Trotz alledem: Linke Politik verteidigen

Aufruf zum Antirepressions-Block bei der Antifa-Demo am 24. September in Leipzig

(Neben dieser Textfassung gibts den Aufruf auch als Flugblatt.)

 

INTRO


In Leipzig gibt es seit Ende 2008 ein Nazi-Zentrum und seit einigen Monaten die Kampagne „Fence Off“, die dessen Schließung erreichen will und für einen konsequenten Antifaschismus eintritt. Die bundesweite Antifademo am 24. September wird sicher ein Höhepunkt der Kampagne. Doch zwischenzeitlich hat die staatliche Repression gegen linke Politik, man denke an „Handygate“, ebenfalls neue Höhen erreicht. Die Zeiten, in denen in Sachsen entschlossene Proteste gegen Neonazismus möglich sind, man denke an Dresden, sind damit vorbei.

Über einige Jahre hinweg galt insbesondere Leipzig als „liberale Insel“ im ansonsten konservativen Freistaat, wo kritisches Engagement organisiert werden konnte, ohne am nächsten Morgen von einem Einsatzkommando geweckt zu werden. Auch das ist vorbei – und damit die Zeit des Ausschlafens für radikale Linke abgelaufen. Aus unserer Sicht sind die sächsischen Entwicklungen Anzeichen einer reaktionären Politik, Formen sozialer Verhärtung und der Versuch einer Disziplinierung, noch bevor es (wie in anderen europäischen Staaten) etwas zu disziplinieren gibt. Der Kampf gegen „Extremismus“ ist ein Testfeld dieser Ordnungspolitik. Sie ist eine Kampfansage an die gesellschaftskritische Opposition und die Vorbereitung einer inneren Aufrüstung.

Dieser Text versucht, die jüngsten Anzeichen dieser Entwicklung zusammenzutragen und einzuordnen. Wir sind weit davon entfernt, Antworten oder neue Strategien zu haben; und was wir gar nicht empfehlen können ist, sich nun auf eine offene Auseinandersetzung mit dem Staat einzulassen. Was wir wollen, ist eine Diskussion über die Bedingungen linker Politik und Organisierung, wozu unser Text einige Anregungen geben soll. Und er soll ein Aufruf sein, unsere Kritik nicht von der buchstäblichen „Schere im Kopf“ enthaupten zu lassen.

Die Antifademo in Leipzig ist ein Anlass, genau das gemeinsam und solidarisch klarzustellen.

 

AUFRUF


„Linksextremisten und Autonome sind ein Haufen von Lebensversagern, die ihre Unfähigkeit, eine bürgerliche Existenz zu gründen, zum revolutionären Kampf erheben.“ – Das sagt ein Gewerkschafter, der die Interessen von 80.000 AmtsträgerInnen im Polizeidienst vertritt. Er spricht die Zwecklüge seines Berufsstandes so sicher aus, weil es in der BRD keinen „revolutionären Kampf“ gibt, auf den er im Interesse seiner Leute oder wenigstens der Wahrheit Rücksicht nehmen müsste. Er hat auch keine Erinnerung an eine weitere Wahrheit: dass es ohne „revolutionäre Kämpfe“ keine „bürgerliche Existenz“ gäbe.

Die linke Bewegung ist in diesem Land also nachhaltig genug geschlagen und schwach genug geblieben, um als private Marotte einzelner Irrer hingestellt zu werden. Die Einzelnen könnten dagegen halten, dass sie auch ohne „bürgerliche Existenz“ lieber unglücklich mit den Zuständen bleiben, die es ihnen verwehren, auf einen grünen Zweig zu kommen. Lieber jedenfalls, als zufriedene Schweine zu sein, die auf die wenigen Leute angesetzt werden, die gerade in Zeiten sozialer Ohnmacht noch am Protest gegen die Zustände festhalten.

Um diesen Protest ist es so bestellt, dass es ihn punktuell noch gibt – also in einer bescheidenen statt einer revolutionären Variante –, obwohl seine Anlässe nicht gerade knapper werden. Die quartalsweisen Warnungen vor „linksextremer Gewalt“ gegen allgemein hochgeschätztes Privateigentum bis hin zum beständigen Gerede von einem „neuen Linksterrorismus“ prägen den Eindruck, dass es gerade andersrum sei. Mit solcher Feindrechts- und Bürgerkriegsrhetorik wird nun am Antifaschismus genau das wiederholt, was die Verlaufsgeschichte jeder linken Bewegung geprägt hat: Was sich integrieren lässt, endet im Staatsdienst. Was widerständig ist, wird in die wenigen sozialen, szenischen und subkulturellen Nischen zurückgedrängt und dort festgesetzt.

