Burschenschaften „Manchen ist die Gangart zu scharf“
Nach dem Eklat an der Freien Universität: Die Politologin Alexandra Kurth im Tagesspiegel-Interview über Burschenschaften und deren rechtes Spektrum.
von Anja Kühne
Frau Kurth, unlängst hat der Auftritt von vier teiluniformierten Burschenschaftern auf der Absolventenfeier der juristischen Fakultät der FU zu einem Eklat geführt. An der FU sind uniformierte Burschenschafter traditionell unerwünscht und ein seltener Anblick. Gehören sie an anderen Hochschulen zum Alltag?
Das hängt von der Hochschule ab. In vielen Hochschulen Bayerns oder Baden-Württembergs sind farbentragende Burschenschafter häufiger zu sehen. An der Gießener Universität hat die Leitung schon vor Jahren entschieden, dass die Werte schlagender Verbindungen mit dem Selbstverständnis einer modernen Universität unvereinbar sind.
Deshalb bekommen schlagende Verbindungen keine universitären Räumlichkeiten und sie wurden auch nicht am 400-jährigen Uni-Jubiläum beteiligt. Die Zahl der Burschenschafter im Dachverband Deutsche Burschenschaft ist laut der statistischen Erhebungen des Convents Deutscher Akademikerverbände (CDA) von 1997 bis 2009 um 20 Prozent gesunken, die Zahl der Verbindungsmitglieder insgesamt sank im gleichen Zeitraum um vier Prozent. Während manche Burschenschaften sich große Sorgen um ihren Nachwuchs machen, blühen andere aber durchaus.
Was unterscheidet Burschenschafter von anderen Studentenverbindungen, etwa studentischen Corps, die auch fechten und Farben tragen?
Studentenverbindungen sind ein Oberbegriff. Darunter versammeln sich Corps, Turnverbindungen, Katholische Verbindungen, Landsmannschaften, Burschenschaften oder einzelne Damenverbindungen. Sie sind zusammengeschlossen in knapp 30 Dachverbänden und unterscheiden sich danach, ob sie farbentragend sind oder nicht, schlagend oder nicht schlagend, ob sie nur Männer aufnehmen, nur Katholiken oder nur Deutsche und so weiter. Im Unterschied zu Corps, die auch farbentragend und schlagend sind, sind Burschenschaften explizit politisch.
Wie werben die Burschenschafter um Mitglieder?
Sie laden auf Plakaten zu Partys ein oder sie veranstalten Schnuppertage. In manchen Fachbereichen werden Burschenschafter Tutor/Mentor in der Einführungswoche. Das gibt ihnen die Chance, eine ganze Gruppe von Erstsemestern mit aufs Haus der Burschenschaft zu nehmen. Üblich ist auch, im Seminar das Gespräch zu Kommilitonen zu suchen. Werbung von Burschenschaften gibt es auch in rechten Zeitungen oder auch in Schülerzeitungen. Manche Burschenschaften haben Pennälerorganisationen, mit denen sie ihren Nachwuchs rekrutieren.
Welchen Reiz haben Burschenschaften für ihre Mitglieder?
Burschenschaften bieten feste Rituale und Regeln. Das bedeutet zwar Zwang, aber eben auch Sicherheit. Dazu kommt, dass sie Mitgliedern günstigen Wohnraum in guter Lage bieten und damit werben, durch Seilschaften mit den Alten Herren der Burschenschaft den Einstieg in den Beruf zu erleichtern. In den Trinkritualen und im Fechten geben sie Gelegenheit, eine bestimmte Form von Männlichkeit zu beweisen. Wer in einen Männerbund eintritt, verbringt in der Regel seine Zeit lieber mit Männern als mit Frauen. Dem Männerbund ist immer ein homoerotisches Element immanent. Wer einer politischen Burschenschaft beitritt, ist in der Regel politisch motiviert.
Burschenschaften stehen schnell im Verdacht, rassistisch und sexistisch zu sein. Ist das eine üble Verallgemeinerung?
Eine bunte Mütze macht noch niemanden zum Rassisten oder Sexisten. Aber auf eine Reihe von Burschenschaften trifft es zu.
Um sich dem Verdacht zu entziehen, erklären Burschenschaften auch, sie seien im Nationalsozialismus gegen ihren Willen aufgelöst worden. Welche Rolle spielten die Burschenschaften damals tatsächlich?
Sie waren in der Weimarer Republik Wegbereiter des Nationalsozialismus. Die Deutsche Burschenschaft stellte sich bereits 1920 auf den „Rassestandpunkt; nur deutsche Studenten arischer Abstammung, die sich zum Deutschtum bekennen, werden in die Burschenschaft aufgenommen“, hieß es seither in den Grundsätzen. Viele Burschenschafter waren Mitglied im NS-Studentenbund. Es gab dann Reibungen – aber nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern aus Konkurrenz. Hitlers Machtantritt wurde von den Burschenschaftern euphorisch bejubelt. An den Bücherverbrennungen waren Burschenschafter aktiv beteiligt. Die Deutsche Burschenschaft hat sich dann 1935 selbst aufgelöst und die aktiven Burschenschaften dem NS-Studentenbund als Kameradschaften zur Verfügung gestellt. In den Kameradschaftshäusern ging das burschenschaftliche Leben in der Regel weiter. Nach Kriegsende haben die Alliierten die Burschenschaften verboten und die Verbindungshäuser beschlagnahmt. Eine Widerstandshaltung war bei den Burschenschaften nicht zu erkennen, im Gegenteil. Einzelne Burschenschafter, die Widerstand geleistet haben, handelten nicht im Einklang mit den Verlautbarungen und der Programmatik ihrer Organisation.
