Neonazis im Netz: Hetz-Propaganda aus den USA

Neonazis im Netz: Hetz-Propaganda aus den USA (Screenshot Altermedia
Erstveröffentlicht: 
01.12.2011

Das Internet ist für deutsche Neonazis der wichtigste Propagandakanal. Doch die Behörden sind machtlos dagegen, weil viele Server in den USA stehen. Dort verdienen sich notorische Hetzer ein Zubrot, indem sie ihren deutschen Kameraden als Strohmänner dienen.

In Sachen Design hinkt Gary Laucks Internetseite den Standards um etliche Jahre hinterher. Das passt, gehört der Mann, der sich selbst "Nazi" nennt, doch zu den Ewiggestrigen. Seit 1972 arbeitet er von den USA aus mit der von ihm begründeten NSDAP/AO daran, dem Nationalsozialismus doch noch zum Sieg zu verhelfen. Vier Jahre Gefängnis brachte ihm das 1996 in Deutschland ein, seitdem ist sein Hetzen gegen die "sogenannte BRD" wohl noch ein wenig hysterischer geworden.

 

Lauck, der sich gern in einer SA-ähnlichen Uniform samt Oberlippenbärtchen zeigt, als wäre er ein Operetten-Nazi in einer US-Comedy, finanziert seinen bizarren Propagandafeldzug mit dem Verkauf von Hakenkreuzbannern, "Mein Kampf"-Ausgaben, nachgemachten Orden und einem kleinen Webhoster-Geschäft. Für 20 Euro im Monat meldet er Internetadressen bei einem großen US-Provider an. Seine Kunden: vornehmlich braune Kameraden aus deutschen Landen.

 

Völlig risikofrei sei das und auch in anderer Hinsicht sicher, schreibt er auf seiner Seite. Man könne anonym bezahlen, indem man ihm in einem Umschlag ohne Absender das Geld per Post schicke. Die so aufgesetzten Seiten würden dann "höchstwahrscheinlich nicht gesperrt".

 

Der zurückhaltende Ton hat Gründe: Vor Jahren klagte die Bundesrepublik erfolgreich dagegen, dass Lauck Web-Adressen wie "Bundesinnenministerium" mit ausländischen Domain-Kürzeln kombinierte, Lauck musste die Adressen abtreten. Er weiß also, dass auch in den USA keine absolute Narrenfreiheit herrscht, wenn es um das Internet geht. Er weiß aber auch, dass sich Nazis mit ihren Parolen dort ziemlich sicher fühlen können.

Laut dem Whois-Infosystem, das Eckdaten über Web-Adressen zur Verfügung stellt, ist Lauck "Registrierer" und Betreiber Dutzender deutscher Neonazi-Seiten. In Wahrheit dient er deutschen Rechtsradikalen, die Seitensperrungen und Strafverfolgung umgehen wollen, als Strohmann.

 

Zu Gast bei braunen Freunden


Das Modell hat sich über viele Jahre bewährt: Keine politische Szene entdeckte die Möglichkeiten des Internets früher für sich als die rechte. Das berüchtigte Thule-Netz war eher online aktiv als die Bundesregierung. Und die Braunen erkannten sofort, dass die USA mit ihrem außerordentlich weit gefassten Verständnis von Meinungsfreiheit ein sicherer Datenhafen für radikale Propaganda waren. Bereits ab 1994 entstand dort ein Web-basiertes Nazi-Netzwerk, Lauck gehörte zu den Pionieren.

 

"Für deutsche Rechtsextremisten", konstatiert auch das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht, "ist die Nutzung des Internets mittlerweile ein fester Bestandteil bei der Verbreitung ihrer Ideologie, der Vorbereitung von Aktionen, Kampagnen und anderen Veranstaltungen sowie der Kommunikation mit Anhängern und Sympathisanten". Ende 2010 zählte der Inlandsgeheimdienst etwa tausend von Deutschen betriebene Nazi-Homepages. Die Fluktuation sei "anhaltend hoch".

 

Die Szene setzt inzwischen ganz offen auf eigene Seiten: bei kostenfreien Hostern hinterlegt oder über amerikanische Mittelsmänner auf großen Web-Servern geparkt. Lauck ist auch nicht ohne Konkurrenz, seine besten Tage liegen wohl hinter ihm: Zurzeit hat seine Firma RJG Engineering noch 38 Nazi-Web-Seiten auf US-Domains registriert, es waren einmal bis zu 150.

 

So verlässt sich Altermedia, zurzeit eines der populärsten Neonazi-News-Netzwerke, lieber auf Jeffrey Schoep, "Führer" des National Socialist Movement NSM und nebenberuflich ebenfalls Web-Seiten-Strohmann. Er bringt seine offiziell circa 30 Seiten zurzeit meist bei Wild West Domains - einer Tochter des Groß-Hosters GoDaddy - unter, Lauck setzt derweil auf den kaum kleineren Dienstleister Dreamhost.

