelegenheit hat, andere Sicherungsverwahrte zu sprechen.

 

Auch in Freiburg, wo ich zur Zeit einsitze, gibt es immer Gefangene und Verwahrte, die in Einzelhaft gehalten werden. Für den Isolationstrakt im 3. Flügel fand man den treffenden Spitznamen „Gaza-Streifen“. Es gibt einen etwas „gelockerten“ Bereich, dieser ist am Eingang des Flügels, und den hochgesicherten Trakt, hinter einer Panzerglasscheibe. Dort wird dann besonders streng, teilweise über Jahre die Isolationshaft vollstreckt. Selbst die wenigen Meter zur Knastdusche legt man dort gefesselt zurück.

 

 

Ausblick und Bewertung

 

Offizielle Stellen weisen stets und ausnahmslos jegliche Kritik zurück, so auch im Falle von Raimund M. Die Justizverwaltung habe stets alles richtig gemacht.

Selbstkritik ist diesen Personen wesensfremd. Es gab immer Isolationshaft und es wird sie, trotz aller Kritik aus der Fachwelt und auch politischer Kritik daran, immer geben. Ist sie doch ein recht praktisches Machtinstrument; wie ein Damoklesschwert hängt das Wissen um die Isotrakte über den Köpfen der Inhaftierten. Sie können sich nie sicher sein, nicht doch vielleicht dort eines Tages auf Jahre in einem der Trakte zu verschwinden. Genügend „Gründe“ wird die jeweilige Anstalt immer finden, denn dort sind kreative Köpfe tätig.

 

So haben diese Trakte also eine disziplinierende Funktion im Haftalltag. Menschen über viele Jahre, im Fall von Peter W. sogar 18 Jahre zu isolieren, spricht für sich, für die Einstellung des Personals gegenüber den Gefangenen und auch der Gesellschaft gegenüber diesen Menschen. Denn breite Proteste, wie noch in den 70'er oder 80'er Jahren gibt es heute nicht mehr.

 

„Selbst schuld“ heißt es heute; „er/sie wird es schon verdient haben“. Außerdem sind es doch „eh alles VerbrecherInnen“.

 

Das ist die vorherrschende Einstellung, die es den Knastleitungen dann noch leichter macht, Menschen über Jahre zu isolieren, denn sie können sich sicher und geborgen fühlen vor gesellschaftlicher Kritik.

 

 

Links zum Fall von Raimund M.:

http://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburger-polizistenmord-angeklagter-...

http://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburger-polizistenmord-parkinson-ve...

http://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburger-polizistenmord-zu-krank-fue...

http://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburger-polizistenmord-krank-durch-...

http://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburger-polizistenmord-sprachstoeru...

 

 

Thomas Meyer-Falk, c/o Jva (SV-Abtlg.), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

http://www.freedom-for-thomas.de

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Bei aller Antipathie gegen PolizistInnen möchte ich hier mal klarstellen, dass der Getötete zumindest eins der sympathischeren Exemplare war. Eben nicht der Ordnungswüter mit dem Rambo-Tick, der da eine Schießerei vom Zaun gebrochen hätte. Das war ein harmloser Streifenbulle, der in Augsburg-Hochzoll z. B. anlässlich des alljährlichen Bierkistenrennens der Punkszene und dem nachfolgenden Gelage am Kuhsee, das jeweils die ganze Nacht durchging, mal gemütlich vorbeispazierte, nachfragte, ob's irgendwelchen Stress gibt und wer sich ums Aufräumen kümmert, statt (wie in Bayern sonst üblich) zwei, drei Hundertschaften anzufordern und das Treffen plattzumachen.

Was die Behörden natürlich nicht davon entbindet, im Umgang mit den mutmaßlichen Tätern die Menschenrechte zu achten, was hier leider nicht der Fall ist -- wie so häufig bei Straftaten gegen BeamtInnen.

Der Spitzname "Gaza-Streifen" für einen Isolationshafttrakt ist ja wohl alles andere als "treffend". Den Gaza-Streifen mit Isohaft (also Folter) gleichzusetzen (ist ja noch ekelhafter als "weltgrößtes Freiluftgefängnis"), bedient und spricht Bände über das in Deutschland fröhliche Urständ feiernde Ressentiment gegen Israel, hat aber ziemlich wenig mit der politischen Realität im Nahen Osten zu tun.

 

Trotzdem Danke, Thomas, für Dein unermüdliches Engagement gegen Knäste und die Zustände insbesondere in den deutschen!