Containerprozess in Aachen ohne Verurteilung eingestellt

Containerprozess in Aachen ohne Verurteilung eingestellt

Nach viel Medienpräsenz drückt sich die Justiz nun doch um jegliche Stellungnahme gegen Hunger und Lebensmittelverschwendung.

Am Dienstag, dem 25. Juni 2013, wurde am Aachener Landgericht die Berufungsverhandlung gegen Aktivist*innen, die angeblich bei Rewe zur Entsorgung bereitgestellte Lebensmittel entwendet hatten, weitergeführt. Am diesem Morgen erst zog der Rewe-Konzern den Strafantrag zurück. Als dann auch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer nur angeblich veränderten Sachlage plötzlich kein öffentliches Interesse an einer Verurteilung mehr behauptete, gab es keine Verhandlungsgrundlage mehr. Der Prozess wurde ohne Auflagen eingestellt.

 

Vor dem Gericht wurde wieder ein Buffett mit vor der Vernichtung bewahrten Lebensmitteln aufgebaut um zu zeigen, was alles in den Tonnen der Supermärkte landet. Wie auch beim letzten Mal waren Passierende interessiert und entsetzt, was alles weggeworfen wird.

Zahlreiche Unterstützung durch eine bunte Vielzahl an Menschen ermöglichte neben der arbeitsintensiven rechtlichen Vorbereitung eine Menge Öffentlichkeitsarbeit. Ohne die große Medienpräsenz hätte Rewe recht problemlos seine Falschaussagen aufrecht erhalten können und eine ähnliche Aburteilung über die Köpfe der Angeklagten hinweg wie in erster Instanz - oder irgendeiner der gewöhnlichen 15-Minuten-Fließbandverhandlungen gegen unverteidigte Angeklagte - wäre wahrscheinlicher gewesen.

Nach gehäuften massiven Rechtsbrüchen in erster Instanz schützte die Staatsanwaltschaft die Karriere der Dürener Richterin Dr. Forst mit einer verbotenen Sperrberufung vor der Überprüfung der Verfahrensfehler (Revision).

Die Verhandlung in erster Instanz wurde irgendwann abgewürgt, nachdem sie länger als die veranschlagte dreiviertel Stunde gedauert hatte: Nachdem uns das mündliche Stellen von Beweisanträgen verunmöglicht wurde, beantragten wir eine Pause für die schriftliche Ausformulierung. In dieser schrieb die Richterin ihr Urteil und unterbrach uns dann bei der Verlesung der Beweisanträge mit der Forderung, wir sollten jetzt zu unserem letzten Wort kommen. Nachdem wir durch unseren Protest das Halten eines Plädoyers anfänglich durchsetzen konnten, brach sie das zweite Angeklagtenplädoyer mit der Verlesung ihres Urteils ab - ohne Gelegenheit zu einem letzten Wort zu lassen. Ihr Urteil legte auf die Forderungen der Staatsanwaltschaft noch jeweils zehn Tagessätze drauf. Trotzdem ging die Staatsanwaltschaft in Berufung - ausgerechnet wegen des Strafmaßes.

Bei gleichzeitiger Einlegung von Revision und Berufung wird nur die Berufung durchgeführt, also beim nächsthöheren Gericht neu verhandelt.

Somit wurde der Überprüfung des Verfahrens durch eine Revision durch die Staatsanwaltschaft verbotenerweise gleich ein Riegel vorgeschoben - eine sogenannte Sperrberufung. So sieht die Unabhängigkeit der Gerichte aus.

Das Gericht gab nach öffentlichem Druck – angeblich anlässlich neuer Tatsachen – auf und bot nun eine allseits bequeme Einstellung als Kompromiss an.

Schon während der polizeilichen Ermittlungen vor der Eröffnung des Gerichtsverfahrens äußerte der Marktleiter wiederholt und eindeutig, dass die Waren nur zur Entsorgung bereitgestanden und für Rewe keinerlei Wert mehr hatten. Auch die unüberdachte Lagerung im Freien während eines regnerischen Sommerwochenendes spricht eine deutliche Sprache. Doch Rewe behauptete dreist, die Lebensmittel hätten für die Tafel bereitgestanden.