 

Auf Anfrage teilte Dreamhost mit, das Unternehmen distanziere sich von den Inhalten rechtsextremistischer Seiten und der dort verbreiteten Ideologie. Jedoch könne und wolle man keine Zensur ausüben, sondern müsse sich an den ersten Zusatz der US-Verfassung halten, der allen Bürgern das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiere. Sollten jedoch Hinweise auf illegale Aktivitäten nach US-amerikanischem Strafrecht bestehen, kooperiere die Firma mit den Ermittlungsbehörden.

 

Kaum Möglichkeiten, auf Schließung zu drängen


Wie viele Seiten die Radikalen Lauck und Schoep wirklich betreiben, ist nicht zu sagen. Viele Hoster erlauben es dem Kunden, als "private registrant" im Dunkeln zu bleiben. So liegt auch das derzeit größte internationale Neonazi-Diskussionsforum bei Dreamhost. Zumindest diese Registrierung hat die Firma direkt angenommen, dem Kunden jedoch Anonymität gewährt: Eine Auskunft über den Betreiber gibt es nicht.

 

In der Vergangenheit ist es deutschen Behörden durch Beschwerden vereinzelt gelungen, bei US-Dienstleistern einen Ausschluss solcher Angebote zu erwirken - doch wohl nur aus Publicity-Gründen. Ein Kriminalpolizist aus einer westdeutschen Staatsschutzstelle sagte SPIEGEL ONLINE: "An den USA beißen wir uns bei diesen Delikten die Zähne aus." Eigentlich müssten die Ermittler, die entsprechende Straftaten im Netz festgestellt hätten, die Staatsanwaltschaft informieren, damit diese ein Rechtshilfeersuchen an die Vereinigten Staaten formuliere. Bei Kinderpornografie etwa funktioniere das auch sehr gut, bei Propagandadelikten allerdings überhaupt nicht.

 

"Wir wissen, dass diese Dinge in den Vereinigten Staaten nicht strafbar sind, also können wir nichts dagegen machen und machen auch nichts." Eine Offenlegung ihrer Identität müssten die Betreiber der in den USA hinterlegten Web-Seiten nur befürchten, wenn es sehr konkrete Verdachtsmomente zu schweren Straftaten gerade aus dem terroristischen Bereich gebe, so der Beamte.

 

Dabei lässt sich Anonymität in Zeiten des Web 2.0 sehr einfach gewährleisten, vor allem wenn es um kleinere Web-Projekte geht. Soziale Netzwerke und Blogs bieten hier eine prächtige, zudem kostenlose Bühne. Die Web-Seite des im Zusammenhang mit der Zwickauer Zelle ermittelten "Thüringer Heimatschutzes" etwa ist gar keine, sondern schlicht und ergreifend ein Blog: angelegt bei und verbreitet von Blogspot, einer Google-Tochter. Der Konzern ließ eine SPIEGEL-ONLINE-Anfrage dazu bislang unbeantwortet.

 

Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Do it yourself?

 

Eine beliebte Plattform für braune Blogs ist derzeit die in den Vereinigten Staaten gehostete deutschsprachige Plattform Logr. Wer hinter der Firma steht, ist nicht bekannt. Die Web-Seite wurde von einem "private registrant" angemeldet - wieder einmal beim kalifornischen Groß-Hoster Dreamhost. Als Betreiberadresse nennt das Impressum ein Postfach in Miami.

 

Dem Dortmunder Radiosender 91,2 gilt es als ausgemacht, dass dahinter die örtliche Neonazi-Größe Dennis G. steht, echte Beweise dafür gibt es aber nicht. Dass der Rechtsradikale publizierend in den USA tätig ist, darf dagegen als weitgehend gesichert gelten: Mindestens eine G. eindeutig zuzuordnende Web-Seite wurde von Gary Lauck bei Dreamhost registriert. Hinter derselben IP-Adresse liegen weitere Seiten aus der Dortmunder Rechtsextremistenszene, die von "private registrants" angemeldet wurden. Mehrere davon empfehlen als Blog-Anbieter wiederum Logr. So etwas nennt man wohl engmaschig vernetzt.

 

Vielleicht sollten sich deutsche Behörden in naher Zukunft doch einmal die Mühe machen, Dreamhost zu fragen, wie es denn zu einer solchen Ballung Dutzender Neonazi-Seiten kommen könne. Dass der einschlägig vorbestrafte Radikale Gary Lauck dabei nach wie vor seine Finger im Spiel hat, ist ein Indiz dafür, wie harmonisch sie noch immer funktioniert, die tiefbraune transatlantische Kameradschaft.