Energieriese will Hambacher Forst endlich roden. Im Weg: Die Besetzer des Waldgebiets
Wenn es um den (vermeintlichen) Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen geht, sind die Gesetze mitunter bis oberhalb der Schmerzgrenze skurril. In Neurath wurde unlängst gar das größte Braunkohle-Kraftwerk der Welt eingeweiht, das, wenn es sich amortisieren soll, über 40 Jahre das Klima massiv schädigen wird. Bei der Eröffnung waren auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) in bester Feierlaune. Nebenan, in Niederaußem, ist ein weiterer Kraftwerksblock geplant, beantragt und im Grundsatz genehmigt. Die Kraftwerkskomplexe in den beiden Städtchen im Rheinischen Braunkohlerevier zählen seit Langem zu den schlimmsten Klimakillern Europas.
Und ja, RWE darf das größte Loch Europas ausweiten, den Tagebau Hambach, und dafür auch bis 2040 die allerletzten Reste des Hambacher Forstes roden. Irgendwo muss die Kohle ja herkommen, die in Neurath und Niederaußem in großem Stil verfeuert wird. Aber manchmal wird die Natur auch geschützt. So mussten bis Anfang Oktober die Kettensägen in Hambach schweigen – denn erst seit dem Monatsersten ist die Brunft- und Setzzeit vorbei, in der Rodungsarbeiten zu unterbleiben haben.
Brav hielt RWE sich an diese Vorschriften. Doch nun ist die Schonzeit vorbei – für den Wald, aber auch für das Camp von Kohlekraftgegnern im Hambacher Forst.
Bisher hatte RWE die Besetzung des Waldstücks geduldet. Das war durchaus klug: So vermied man unnötiges Aufsehen. Und es hätte ja eh nichts genutzt, sich vor der Zeit mit den meist linken Campern anzulegen, die dank RWEs freundlicher Ignoranz in aller Ruhe sukzessive eine Infrastruktur im Wald errichteten konnten, mit Hütten, Plumpsklo, Umsonstladen und regelmäßigen Veranstaltungen.
Doch nun will RWE offenbar Nägel mit Köpfen machen: Am Waldesrand ließ der Energieriese einen Zettel aushängen. Die Botschaft an die Waldbesetzer: Baut das Hüttendorf ab und zieht Leine! Wir dulden Euch nicht länger!
Nun mag das Anschlagen von Zetteln in früheren Jahrhunderten durchaus eine erfolgreiche Kommunikationsform gewesen sein. Man denke nur an jene 95 Thesen, die Martin Luther an die Schlosskirche zu Wittenberg nagelte. 1517 war das – und die Folgen dürfen keineswegs unterschätzt werden. Doch 495 Jahre später zeigen die Hambacher Waldbesetzer sich unbeeindruckt vom RWEschen Thesenanschlag: Sie kündeten an, der Räumungsbitte nicht Folge leisten zu wollen. Sie bereiten sich und ihre Unterstützer auf eine drohende Zwangsräumg vor. Sie organisieren ein»Umräumbar Festival« am letzten Oktoberwochenende.
Und sie rücken RWE auf die Pelle: Zwei Stunden lang mussten die gigantischen Bagger im Hambacher Loch am Dienstag still stehen, weil das Aktionsorchester »Lebenslaute« sich ihnen musizierend in den Weg setzte. Auch außerhalb des Waldes sind Braunkohle-Gegner aktiv: So bereitet die LINKE eine Regionaltagung unter dem Motto »Das Revier nach der Braunkohle« vor.
Doch auch RWE sucht offenbar die Konfrontation: Bisher hätten sich Security-Leute, Polizei und Werkschutz sehr zurückgehalten, wird aus Besetzerkreisen berichtet. Doch nun häuften sich Provokationen: Fahrräder seien einkassiert, Aktivisten abfotografiert worden und es habe einen ersten tätlichen Übergriff gegeben. Kurz: Die Wachleute würden präsenter und aggressiver.
Dass sie eine gewaltsame Räumung nicht dauerhaft werden verhindern können – die Besetzer wissen es. Und doch, so ist zu hören, werde der Widerstand auf jeden Fall weiter gehen – davor wie danach. Ja, die Besetzer hoffen gar, ihn auf eine höhere Stufe heben zu können: Schließlich werde die Räumung Aufsehen erregen. Und die Empörung könnte den RWE-Opponenten Sturm in die Segel blasen. Mag sein, dass diese Einschätzung gar nicht mal so unrealistisch ist.