Schwarzer Donnerstag. Die Opfer des Einsatzes im Schlossgarten sind mit der Aufarbeitung noch nicht zufrieden. Von Christine Bilger
Einmal hat sich Ulrich Sckerl im Laufe des Abends versprochen. 'Schmutziger Donnerstag', rutschte dem parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen-Landtagsfraktion raus, er meinte aber den Schwarzen Donnerstag. Nach Lachen war aber im Ratssaal bei der Podiumsdiskussion des Kreisverbands der Grünen über jenen Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner am 30. September 2010 ob dieses Lapsus niemandem zumute. 'Es gibt Menschen, die können heute Abend nicht kommen, andere können nicht mehr in den Schlossgarten gehen', sagte der pensionierte Richter Dieter Reicherter über die Gefühlslage mancher Menschen, die jenen Tag damals im Park miterlebten. Und auch jenen, die nicht dermaßen stark traumatisiert sind, steckt der Schreck noch tief in den Knochen. Das legten neben Reicherter und Sckerl der Schriftsteller Wolfgang Schorlau, die Juristen Simone Eberle und Frank Ulrich Mann und der Journalist Jürgen Bartle dar.
Viele im Saal wünschen sich, was auf dem Podium Dieter Reicherter als erster aussprach 'Ich meine schon, dass man an einen neuen Untersuchungsausschuss denken müsste', sagte der Jurist. Sckerl, der Obmann im ersten Untersuchungsausschuss gewesen war, und seine Fraktion hatten vor gut einem Monat erwogen, ein zweites solches Gremium zur Aufarbeitung zu beantragen. 'Meine persönliche Motivation war und ist, die Vorgänge vollständig aufzuklären', sagte der Politiker. Schließlich sei es der erste Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes gewesen, der direkt politisch angeordnet worden sei, sagte er. Das sei von SPD und Grünen nach dem Abschluss der Untersuchungen in ihrem Bericht dokumentiert worden - die politische Mehrheit im Landtag war seinerzeit noch schwarz-gelb. Auf eine Feststellung von damals sei er stolz: Dass herausgearbeitet wurde, dass es vor dem Einsatz ein Treffen im Staatsministerium gegeben habe, bei dem über den Einsatz gesprochen worden sei - für ihn der Beweis der Einflussnahme des Ministerpräsidenten Stefan Mappus.
Es gab aber auch Lob für die Aufarbeitung. Die Rechtsanwältin Simone Eberle, die viele S-21-Gegner vor Gericht vertritt und zur Gruppe der Juristen gegen Stuttgart 21 zählt, sprach zum Beispiel über die Ermittlungsverfahren gegen Wasserwerferfahrer. 'Sehr gründlich' habe die Staatsanwaltschaft dabei gearbeitet, wie sie bei einer ersten Akteneinsicht feststellte. Neben der Forderung nach einem neuen Untersuchungsausschuss gab es noch eine zweite Botschaft, die die Zuhörer dem Grünen-Abgeordneten mitgaben. Es könne nicht sein, das unter einer grün-roten Regierung noch ein Rahmenbefehl in Kraft sei, der die Überwachung der S-21-Gegner durch das Landesamt für Verfassungsschutz ermögliche. Sckerls Erklärung, dass dies keine Entscheidung des Landtags sei, dass er finde, der Rahmenbefehl müsse 'ersatzlos weg', wurde begleitet von wütenden Rufen aus dem Publikum.
Diejenigen, die ruhig blieben, schauten sich um: Ob vielleicht ein Verfassungsschützer im Saal war? Auch diese Blicke offenbarten: Die Erfahrungen des Schwarzen Donnerstags und der politischen wie juristischen Aufarbeitung haben Wunden hinterlassen und Misstrauen gesät.