Burschenschaften und der Verfassungsschutz
Die Studenten, die auf der Absolventenfeier der FU auffielen, trugen orangene Mützen und schwarze Jacken, die Farben der „Berliner Burschenschaft Gothia“. Lässt sich erkennen, wie weit rechts die Gothia steht?
Es gibt eine Reihe von Hinweisen dafür, dass sie sehr weit rechts steht. Dazu gehört, dass sie statt Englisch „E-Mail“ deutschtümelnd „E-Post“ auf ihrer Homepage schreibt, wie es in Rechtsaußen-Kreisen üblich ist. Auch die Themen, mit denen die Gothia sich befasst, und die Wahl ihrer Referenten, darunter aktuell ein Redakteur der „Jungen Freiheit“, zeigen, dass sie am alleräußersten rechten Rand der CDU und rechts davon einzuordnen ist. Im Jahr 1999 hat die „SZ“ ausführlich über einen Vortrag von Horst Mahler berichtet, bei dem 50 uniformierte Gothia-Mitglieder im Berlin-Zehlendorfer Ratskeller anwesend waren. Ein Jahr später berichtete der „Stern“ über martialische Fechtrituale der Nachwuchsgruppe Iuvenis Gothia. Nicht zuletzt ist die Gothia Mitglied des ultrarechten Dachverbands Deutsche Burschenschaft (DB), und ihr aktiver Teil, wenn auch nicht die Alten Herren, ist auch Mitglied der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG).
Wodurch zeichnen sich die DB und die BG aus?
42 der 45 Mitgliedsburschenschaften der „Arbeitsgemeinschaft“ BG sind Mitglied in der DB. DB und BG stehen am rechten Rand des Verbindungsspektrums. In beiden wird ein volkstumsbezogener Vaterlandsbegriff vertreten. Einigkeit besteht darin, dass das „deutsche Vaterland“ größer ist als das Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Über die Frage „wie groß?“ wird kontrovers diskutiert. Für beide gelten Österreicher als Deutsche, die BG wurde 1961 mit dem Zweck gegründet, durchzusetzen, dass österreichische Burschenschaften in die DB aufgenommen werden. Die DB steht politisch weit rechts, doch das ist der BG noch nicht rechts genug, sie bildet die pressure group innerhalb der DB. Die BG tritt in der DB gemeinsam auf, stimmt gemeinsam ab und treibt so die anderen Burschenschaften vor sich her. Dabei den öffentlichen Skandal zu suchen, kann Teil der Strategie sein. Womöglich gehört dazu auch der Auftritt der vier Uniformierten an der FU. Der DB bröckelt seit vielen Jahren, weil die Gangart manchen Burschenschaften dann doch zu scharf ist.
Werden Burschenschaften vom Verfassungsschutz beobachtet?
Ja, aber es hängt davon ab, wie die Landesämter agieren. In Hessen wurde das Landesamt vor einigen Jahren vermutlich aus politischer Rücksichtnahme zurückgepfiffen. In Bayern hat der damalige Innenminister Günther Beckstein Burschenschaften beobachten lassen, nachdem ein ausländerfeindlicher Schläger sich in einem Verbindungshaus verstecken durfte. Meines Erachtens gibt es in allen Bundesländern Burschenschaften, die vom entsprechenden Verfassungsschutz beobachtet werden müssten.
Michael Büge, Berlins Staatssekretär für Soziales, wird von Thomas Elsholtz, dem Vorsitzenden der Gothia, in den „Burschenschaftlichen Blättern“ der Deutschen Burschenschaft als „Verbandsbruder“ mit Gothia-Mütze präsentiert. Die „Blätter“ haben wegen ihres Schriftführers Norbert Weidner von sich reden gemacht, der als ultrarechts gilt. Müsste Büge sich als Staatssekretär da nicht deutlich abgrenzen?
Es ist geradezu schockierend, wie offensiv Büge zu seiner Mitgliedschaft in der DB steht – und das als Staatssekretär für Soziales! Er war ja auch als Pennäler bei Iuvenis Gothia. Von deren brutalen Fechtritualen, mit denen letztlich ein „Habitus ohne Mitleid“ (Norbert Elias) erzeugt wird, sollte er sich distanzieren. Man muss sich fragen, welches demokratische Verständnis Büge hat.
Elsholtz erklärt in der Öffentlichkeit energisch, die Gothia habe mit der NPD und der „rechtsextremen Ecke“ nichts am Hut. Nun gehört die öffentliche Abgrenzung von der NPD und dem Rechtsextremismus aber auch zur Strategie Ultrarechter, die so ihre Ideologie hoffähig machen wollen. Wie können Burschenschaften sich glaubwürdig abgrenzen?
In der Tat kann es eine Strategie sein, „Rechtsextremismus“ abzulehnen. Man bezeichnet dann das, was als rechtsextrem gilt, als konservativ, etikettiert also einfach um. Wenn eine Burschenschaft sagen will, wo sie politisch steht, muss sie erklären, wo die Grenzen des „deutschen Vaterlandes“ sind, ob „Deutschsein“ für sie durch die Abstammung oder durch den Pass definiert wird und wie sie zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen steht.
- Die Fragen stellte Anja Kühne.