Gestern wurde am Münchner Amtsgericht der 2. und letzte Prozesstag gegen 5 Antifaschist_innen, denen vorgeworfen wurde am 10.3.2012 einen Infostand der rechtsradikalen BI „Ausländerstopp“ überfallen zu haben, geführt. Die Hauptanklagepunkte der Staatsanwaltschaft – gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch – ließen sich nicht aufrecht erhalten. Vier Angeklagte wurden in vollem Umfang freigesprochen, lediglich einer der Angeklagten zu einer Geldstrafe von 400 Euro für eine Sachbeschädigung in anderem Zusammenhang verurteilt. Während des Verfahrens behaupteten die Nazi-Zeugen immer wieder unter den Angreifern Zivilpolizisten erkannt zu haben. Diesem Vorwurf wurde in der Hauptverhandlung nicht nachgegangen, er ist somit weder belegt noch widerlegt. Es scheint jedoch nahe liegend, dass es polizeiliche Provokateure gegeben hat.
Grundlage der Anklage waren die Anschuldigungen der Nazis, Lorenz Maierhofer, Markus Bissinger, Stefan Friedmann, sowie Marcus und Thorsten Meier, gegenüber den 5 ihnen bekannten Antifaschist_Innen. Diese wären unter einer Gruppe von ca. 30 Personen gewesen, welche am 10.03.2012 einen Infostand der BI Ausländerstopp überfallen und dabei die genannten Nazis geschlagen und getreten hätten. Die umfangreichen Zeugenvernehmungen am ersten und zweiten Prozesstag (5 Nazis und 5 Bullen) förderten indes derartige Ungereimtheiten zu Tage, dass aus rein rechtlicher Sicht am Ende nur noch der Freispruch möglich war.
Bemerkenswert war dabei besonders das alle 5 Nazis erzählten, sie hätten unter den Angreifern Zivilbullen erkannt. Diese hätten sie als solche erkannt, weil sie beobachtet hätten wie die Zivis später offen als Bullen auftraten indem sie Menschen festnahmen. Zwar ist nicht auszuschließen – vielleicht auch als wahrscheinlich anzusehen - , dass es sich dabei eher um paranoide Halluzinationen oder einfach dummes Geschwätz handelte. Dagegen spricht jedoch zum einen die Art der Aussage der Nazis selbst, zum andern der Umgang von Gericht und Polizei mit dem Vorwurf. Die 5 Nazis waren sich im Hinblick auf die Zivis allesamt vollkommen einig und unabhängig von einander in der Lage höchst detailliert die fraglichen Personen zu beschreiben, ebenso wie deren Verhalten in der angreifenden Gruppe. Das sie sich dazu abgesprochen haben ist wiederum nicht unbedingt anzunehmen, das sie sich in allen übrigen – für sie selbst wichtigeren Punkten teilweise deutlich widersprachen. So herrschte zum Beispiel Uneinigkeit über die Art und Intensität des Angriffes, der eine war sich sicher, das Flaschen und Steine geworfen wurden, der andre hat nichts gesehen. Maierhofer behauptet mit einem Stein auf den Kopf geschlagen und gegen den Oberschenkel getreten worden zu sein, was die anderen aber nicht mitbekamen. Zudem behauptet Maierhofer nach dem Vorfall – während er polizeilich fixiert am Boden lag - von einem der Angeklagten angesprochen worden zu sein, während sein Kumpel Marcus Meier, der Maierhofer währenddessen die ganze Zeit beobachtet haben will, nur den Fixierten selbst und die beiden ihn haltenden Bullen sah.
Einig sind sich alle Nazis auch, dass sie von den Zivis bereits in der polizeilichen Zeugenvernehmung im Vorhinein berichteten. In den Protokollen fand sich davon nichts. Polizeizeuge Schütz, am ersten Verhandlungstag dazu befragt, gab an, sicher zu sein, das ihm so etwas nicht gesagt wurde, denn ansonsten hätte er dieses wichtige Detail ganz bestimmt vermerkt!