Dieses Festsetzen wird mitunter wörtlich genommen, jedenfalls von sächsischen Staatsanwaltschaften: Sie teilen die Ansicht, dass alle, die sich noch unter dem Signet der „Antifaschistischen Aktion“ vereinigen, zur „organisierten Kriminalität“ beitragen oder, in der Springer-Sicht, eine „linksextreme Mafia“ bilden. Im Falle der diesjährigen Proteste gegen Naziaufmärsche in Dresden soll es sich – weder Witz noch Übertreibung – nach Paragraf 129 StGB um eine „kriminelle Vereinigung“ mit mehreren tausend Mitgliedern handeln. Das angeblich „Kriminelle“ des Handelns ist die vernünftige Entscheidung, zur Verhinderung von Naziaufmärschen beizutragen.

 

„SÄCHSISCHE DEMOKRATIE“: TESTFELD REAKTIONÄRER POLITIK


Darauf folgten im April 2011 mehr als 20 Hausdurchsuchungen bei AntifaschistInnen, gegen die wegen des besagten Paragrafen 129 ermittelt wird, Telekommunikationsüberwachung inklusive. Wie schon zu früheren Gelegenheiten wurden am 13. und 19. Februar in Dresden auch Handydaten im großen Stil gesammelt. Eine so genannte Funkzellenabfrage bescherte der Polizei einen beträchtlichen Datenbestand von mehr als einer Million Datensätze, aus denen heraus unterschiedslos zehntausende AnschlussinhaberInnen ermittelt wurden. Parallel dazu wurden mit Hilfe so genannter IMSI-Catcher – die hierzulande zur „Terrorabwehr“ zugelassen wurden – Telefone von AntifaschistInnen live abgehört, ganz ohne richterliche Kontrolle.

Rechtsgrundlage und Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen sind völlig strittig. Das gilt auch für den Versuch, das sächsische Versammlungsgesetz einzuschränken, was zunächst vom Bundesverwaltungsgericht gestoppt wurde. Grund: die sächsische Regierung wollte den Entwurf durch den Landtag winken, ohne den Gesetzestext vorzulegen – also ohne demokratische Kontrolle. Mittlerweile hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition das Gesetz erneut dem Landtag zur Beschlussfassung vorgelegt. Staatliche Eingriffe in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit hält der CDU-Innenminister Markus Ulbig für ebenso notwendig wie die Handyüberwachung. So notwendig, dass man sie erst nach Presseveröffentlichungen häppchenweise eingestanden hat.

Es geht hier nicht nur um das Beklagen einzelner staatlicher Handlungen, die man insbesondere als gesetzestreuer Mensch für besonders ungesetzlich halten kann. Entscheidend ist die Funktion dieser Handlungen. Es wird deutlich, dass die so genannte „sächsische Demokratie“ mittlerweile einen Modellcharakter für politische Repression gegen AntifaschistInnen und radikale Linke angenommen hat:

  • Während „Gesicht zeigen“, „Zivilcourage“ und „Ehrenamt“ angesehene Gesten sind, wird von denen, die sie aus eigenem Antrieb zustande bringen, ein Bekenntnis zur „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ verlangt.
  • Während die sächsische Landesregierung damit ihr prinzipielles Misstrauen gegen antifaschistisches, zivilgesellschaftliches und gewerkschaftliches Engagement betont, hatte dieselbe Landesregierung kein Problem damit, beispielsweise dem ehemaligen Wehrsport-“Führer“ Karl-Heinz Hoffmann, der sich in Sachsen niedergelassen hat, über Jahre Fördermittel für die Instandsetzung seines Schlösschens in sechsstelliger Höhe auszuschütten, ohne dass sich jemand für seine Rolle in der Naziszene interessiert hätte.
  • Während Neonazis noch immer Wehrsport treiben, Waffen horten und Menschen umbringen, stellen Ermittlungsbehörden den Menschen nach, die darauf zurecht aufmerksam machen und sich für entschlossenes Handeln einsetzen. Die Quittung dafür sind Hausdurchsuchungen, Ermittlungsverfahren, das Anlegen riesiger Datenbanken und Observationstrupps des Verfassungsschutzes im Wohnumfeld.
  • Während der Verfassungsschutz erst kürzlich Nazis der „Terror Crew Muldental“ eine mehrwöchige Vorwarnfrist für Hausdurchsuchungen einräumte, müssen AntifaschistInnen damit leben, schon vorsorglich als „linksextremistisch“ abgestempelt zu werden oder – ein Einfall des sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten – als die eigentlichen Nazis hingestellt zu werden, weil sie die überfällige Kennzeichnung von Gewalttätern in Uniform fordern.

