05.08.2011 / Inland / Seite 5
»Freiburg21«: Nach Wagenburgräumung ging Polizei gegen weitere alternative Projekte vor
Von Ralf Wurzbacher
Die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Räumung einer Wagenburg in Freiburg halten an. In der Nacht zum Donnerstag drangen Polizeikräfte in das Autonome Kulturzentrum KTS vor und nahmen dort und in der Umgebung sechs Personen in Gewahrsam. Nach Angaben der städtischen Polizeipressestelle erfolgte der Einsatz als Reaktion auf eine Attacke gegen einen Streifenwagen mit Flaschen und Leuchtmunition. Die Autonome Antifa und Vertreter des Wagenburgkollektivs »Kommando Rhino« bestritten die Darstellung und warfen der Gegenseite vor, »nach ihrem katastrophalen Einsatz der vorangegangenen Nacht weitere Gewalt zu provozieren«.
Wie jW berichtete, war ein vom Wagenburgkollektiv »Kommando Rhino« zwei Jahre lang bewohnter Platz im Stadtteil Vauban am frühen Mittwoch morgen geräumt worden. Molotowcocktails, brennende Barrikaden und ein abgefackelter Bagger ließen Oberbürgermeister Dieter Saloman (Grüne) tags darauf über eine »neue Dimension an Gewalttaten« zürnen. »Kommando Rhino« verurteilte die durch Vermummte angeheizten Randale, wehrte sich zugleich aber gegen eine Diskreditierung der Proteste durch gezielt aufgebauschte und fehlerhafte Schilderungen der Ereignisse. Vor allem sei es die Unnachgiebigkeit der Stadtverwaltung, die zur Eskalation beigetragen habe, sagte ein Kollektivmitglied am Donnerstag gegenüber jW. »Noch nie hat es so massive Angriffe gegen unsere Szene und unsere Freiräume gegeben«, klagte er.
Nach einem Gemeinderatsbeschluß aus dem Jahr 1996 werden in Freiburg keine weiteren Wagenburgen auf städtischen Flächen zugelassen. Auf dem geräumten Gelände der lediglich geduldeten Wagensiedlung sollen demnächst ein Geschäftshaus und ein Hotel für Behinderte entstehen. Mögliche Alternativgrundstücke wurden von der Stadt zuletzt in einer nichtöffentlichen Sitzung abgelehnt. Sieben der einst über 30 Wagen sind von ihren Bewohnern inzwischen auf einen Platz in der Lise-Meitner-Straße gebracht worden. Laut einer Mitteilung der Autonomen Antifa Freiburg hat die Polizei am Mittwoch abend auch in dessen Umgebung sowie rund um die selbstorganisierte unabhängige Siedlungsinitiative SUSI »massive Präsenz« gezeigt. Wie im Falle des Kulturzentrums KTS hätten Einsatzkräfte versucht, ohne Durchsuchungsbeschluß in das alternative Wohnprojekt einzudringen. Beide Projekte sind legal.
An der nächtlichen Razzia im KTS waren laut Antifa 60 Beamte beteiligt, 15 Polizeibusse sperrten demnach die Umgebung ab, eine Notausgangstür sei dabei zu Bruch gegangen. Laut Polizeimitteilung wurden allein in der Nacht zum Donnerstag 51 Personen kontrolliert, die sechs Festgenommenen seien morgens wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Nach Meinung des bereits genannten Wagenburgbewohners dienen diese Schikanen dazu, »alle Wagenburgler und gleich die ganze linksalternative Szene in Verruf zu bringen, indem man sie pauschal für die Gewaltausbrüche bei der Räumung in Haftung nimmt«.
Vorläufig festgenommen wurden am Mittwoch auch zwei Journalisten, die bei den nach der Räumung anhaltenden Protesten zugegen waren. Einer der beiden wurde trotz vorhandenen Presseausweises zunächst zum Verlassen des Geländes aufgefordert und schließlich in Gewahrsam genommen. Nach Angaben des Betroffenen gegenüber jW wurde er dabei geschlagen, zu Boden geworfen, gegen ein Gitter gedrückt und über den Boden geschleift. Laut Haftrichterin habe er in das »Muster« der Personengruppe gepaßt, die in der Nacht militante Aktionen begangen hatte.
Scharfe Kritik an der Räumung übte gestern der Freiburger Kreisverband der Partei Die Linke. Die politisch Verantwortlichen hätten die Polizei zur Durchsetzung von Investoreninteressen mißbraucht, erklärte dessen Sprecher Dirk Spöri. »Damit erleben wir ›Freiburg21‹, die Wiederholung des Demokratiedesasters von ›Stuttgart21‹.«