Volkstrauertag abschaffen – Demo und Veranstaltungsreihe in Friedrichroda und Gotha

Faltblatt vorn: Volkstrauertag abschaffen

Mit diesem Artikel möchten wir auf unsere Aktivitäten gegen das diesjährige „Heldengedenken“ der Thüringer Nazis in Friedrichroda am 17. November 2013 sowie auf unsere Kritik am Volkstrauertag überhaupt aufmerksam machen, welcher wir dieses Jahr eine Veranstaltungsreihe mit vier Veranstaltungen in Gotha widmen wollen. Anbei unser Aufruf und die Kurztexte zu der Veranstaltungsreihe. Material in Form von Plakaten, Faltblättern und Aufklebern können über unsere Mobilisierungsseite www.volkstrauertag-abschaffen.tk bestellt werden.

 

Aufruf:

 

Volkstrauertag abschaffen!
Gegen NS-Verharmlosung, Naziaufmärsche und deutsche Opfermythen!

 

Intro

Als am 5. Mai 1985 der damalige US-Präsident Reagan von Helmut Kohl auf den Soldatenfriedhof in Bitburg eingeladen wurde, auf dem auch Gräber von SS-Leuten stehen, stand ein Paradigmenwechsel in der deutschen Gedenkpolitik an. Kohl und der deutschen Rechten ging es nicht um weniger, als um die Rehabilitierung der deutschen Vernichtungstruppen. Die Mitglieder von Wehrmacht und Waffen-SS sollten zu gewöhnlichen Soldaten, der Zweite Weltkrieg als gewöhnlicher Krieg dargestellt und damit ein Schlussstrich unter die Geschichte gezogen werden. Die Legitimation für diesen Schritt sollte der amerikanische Präsident liefern, der sich auf den symbolträchtigen Auftritt einließ. Die damalige deutsche Linke realisierte die Tragweite dieser Symbolik nicht. Dass diese unverschämte Rehabilitierung der deutschen Vernichtungstruppen, diese Verharmlosung der deutschen Barbarei heute immer noch zentraler Bestandteil deutscher Gedenkpolitik ist, zeigt sich an keinem Tag so klar wie am jährlich zwei Sonntage vor dem ersten Advent begangenen Volkstrauertag.

Der Volkstrauertag und die deutsche Gedenkpolitik

"Was für Deutsche gilt: dass für die Deutschen die Geschichte der Nazis ihr Problem ist und nicht bloß das Problem der Opfer des Nazismus." (Moishe Postone)

Die Geschichte des Volkstrauertages begann bereits in der Weimarer Republik. Im Jahr 1926 wurde der erste Volkstrauertag begangen, um den deutschen Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Was damals schon seinen Zweck in einer mehr oder weniger intensiven Kriegshetze fand, trat zur Zeit des Nationalsozialismus offen zu Tage. Die Nazis begingen den Volkstrauertag als sogenanntes "Heldengedenken" und auch die heutigen Nazis knüpfen nicht nur terminologisch an diese Tradition an. Nach der militärischen Niederschlagung Nazideutschlands und dem Abbruch der Shoah durch die Anti-Hitler-Koalition wurde der Volkstrauertag in der alten Bundesrepublik wieder eingeführt. Heute soll ausdrücklich den Toten beider Weltkriege und den Opfern der Gewaltherrschaft aller Nationen gedacht, für Frieden, Versöhnung und Verständigung gemahnt werden. Jeder spezifische historische Charakter jener "Gewaltherrschaft[en]", die durchaus inzwischen auch den Staatskapitalismus der DDR einschließt, geht in einem solchen Gedenken verloren. Die deutschen Täter, die Millionen Menschen ausrotteten, stehen in einer Reihe mit den Mauertoten, den gefallenen Alliierten und den Opfern der Deutschen. Ein solches nivellierendes, also zwischen Opfern und Tätern nicht mehr unterscheidendes, Gedenken im Land der Täter ist für die politische Linke und für alle Menschen problematisch, die dafür eintreten, dass die Bedingungen der deutschen Barbarei, die Bedingungen des eliminatorischen Antisemitismus in diesem Land und weltweit beseitigt werden. Die gleichmachende deutsche Gedenkpolitik zum Volkstrauertag ist Ausdruck eines Bewusstseins, das die wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus ablehnt, verdrängt bzw. diesen überhaupt vergessen machen will. Sie bestätigt nur immer wieder den Satz Paul Spiegels, wonach sich hinter den Rufen nach Frieden die Mörder verschanzen. Eine solche Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit hätte u.a. die Kontinuität jener Bedingungen, die nach Auschwitz führten und die bis in die Gegenwart fortdauern, zu thematisieren und zum Gegenstand politischer Kämpfe zu machen. Im Sinne eines solchen antifaschistischen Kampfes ist ein Gedenken an die deutschen Täter nicht hinnehmbar. Wir gedenken den ermordeten Jüdinnen und Juden, den Kommunistinnen und Kommunisten, den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, den Sinti und Roma sowie all den anderen unzähligen Opfern, die aufgrund einer menschenverachtenden Ideologie ihr Leben lassen mussten. Wir gedenken auch den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, den Partisaninnen und Partisanen sowie den Soldatinnen und Soldaten der Anti-Hitler-Koalition. Für dieses Erinnern und Gedenken bedarf es keines Volkstrauertages, der im Begriff des Volkes ein Denken mitführt, das in Deutschland immer mit der Blut- und Bodenideologie verknüpft war, für welche Rassismus und Antisemitismus wesentliche Bestandteile sind. Eine Gemeinschaft, die auf Ausgrenzung und Abwertung basiert, lehnen wir ab. Wir kämpfen für ein solidarisches Miteinander aller Menschen, ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe oder Herkunft, für eine Gesellschaft jenseits kapitalistischer Ausbeutung und Zurichtung.