Der Aberwitz geht weiter, wenn etwa in Leipzig Schneeballschlachten zu „linksextremistischen Gewaltexzessen“ aufgebauscht werden; wenn ganze Stadtteile vom Innenministerium zu „Kontrollzonen“ erklärt werden, in denen sich PassantInnen grundlos durchsuchen lassen müssen; wenn diese Kontrollen zeitweise auf die gesamte Stadt ausgeweitet werden, um ein paar KifferInnen oder Fußballfans nachzustellen. Solche Methoden werden erprobt, um ihre Anwendung zum Standard zu machen. Das ist ein untrügliches Zeichen einer Aufrüstung im Inneren.

Wir müssen diese Entwicklungen ernst nehmen, weil wir unsere Politik ernst nehmen, und weil die provozierte Spaltung in „guten“ und „bösen“ Antifaschismus – einen staatskonformen und einen konsequenten – nicht akzeptabel ist.


 

AUF EIGENE RECHNUNG


Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass staatliche Behörden nicht einfach „Hüter des Grundgesetzes“, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind, sondern selbst Partei ergreifen und ihre eigenen Handlungsspielräume nach Belieben erweitern können. Auf einen Gerichtsentscheid, der verdachtsunabhängige Kontrollen vor Demonstrationen für illegal erklärte, konterte die Berliner Polizei mustergültig: nur wegen der läppischen Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes erwäge sie „keine Änderung der bisherigen Praxis“.

Die Gesamtheit repressiver Praktiken ist eine reaktionäre Tendenz, die auf den „starken Staat“ abzielt und auf das Einverständnis vieler BürgerInnen zählen kann. In Sachsen werden AntifaschistInnen schon jetzt nach den Kategorien von (Staats-) Treue, die honoriert wird, und Verrat, der mit Hausdurchsuchungen endet, behandelt. Diese Entwicklung erinnert auch die letzten IdealistInnen der Demokratie an die gewalttätige Grundlage staatlicher Politik.

Und die wiederum erinnern uns an die Aufgaben einer radikalen Linken, die ihren Namen verdient: Es geht um die Bedingungen linksradikaler, gesellschaftskritischer und subversiver Interventionen. Es geht um den Selbstanspruch linker Politik. Und es geht um die Möglichkeiten, ihre Standpunkte weiterhin zu artikulieren. Um diese Standpunkte ist es schlecht bestellt: Radikale Veränderungen darf man nicht wollen, aber mit den radikalen Folgen dieser Ordnung sollen wir leben. Aus der Defensiven heraus, angesichts drohender Rückzugsgefechte, werden die Bedingungen linker und linksradikaler Politik immer weiter untergraben.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben uns in die Nischen von Jugendszenen und Subkulturen gezwängt. Wir müssen aufhören, das Beste aus dem Zwang zu machen. Der Zwang muss aufhören, auch wenn das bedeutet, Hand an einer Ordnung anzulegen, die auf Zwang aufbaut. Deswegen handeln wir nicht für den Staat, nicht für den Erhalt seines Gewaltmonopols, sondern auf eigene Rechnung. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen, mit denen uns dieses Gewaltmonopol konfrontiert.

 

Die Alternative wäre eine Gesellschaft ohne Opposition, ein Staat ohne Widerspruch. Es ist Zeit, diesen Widerspruch wieder auf die Straße zu tragen!


 DIE EINSCHLÄGE KOMMEN NÄHER – SCHLAGT ZURÜCK: HERAUS ZUR ANTIFADEMO AM 24. SEPTEMBER IN LEIPZIG!