Im Laufe von Verhandlungstag 2 erläuterte dann Marcus Meier wie er sich mit Schütz darüber stritt, das dieser gefälligst Meiers Aussage bzgl. den Zivis ins Protokoll nehmen solle. Dies hatte Schütz nämlich zunächst nicht getan, wurde dann beim Gegenlesen von Meier darauf hingewiesen. Es muss sich dann ein Streit zwischen den beiden ereignet haben, der damit endete dass Schütz die Aussage Meiers weiterhin nicht zur Kenntnis nehmen wollte, weshalb Meier dann die Unterschrift unter dem Protokoll verweigerte. Letzterer Vorgang ist anhand der Akte belegt.
Ungeachtet der politischen wie auch prozessualen Bedeutung dieser Vorwürfe verweigerte das Gericht jegliche Aufklärung. Jedweder Anträge diese Zivis zu ermitteln wurden abgelehnt, obwohl wegen des Verdachts auf die Begehung von Straftaten sogar von Amtswegen ein Verfolgungsinteresse bestanden hätte. Auch wäre eine rechtliche Bedeutung für das laufende Verfahren nicht abzustreiten gewesen hätte sich bestätigt, was die Nazis aussagten. Dass nämlich die Zivis pöbelend und Parolen wie „Scheiß Nazis“ rufend im Pulk auf sie zu gestürmt wären. Es wäre zu prüfen gewesen ob nicht gar die Initiative für den Angriff von den Zivilbeamten ausgegangen war.
Möglicherweise sind genau all diese unangenehmen Fragen Grund für den Freispruch. Damit konnten die Angeklagten und deren Verteidiger jedenfalls effektiv daran gehindert werden weiter unangenehme Fragen zu stellen. Zwar war auch die Beweislage von vornherein sehr dürftig, bzw. gar nicht vorhanden – aber solche Dinge sind Richter_innen ja sonst bekanntlich auch oft reichlich egal.
Als einer der Angeklagten während seines letzten Wortes ein politisches Statement abgab in dem mit den Nazis, dem Gericht, der Polizei und Staaten im allgemeinen abgerechnet wurde unterbrach die Richterin den Angeklagten mehrmals und ließ diesen schlussendlich unter Gewaltanwendung vom anwesenden Justizpersonal aus dem Saal schaffen. Diese Linie dem Angeklagten gegenüber war auch schon während des Prozesses deutlich erkennbar. Der Angeklagte erhielt lückenhafte oder gar keine Informationen darüber welche Zeugen geladen wurden, neue Ermittlungserkenntnisse wurde dem Angeklagten erst während der Hauptverhandlung mitgeteilt, es wurde keinerlei Verteidigung genehmigt da eine beantragte Freundin wegen Störung öffentlicher Betriebe verurteilt war (Blockade eines Rüstungstransporters) und ein weiterer Freund trotz erst in diesem Januar veröffentlichen juristischen Publikation nicht genügend sachkundig wäre. Das eine Verteidigung nur in Ausnahmefällen abgelehnt werden darf und sich die Frau Richterin mit den Ablehnungen auch über die Europäische Menschenrechtskonfention hinwegsetzte, ignorierte die Richterin auch nach Hinweis durch den Angeklagten. Auf der anderen Hand wurde versucht die Erwähnung der mehrfachen Vorstrafen der Nazis (Volksverhetzung, Körperverletzung, Sachbeschädigung) aus der Verhandlung heraus zu halten. Das Gericht setzt die Nazis als gute Jungs in Szene während Antimilitarist_Innen bewusst und gewollt denunziert und diskreditiert werden.
Letztlich bleibt festzustellen, dass es dem Gericht trotz einseitiger Beweiserhebung und Einschränkung der Rechte der Angeklagten nicht möglich war diese zu verurteilen ohne noch das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Mehr Infos zum selbstbestimmten Umgang mit Gerichten:
http://www.laienverteidigung.de.vu/
Am Ende des Prozesses kam es zudem noch zu einer Verhaftung eines Zuschauers. Infos dazu hier: