Es ging um Ruhestörung: Polizisten drangen in eine Münchner Wohnung ein und warfen sich auf einen geistig behinderten Mann sowie seinen blinden Vater. Die beiden Männer wurden bei dem Einsatz verletzt. Jetzt wird der Fall vor Gericht verhandelt. Doch angeklagt sind nicht die Polizisten - sondern die Familie.
Ein womöglich unverhältnismäßig harter Polizeieinsatz beschäftigt das Münchner Amtsgericht. Angeklagt sind in diesem Fall, der seit Montag verhandelt wird, aber nicht die neun Beamten, die am 11. Januar 2010 in die Wohnung an der Truderinger Straße eindrangen und sich auf einen Blinden und auf einen geistig Behinderten warfen. Die Verfahren wegen Körperverletzung gegen die Polizisten wurden alle eingestellt.
Indessen muss sich das Ehepaar, das dort mit seinen drei Söhnen wohnte, wegen Widerstands und vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Die Polizei wurde an jenem Tag um 23.20 Uhr von Nachbarn wegen Ruhestörung gerufen - nicht zum ersten Mal. Zur "amtsbekannten Familie" fuhr dann nicht nur eine Streife, sondern auch ein Trupp des Unterstützungskommandos (USK), das auch bei Krawallen von Fußballfans zum Einsatz kommt und wegen mehrerer Übergriffe auf unbeteiligte Fans seit Monaten in der Kritik steht (wie berichtet).
Im aktuellen Fall rückten nach einem lauteren Wortwechsel zwischen den Streifenpolizisten und der Mieterin Elke L. die Spezialkräfte in die Wohnung nach. Sie fanden dort die einigermaßen aufgebrachten Bewohner vor. Als der heute 19-jährige Sohn des Ehepaares die Beamten beleidigte und mit einem Zigarettenstopfgerät warf, rissen USK-Kräfte den geistig behinderten jungen Mann sowie dessen blinden Vater zu Boden. Beide wurden verletzt, "weil sie sich gewehrt haben", so einer der Polizisten als Zeuge vor Gericht.
Dass Vater und Sohn behindert seien, habe er nicht gewusst, sagte der USK-Beamte aus. Man sei vorab nur informiert worden, dass es sich um eine "Familie mit Gefährdungspotential" handle. Einer seiner Kollegen nannte letztlich als Grund für die Übergriffe die Beleidigungen des geistig Behinderten. Er hatte "Scheißbullen" gerufen.
Zudem hätten sich der Vater, 45, und die Mutter, 48, blockierend in den Weg gestellt und um sich geschlagen, als sich Polizisten dem 19-Jährigen nähern wollten. Ein Videoband, auf dem ein USK-Beamter den Zugriff aufgenommen hatte, zeigte nichts von einer Blockade. Stattdessen ist die Mutter mit ausgebreiteten Armen vor ihrem Sohn zu sehen. Sie ruft: "Er ist geistig behindert, mein Baby hat Angst."
Das Gericht wird beim nächsten Verhandlungstermin einen Polizisten der örtlichen Inspektion vernehmen, der in der fraglichen Nacht dabei war und dem die Familie bekannt gewesen sein soll. Verteidigerin Angelika Lex will ihn fragen, weshalb er seine Kollegen nicht über die Verhältnisse in der Familie informiert und nicht auf Deeskalation gesetzt habe.