Friedrichroda begrüßt seine Kinder

Wenn also jedes Jahr zum Volkstrauertag vielerorts Personen und Gruppen zusammenkommen, die die deutschen Verbrechen verharmlosen, offen leugnen oder die deutsche Kriegsschuld bestreiten, dann kann es nicht verwundern, wenn an diesen Zusammenkünften auch Nazis beiwohnen. Dass Nazis diesen Tag nutzen, ist keine Instrumentalisierung des Tages für andere Zwecke, sondern die logische Konsequenz seiner politischen Bestimmung. Zum elften Mal findet nun das zentrale Thüringer "Heldengedenken" am 17. November 2013 in der westthüringischen Provinz, in Friedrichroda, statt. Bereits am Vormittag legen die organisierten Thüringer Nazis in ihren jeweiligen Heimatgemeinden Kränze vor den Kriegsdenkmälern ab, oftmals zusammen mit dem dortigen Bürgertum. Zum abendlichen Fackelmarsch versammeln sich dann Nazis aus ganz Thüringen am Kriegsdenkmal in Friedrichroda. Im Stein des Denkmals ist die Inschrift "Für Heimat und Vaterland" eingeprägt. Die Zahl der Teilnehmer stieg in den letzten Jahren auf bis zu 140 Personen. Angemeldet wird die Demonstration seit 2009 vom Kreisvorsitzenden der NPD Gotha, Sebastian Reiche. Mit Fackeln bewaffnet begehen die anwesenden Nazis dann ihr ritualisiertes Gedenken an die gefallenen deutschen Soldaten. In gespenstiger Atmosphäre werden dann die Geister der Soldaten des Heeres, der Kriegsmarine, der Luftwaffe, der Waffen-SS und des Volkssturms von Reiche zurück in die Reihen ihrer Kameraden gerufen. Auferstanden ist zwar bis heute noch keiner, doch der Gruselfaktor in Friedrichroda ist enorm. Zum Abschluss der Zeremonie singen die Nazis noch Soldatenlieder und begehen eine Schweigeminute für die Verbrecher, die Auschwitz, Treblinka und all die anderen Konzentrations- und Vernichtungslager möglich gemacht haben, die Millionen Menschen ermordet und Europa in Schutt und Asche gelegt haben.

Outro

Protest gegen den Naziaufmarsch und das Volkstrauertagsgedenken gab es in den vergangenen Jahren nur von Seiten der Antifa. Die Mehrheitsbevölkerung von Friedrichroda versteckt sich in ihren Häusern, vermutlich wegen einer Mischung aus Desinteresse und heimlicher Sympathie für die Nazis. Die Verantwortlichen der Stadtpolitik verschweigen das Thema, mit dem Resultat, dass sich Friedrichroda zu einem festen Event im Terminkalender der Thüringer Nazis entwickelt hat. Wir wollen am 17. November nicht nur gegen diese Strategie der Ignoranz und den Aufmarsch der NPD auf die Straße gehen, sondern gegen eine deutsche Gedenkpolitik, die die Opfer der deutschen Vernichtungspraxis wie die Kämpfenden gegen das faschistische Deutschland verhöhnt, indem sie sie mit ihren Mördern in das gleiche Gedenken einbegreift. Der Kampf gegen den Volkstrauertag und seine Verfechter ist also ein Kampf gegen das Vergessen, gegen die deutsche Version von Versöhnung, gegen alles was sich mit der Macht der Herrschenden Geltung verschafft: Gegen Deutschland und seine Nazis!

