Wie sieht die ideale Stadt der Zukunft aus? Weil sich die Bewohner von Berlin-Kreuzberg diese Frage nicht von BMW beantworten lassen wollten, liefen sie Sturm gegen ein Denklabor des Autobauers in ihrem Stadtteil. Der zog sich jetzt zurück - weil er um "die Sicherheit der Mitarbeiter" fürchtete.
Berlin/Hamburg - Ein Diskussions- und Kunstprojekt zur Zukunft der Städte - verhindert von Chaoten? Ein offenes Camp, bei dem auch Anwohner mitmachen dürfen - bedroht durch gewaltbereite Linksextreme? Am Dienstag erklärte die Solomon R. Guggenheim Foundation in einer Pressemitteilung, das "BMW Guggenheim Lab", das von Mai bis Juli in Berlin-Kreuzberg hätte stattfinden sollen, könne "aufgrund der hohen Gefährdungseinstufung seitens Polizei und lokaler Behörden" nicht am vorgesehenen Standort durchgeführt werden.
Für das Projekt sollte auf der Brachfläche an der Cuvrystraße, Ecke Schlesische Straße ein temporärer Bau für Ausstellungen, Workshops und Veranstaltungen entstehen, in denen man "innovative Ideen für das urbane Leben" entwickeln sollte. Das BMW Guggenheim Lab war im August 2011 in New York eröffnet worden und sollte nach der Station in Berlin weiter nach Mumbai in Indien ziehen.
In Kreuzberg jedoch fand das von BMW gesponserte Projekt wenig Gegenliebe. Anfang März ging die Powerpoint-Präsentation der Organisatoren in einer lautstarken Diskussion mit Anwohnerinnen und Anwohnern unter. "Es gibt gerade eine große Gewerkschaftskampagne gegen BMW wegen der massiven Ausbeutung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern", rief einer der Kritiker. "Und jetzt kommt BMW hierher und will uns erzählen, wie man eine soziale Stadt macht?"
"Das ist eine Ausflucht von BMW!"
Die Entscheidung, den geplanten Standort in Kreuzberg aufzugeben, habe man "in Folge von Drohungen gegen das Projekt getroffen", teilten die Projektpartner mit. "Wir befürworten eine lebhafte Diskussionskultur, können aber das Risiko gewalttätiger Übergriffe nicht eingehen, wie sie von einer kleinen Minderheit angedroht wurden", heißt es in der Erklärung, die die Guggenheim Stiftung "mit voller Unterstützung unserer Kollegen der BMW Group" veröffentlichte. Man müsse "die Sicherheit der Mitarbeiter und Teilnehmer aller angebotenen Programme gewährleisten", heißt es weiter.
Die Berliner Kritiker halten die Rede von "Drohungen" allerdings für einen Vorwand. "Das ist eine Ausflucht, mit der sich BMW aus dem Projekt herauszieht, weil sie Angst von einer Imageschädigung haben", erklärt David Kaufmann von der Initiative "BMW-Guggenheim Lab verhindern!" "Hier im Wrangelkiez sind die Leute einfach wütend, weil sie von Gentrifizierung bedroht sind und ein weiteres Aufwertungsprojekt nicht wollen."
In ihrem Blog schreibt die Initiative: "Für den Kiez bedeutet das geplante Lab eine weitere Aufwertung und eine Beschleunigung der ohnehin schon rasanten Mietsteigerungs- und Verdrängungsspirale. BMW hofft auf einen fetten Image-Zugewinn, und der Grundstückseigentümer natürlich auf eine schöne Wertsteigerung seines Grundstückes, auf dem in nicht so ferner Zukunft Luxuswohnungen entstehen sollen." Das Areal, auf dem das Stadtlabor hätte gastieren sollen, gehört der Immobiliengesellschaft "Ritter Finest Real Estate", die hier Wohnungen, Büros und Einzelhandelsgeschäfte plant.
Die Absage löste in der Politik Bedauern aus. Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sagte am Dienstag: "Ein so renommiertes Zukunftsprojekt wie das BMW Guggenheim Lab verdient es, dass wir in Berlin für dessen Ansiedlung den roten Teppich ausrollen." Die "unsachgemäße Kritik und Versuche der Einschüchterung durch plumpe Drohungen" bedauere er sehr. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte dem "Tagesspiegel": "Diese Chaoten sind ein Standortrisiko für Berlin".
Drohender Image-Boomerang
Stefan Redlich, Pressesprecher des Landeskriminalamts Berlin, dementiert allerdings, dass zu Gewalt aufgerufen worden sei. Es habe lediglich eine "Gefährdungsbewertung" gegeben, bei der das LKA festgestellt habe, "dass es diverse Websites gibt, wo man sich teilweise mit recht scharfen Worten dagegen wendet." Angriffe gegen Personen seien nicht zu befürchten. Das LKA hält es aber für wahrscheinlich, dass es zu Sachbeschädigungen und Störungen kommt.
Lutz Redlich, der als Programmmanager für das BMW Guggenheim Lab tätig ist, legte Wert auf die Feststellung, dass die Diskussion um das Projekt zwar aufgeheizt gewesen seien, "ich aber persönlich nicht bedroht oder gar tätlich angegriffen wurde."
Das Engagement des Autokonzerns für das urbane Zukunftscamp verdankt sich laut BMW-Marketingchef Lutz Ellinghaus einer neuen Kommunikationsstrategie: "Mit der Experiential branding-Strategie, und ganz konkret mit dem BMW Guggenheim Lab, möchten wir jene ansprechen, die heute vielleicht noch keine besondere Affinität zur Marke BMW haben - möglicherweise dem Auto sogar ambivalent gegenüber stehen", erklärte Ellinghaus 2011 im Interview mit dem manager magazin.
Doch schon die New-York-Etappe des konzerngesponserten Laboratoriums war keinesfalls so imagefördernd verlaufen, wie sich BMW das vorgestellt haben mag. Bei der Eröffnung des Labs in der Houston Street hatten Anwohner unter der Parole "Gentrifizierung ist Klassenkampf - wir schlagen zurück" gegen das Projekt demonstriert.
Zwar gaben sich die BMW-Guggenheim-Kuratoren alle Mühe, sich gegenüber sozialen Protesten aufgeschlossen zu zeigen - so organisierte das Lab etwa einen Besuch des besetzten Zuccotti-Parks - "ein inspirierendes Modell für eine alternative Zukunft", wie es im Programm hieß. Doch als die "Occupy-Wall-Street"-Besetzer dazu aufriefen bei der Finissage des Labs am 16. Oktober mit Schlafsäcken aufzutauchen, um das Gebäude zu besetzen, brachen die Organisatoren die Party ab, ließen die Gäste durch ihre Security hinauskomplimentieren und riefen die Polizei.
In Berlin ist nun als mögliches Ausweichquartier das Areal des Kulturzentrums Pfefferberg im Stadtteil Prenzlauer Berg im Gespräch. Aus dem Kreis der Organisatoren heißt es, man habe darüber aber noch keine Entscheidung getroffen. Ob es in Berlin nun überhaupt zu einem Gastspiel des temporären Stadtlaboratoriums kommt, steht in den Sternen. Für BMW scheint es schon jetzt zum Image-Boomerang zu werden.
mit Material von dapd