Am Vortag des Prozesses wurde dem REWE-Pressereferenten Thomas Bonrath detailliert erleutert, dass die Behauptung der Bereitstellung der Lebensmittel für die Tafel sich als Falschaussage entpuppen würde. Daraufhin veranlasste der Pressesprecher das Zurückziehen des vom Marktleiter bis zuletzt aufrechterhaltenen Strafantrages durch den Konzern. Auch wenn schon vorher eindeutig feststand, dass es keine Geschädigten gab, nahm das Gericht dies nun bereitwillig zum Anlass, sich mit einer Einstellung aus der Sache herauszumanövrieren, so konnten alle einigermaßen ihr Gesicht wahren.

Die schnelle Beendigung des Verfahrens mit dem Angebot der Einstellung war dem Richter dann so dringend, dass er jegliche Stellungnahme von uns Angeklagten zu davor verlesenen Beschlüssen abwürgte, um uns bloß keine weitere Bühne zu gewähren.

Gesichtswahrung für alle:

Der Richter muss sich nicht bei einer sensibilisierten Öffentlichkeit mit einem Präzedenzurteil in einer ethisch heiklen Sache die Hände schmutzig machen, die bisherige Behauptung öffentlichen Interesses von Seiten der Staatsanwaltschaft war angesichts der Millionen durch Mangelernährung verursachten Toten und Kranken (zzgl. Kosten für's Gesundheitssystem) nicht nur hanebüchen sondern auch menschenverachtend. Rewe kann die öffentliche Falschaussage vermeiden und rettet so geradenoch sein scheinbar nachhaltiges Image, aber auf ein positives Statement durch zum Beispiel die Demontage von Nato-Draht und Vorhängeschlössern um ihren Müll warten wir bisher vergeblich. Wir Angeklagten gehen zumindest straffrei aus.

Wir machten keine Aussagen und verteidigten uns mithilfe von letztendlich nicht genehmigten Laienverteidigerinnen1 selbst.

Von Seiten der vielen Bewegten, die sich gegen Lebensmittelverschwendung und für uns Angeklagte eingesetzt haben, geht es natürlich weiter, zum Beispiel mit Projekten wie dem geplanten öffentlichen Kühlschrank nebst einer Schenkkiste in Aachen2...

Es gibt Nahrung für 12 Milliarden, weiterhin sterben sekündlich Kinder an Mangelernährung. 50 % aller Nahrung wird für den Müll produziert und setzt beim Vergammeln “Klimagase” frei, großteils Methan, dabei hat schon die Produktion den größten Anteil am Klimaproblem - vor allem bei Tierprodukten, noch mehr als der Verkehr. Aber wieder scheut ein Gericht vor jeglicher Stellungnahme gegen diese Verhältnisse zurück.

50 % aller produzierten Lebensmittel werden für die Tonne produziert und dafür teils auch noch um den halben Globus geflogen. Täglich werden Nahrungsmittel für 12 Milliarden Menschen poduziert - bei einer Weltbevölkerung von 7 Milliarden Menschen. Trotzdem sterben weiterhin jährlich 8 Millionen Kinder an Mangelernährung. Zusätzlich verursacht die Nahrungsmittelproduktion den größten Teil unseres Klimaproblems (vor dem Verkehr). Die Produktion von Tierprodukten potenziert den Effekt gegenüber pflanzlicher Nahrung noch, da für ein Kilo tierischen Eiweiß' ein Vielfaches an Futtereiweiß nötig ist und in der Tierhaltung die wesentlichen Methanquellen zu finden sind. Im Grunde findet sich als wesentliche Ursache immer wieder das dominante kapitalistische Wirtschaftssystem, das in seiner Grunddynamik auf Profit und Ellbogen-Prinzip, auf Verknappung und Anhäufung, also letztlich auf wenige Gewinner und viele Verlierer angelegt ist. Wir brauchen stattdessen dringend einen anderen Wirtschaftsmodus, ein soziales, bedürfnisorientiertes Wirtschaften. Mit moderner Arbeitsteilung und Automatisierung wäre die 5-Stunden-Woche bei gleichzeitigem Wohlstand für alle längst möglich. - Die Rettung von Lebensmitteln ist Teil eines persönlichen kleinen Ausstiegs. Beispielsweise mit Projekten wie einem öffentlichen Kühlschrank und einer Schenkkiste in Aachen führen einige Beteiligte ihr Engagement gegen Lebensmittelverschwendung weiter.



1 Tipps, Tricks und Links zu Antirepression

Kontaktmailadresse für Unterstützung / Weitervermittlung bei Repression: matrixättriseup.net (explizit NICHT nut für sogenannte politische Verfahren)

2 Kontakt zu Gemeinschaftsgärten und bald (Lebensmittel-)Umsonstschränken

Bericht von letzten Prozesstag