 

Antifaschistisches Bündnis Gotha, Oktober 2013

 

Veranstaltungsreihe in Gotha:

 

Kritik des Volkstrauertags und der deutschen Gedenkpolitik

 

Dienstag, 05. November 2013 - 19 Uhr, KubiXX (Blumenbachstr. 5)
Wider das Vergessen - Über die Bedeutung von Erinnerungsarbeit

Mehr als 68 Jahre nach der militärischen Niederlage Deutschlands drohen die Gräueltaten der Nazi-Barbarei wie überhaupt der Charakter der faschistischen Herrschaft in Vergessenheit zu geraten. Es leben nur noch wenige Überlebende - längst ist es an der zweiten und dritten Generation, den Nachfahren der Widerstandskämpfer_innen und Ermordeten, gegen das Vergessen anzukämpfen. Einige von ihnen mahnen und erinnern unermüdlich. Zu ihnen gehört Elke Pudszuhn. Elke ist Vorsitzende des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschist_innen (TVVdN/BdA). Sie berichtet im Gespräch über Bedeutung von Erinnerungsarbeit und über ihre eigene Erinnerungspraxis bzw. die ihres Verbandes.

 

Mittwoch, 06. November 2013 - 19 Uhr, Ju.w.e.l. (Hersdorfstr. 15)
Erinnern, Vergessen, Verdrängen - Deutsches Erinnern an den Nationalsozialismus

Die "Aufarbeitung deutscher Geschichte" verbindet immer wieder nationale Ideologie mit der Idee der Versöhnung. Neben die fortwährende Stilisierung der Deutschen als Opfer tritt seit den 90ern auch die Integration von Auschwitz in die deutsche "Erinnerungsarbeit". Die Verantwortungsübernahme für den Holocaust adelt die Nation geradezu, und im Umgang mit den Opfern hat man Strategien entwickelt, diese zum Nutzen der deutschen Wiedergutwerdung einzuspannen. Diesem vorerst letzten Kapitel der Geschichte deutscher "Erinnerungskultur" gingen Phasen des Verschweigens und Verdrängens voraus. Der Vortrag der Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt (JAPS) aus Jena beleuchtet den Wandel und die Kontinuitäten der "Erinnerungskultur" in Deutschland und deckt auf, welche Rolle der 'Volkstrauertag' dabei spielt.

 

Dienstag, 12. November 2013 - 19 Uhr, Gewerkschaftsladen (Hauptmarkt 47)
Die Rolle des modernen Antisemitismus für die deutsche Vergangenheitsbewältigung

Seit der Shoah, der fast vollständigen Vernichtung des europäischen Judentums durch die Deutschen, muss sich jede_r Antisemit_in zum potentiell eliminatorischen Charakter der eigenen Ideologie verhalten. Dies führte zu Veränderungen im Auftreten des modernen Antisemitismus. Heute wird u.a. von einem sekundären, auf Auschwitz folgenden, Antisemitismus gesprochen. Der Vortrag des Club Communism (CC) soll einführend die Varianten jenes sekundären Antisemitismus vom Revisionismus über die Schuldumkehr bis zum antizionistischen Antisemitismus darstellen. Schwerpunkt der Darstellung soll dabei auch sein, welche Funktion "Vergangenheitsbewältigung" für die Antisemit_innen einnimmt und vor welche Schwierigkeiten dies das Gedenken an die Shoah stellt.

 

Freitag, 15. November 2013 - 19 Uhr, Ju.w.e.l. (Hersdorfstr. 15)
Der Widerstand gegen Naziaufmarsch und Volkstrauertag in Friedrichroda

Zwei Tage vor dem Volkstrauertag und der Antifa-Demo gegen Naziaufmarsch und deutsches Gedenken in Friedrichroda berichtet das Antifa-Bündnis Gotha über die Spezifik des Gedenktages in der Kleinstadt und gibt letzte Infos für (Un-)Organisierte und Interessierte. Im Anschluss gibt es noch die Möglichkeit den Abend in Einzelgesprächen, an der Bar oder beim Kickern ausklingen zu lassen.