// In Berlin sind über 2.000 PädagogInnen in den Streik getreten und wurden dabei von rund 150 SchülerInnen unterstützt //
"Schüler und Lehrer gemeinsam voran!" Das skandierten rund 150 SchülerInnen, die am Montag durch Berlins Mitte gezogen sind, um Solidarität mit ihren LehrerInnen zu bekunden. "Die Lehrer durften uns nicht sagen, dass es einen Schulstreik gibt", meinte Carla (14) von der Kurt-Schwitters-Schule in Prenzlauer Berg. "Aber sie haben gesagt, dass da was stattfindet, und der Termin hat sich dann herumgesprochen." Am Rosa-Luxemburg-Platz versammelten sich die SchülerInnen und demonstrierten zur Streikkundgebung ihrer LehrerInnen am Gendarmenmarkt.
Insgesamt 449 Berliner Schulen waren von einem Warnstreik betroffen, als über 2.000 LehrerInnen die Arbeit verweigerten. Es war der 15. Streiktag in diesem Jahr zur Durchsetzung der Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Rund 9.000 der 29.000 LehrerInnen in der Hauptstadt sind Angestellte und verdienen bis zu 600 Euro pro Monat weniger als ihre verbeamteten KollegInnen. Seit November 2012 fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft den Senat zu Verhandlungen auf.
Breite Solidarität
In der Albert-Einstein-Oberschule in Neukölln hat die GesamtschülerInnenvertretung über den Schulstreik diskutiert, nachdem Flyer dort verteilt wurden. "Ich bin vor allem für kleinere Klassen", sagte Umut (14), der als Klassensprecher für den Streik geworben hat. Hannah (16) vom Oberstufenzentrum Anna Freud hat erst am selben Tag auf dem Schulhof von der Aktion erfahren: "Pädagogik fällt heute bei uns aus, weil der Lehrer streikt." Sie macht gerade eine Ausbildung als Erzieherin und wird deshalb auch später von den Arbeitsbedingungen im Schulsystem betroffen sein.
An der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Schule in Prenzlauer Berg kam die Nachricht über Facebook, einige AktivistInnen haben sich dann Flyer besorgt. „Die älteren Lehrer haben keine Geduld“, sagt Alma (14) über gestresste Lehrkräfte, „und auch die Materialien sind überaltert – unsere Physikbücher stammen aus der DDR!“ Sogar die Freie Waldorf Schule Kreuzberg war mit mehr als zehn Jugendlichen vertreten: Als Privatschule haben sie nichts mit den Tarifverträgen der LehrerInnen zu tun, „aber auch bei uns werden die Lehrpläne von oben diktiert“, so Carla (16) „und insofern gehen die Forderungen auch uns etwas an.“
Solidarität bekamen die Streikenden auch von Beschäftigten des Klamottenladens H&M in der Friedrichstraße: Zwei Betriebsräte dort hatten den Streik aus dem Fenster gesehen, schnell ein Schild gebastelt und auf der Bühne ausgerufen: „Im Arbeitskampf müssen wir zusammenhalten!“ Eine Delegation von MexikanerInnen war dabei, um von den Protesten der LehrerInnen in ihrem Land zu berichten.
"Die Stimmung unter den Lehrern ist zunehmend frustriert", sagte die Berliner GEW-Vorsitzende, Doreen Siebernik, denn der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) beruft sich darauf, dass nicht er, sondern nur die Tarifgemeinschaft der Länder über die Forderungen der angestellten LehrerInnen verhandeln könne. "Er versteckt sich", so die Gewerkschafterin, denn das Berliner Arbeitsgericht hat schon im April festgestellt, dass der Senat Arbeitgeber und damit Ansprechpartner des Streiks ist.
Am 29. Oktober soll eine tarifpolitische Konferenz der GEW mit VertreterInnen aus jeder Schule das weitere Vorgehen beschließen. "Die Diskussionen werden mit Spannung erwartet", sagte Christoph Wälz von der Jungen GEW, "denn es ist klar, dass es mit einzelnen Streiktagen nicht ewig weitergehen kann." Verschiedene KollegInneen erwarten eine Urabstimmung zum unbefristeten Erzwingungsstreik, um den Schulbetrieb richtig zu stören und Ergebnisse zu erkämpfen.
Solidarität mit Leonarda!
Als die Kundgebung der LehrerInnen vorbei war, haben sich über 60 Schüler auf dem Boden zusammengesetzt und spontan beschlossen, zur Französischen Botschaft zu demonstrieren. Mit der 15jährigen Leonarda Dibrani, die während eines Schulausflugs von der Polizei aufgegriffen und in den Kosovo abgeschoben wurde, zeigten sie ihre Solidarität. In Paris demonstrierten Tausende SchülerInnen in den letzten Tagen, während das junge Mädchen vom Präsidenten François Hollande mittlerweile das Angebot bekommen hatte, nach Frankreich zurückzukehren – allerdings ohne ihre Familie.
"Bleiberecht für alle!", riefen die SchülerInnen am Pariser Platz in Berlin und versuchten, mit VertreterInnen der französischen Botschaft zu sprechen, doch vom Personal reagierte niemand. Die SchülerInnen planen auch für den kommenden Mittwoch eine Versammlung für SchülerInnen und LehrerInnen: "Wir wollen gemeinsam auf die Straße gehen und den Streik ausweiten", wie Robert Sobota von der linken SchülerInnengruppe "Red Brain" auf der Bühne erklärte. Am 30. Oktober um 18 Uhr im Berliner Mehringhof (Gneisenaustr. 2a) soll die Versammlung stattfinden. Die dynamische Spontandemo nach dem Streik hat schon mal bewiesen, dass Versammlungen am Streiktag sehr sinnvoll sein können.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt am 22. Oktober