Im Westen galt lange Zeit: Man war Malocher, Fußballfan und Sozialdemokrat. Doch ausgerechnet im Ruhrgebiet ist in den vergangenen Jahren eine militante rechte Szene entstanden. Auch vor Gewalt und Terror schreckt sie nicht zurück.
Der Wilhelmplatz im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld wird nie eine dieser Auszeichnungen einheimsen, mit der für gewöhnlich besonders ansehnliche Straßenzüge prämiert werden. Die beiden Kneipen, die das Bild bestimmen, haben schon bessere Zeiten gesehen, und weder die Spielhalle noch der Discount-Supermarkt sind Augenweiden. Und dann sind da noch die Nazis.
Deren Aufkleber prangen überall, an Laternenpfählen, Ampeln, Mülleimern und Bushaltestellen, man könnte sagen, die Rechten haben ihr vermeintliches Revier markieren wollen und zwar ironischerweise eben dort, wo auch die Hunde der Nachbarschaft ihre Duftmarken setzen. Und so müssen die Passanten nun auf Augenhöhe die tiefbraunen Botschaften lesen, die Kampfansagen an alle Demokraten sind: " Dortmund ist unsere Stadt", heißt es dort.
Das Klischee besagt zwar, Skinheads und Neonazis trieben vor allem im Osten der Republik ihr Unwesen, doch in Wahrheit werden nirgendwo in Deutschland mehr rechte Straftaten gezählt als in dem bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen. Zwischen 4000 und 5000 Verfahren leiteten die Behörden hier in den vergangenen Jahren jeweils ein. Und Dortmund ist ein Schwerpunkt der Szene.
"Körperliche Angriffe auf Antifaschisten"
Der WDR nannte die Stadt bereits eine "Neonazi-Hochburg". Ein Aussteiger sagte dem Sender: "Gerade in Dortmund haben wir uns oft gewundert, wie es sein kann, dass wir solche Dinge tun, wie körperliche Angriffe auf Antifaschisten, ohne dass es Konsequenzen gegeben hat. Dass wir entweder gar nicht festgenommen wurden, es gar nicht zur Anzeige kam oder dass die Anzeige eingestellt wurde."
Aktivisten der Antifa sind überzeugt, dass die Dortmunder Behörden gegen rechte Straftäter jahrelang besonders zögerlich vorgegangen sind. Polizei, Stadtverwaltung und Staatsanwaltschaft weisen diese Vorwürfe entschieden zurück. Die Ermittlungen wie etwa die wegen des Überfalls auf die linke Szenekneipe "HirschQ" seien eben aufwendig und langwierig , so Oberstaatsanwältin Ina Holznagel.
Im Stadtteil Dorstfeld haben sich die Rechten breitmachen können. Immer wieder kam es zu systematisch erscheinenden Pöbeleien, Überfällen und Einschüchterungen. Wände wurden beschmiert, Scheiben eingeworfen, Menschen zusammengeschlagen. Eine Familie, die wohl wegen ihres Engagements gegen Nazis wiederholt Opfer der niederträchtigen Attacken geworden war, flüchtete aus der Stadt.
Gestiegene Gewaltbereitschaft
Die Zahl der rechten Straftaten ist in Dortmund in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Verurteilungen allerdings gab es wenige. Zumeist scheiterten die Ermittlungsbehörden an der Beweislage. Ist der Hakenkreuz-Sprayer oder Steinewerfer erst einmal entkommen, wird ihn die Polizei nur in den seltensten Fällen aufspüren.
Dabei ist die Lage brisant. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz warnt in seinem jüngsten Bericht vor der gestiegenen Gewaltbereitschaft der Extremisten. In einem Fall seien bei einer Versammlung "Sprengmittel mitgeführt" worden, die tödliche Verletzungen hätten verursachen können. Ihre zunehmende Brutalität werde von den Extremisten mit einem angeblichen "Recht auf Selbstverteidigung" verbrämt, so der Geheimdienst.
Die Landtagsabgeordnete Anna Conrads (Linkspartei) und die Dortmunder Antifaschisten gehen davon aus, dass die rechte Szene in der Stadt mehrere hundert Personen mobilisieren kann. Sie habe in den vergangenen Jahren starken Zulauf von Kadern und Aktivisten aus den neuen Bundesländern erhalten, heißt es. Und die Sogwirkung, die von der Kameradschaft "Nationaler Widerstand Ruhrgebiet" ausgehe, sei ungebrochen.
Neue Wege
Denn die Szene in Dortmund ist nicht nur groß und schlagkräftig, sondern geht auch in strategischer Hinsicht neue Wege. Ihr mutmaßlicher Anführer Dennis G., der im Internet mit Szeneartikeln handelt und sich gegenüber SPIEGEL ONLINE nicht äußern wollte, hat im östlichen Ruhrgebiet das Modell der "Autonomen Nationalisten" (AN) populär gemacht.
Dabei handelt es sich laut Verfassungsschutz zumeist um junge Neonazis, die in Auftreten und Aktionsformen bewusst auf das Vorbild der politisch linken autonomen Bewegung zurückgreifen. Der klassische Skinhead-Stil gilt ihnen als überholt, sie tragen Kapuzenpullover, schwarze Baseball-Kappen, Palästinensertücher und Sonnenbrillen. Glatze und Springerstiefel sind out. Sie hatten viele Jugendliche abgeschreckt.
Auch für den Verfassungsschutz sind die AN daher eine Herausforderung. "Viele von uns machen hier mit, weil wir als Nationalisten anonym bleiben wollen. Deshalb werden wir auch immer mehr", sagt einer von ihnen.
Angepasst und smart
In der Stadt agitieren sie auf Schulhöfen, im Hauptbahnhof, in der Fußgängerzone, auf der Südtribüne des BVB-Stadions und in Kneipen. Sie verteilen Flugblätter, kleben Plakate und nutzen das Netz für ihre Botschaften. Manche sind ausschließlich erlebnisorientiert, andere stark politisiert. Rassistisch, antisemitisch, nationalistisch, globalisierungsfeindlich und antiamerikanisch. Und vor allem jung.
Auch Dennis G. ist gerade einmal Mitte 20. Er pflegt bürgerliche Umgangsformen, trägt Jeans, Sweatshirt und Turnschuhe. Wie G. sehen die Neonaziführer der Generation Internet aus, äußerlich angepasst und smart, zu den rechten Parteien halten sie Abstand. Vor zwei Jahren sagte G. SPIEGEL ONLINE auf die Frage, ob es eine Zusammenarbeit mit der NPD gebe? "Ich wünsche ihr viel Glück auf ihrem Weg über die Parlamente, aber wir glauben nicht an die Demokratie."
Die jungen Neonazis "glauben" - ganz Kinder ihrer Zeit - nur an Action, am liebsten treten sie im Rudel auf, eine Bedeutung spürend, die sie nicht haben. So wie am kommenden Samstag in Dortmund, wo unter massivem Polizeischutz und den empörten Blicken Tausender Gegendemonstranten eine ihrer größten und wichtigsten Kundgebungen in Deutschland stattfinden soll. Motto des Aufmarschs: "Gegen Krieg und Kapitalismus."
Selbst ihre Slogans scheinen die Nazis bei den Linken abgekupfert zu haben.