Was hat der Ölteppich im Golf von Mexiko im letzten Jahr mit dem schwimmenden Müllberg im Nordpazifik zu tun, was der ausgeplünderte Amazonaswald mit dem Teersand in Kanada? Sie sind traurige Monumente eines ungezügelten menschlichen Ressourcenhungers. Damit der Natur künftig solche Katastrophen erspart bleiben und Umweltverbrechen international geahndet werden können, sollen Verbrechen gegen die Menschlichkeit um den Tatbestand des 'Ökozids' erweitert und vor den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in den Haag gestellt werden.
Dieser Vorschlag stammt von Polly Higgins, einer im London ansässigen Anwältin und Umweltaktivistin, den sie den Vereinten Nationen im April letzten Jahres unterbreitet hat. Bisher wird der ICC in Fällen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression aktiv. Angesichts des immer größer werdenden Ausmaßes der Umweltzerstörung reichten die bestehenden Umweltgesetze nicht aus, um die Ausrottung der Natur aufzuhalten, meint die Juristin.
Natur auf Rechtsbeistand angewiesen
Higgins definiert Ökozid als "extensive Zerstörung und Schädigung oder Verlust von Ökosystemen in einem bestimmten Gebiet durch menschliches
Handeln oder andere Ursachen in einem Ausmaß, das den Bewohnern jede Freude an dem Gebiet nimmt". Als Anwältin vergleicht sie den Planeten Erde gern mit einem "Mandanten, der dringend auf einen guten Rechtsbeistand angewiesen ist".
Mensch und Natur befinden sich Higgins zufolge in einem Teufelskreis: Durch die intensive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen werden Ökosysteme beschädigt oder zerstört (Ökozid), ein weiterer Ressourcenschwund ist die Folge. Konflikte und Kriege schließen sich an, die ihrerseits der Umwelt zusetzen.
Massive Übergriffe auf die Umwelt in Kriegszeiten werden bereits in den ICC-Rom-Statuten international geächtet. Auch das Übereinkommen über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken von 1977 stuft eine solche Zerstörung als
Unrecht ein. Higgins will mit ihrem Vorstoß eine Ausweitung dieser Verbindlichkeiten auch auf Friedenszeiten erreichen und dafür sorgen, dass
die Verursacher von Umweltverbrechen gezwungen werden, die Schäden an der Natur zu beheben. Bisher sei es üblich, Umweltverbrechen mit Bußgeldern zu ahnden. Viele Unternehmen verbuchten Geldbußen als externen Kostenfaktor.
David Hunter, Rechtswissenschaftler an der juristischen Fakultät der American University in Washington, sieht Lücken im internationalen Recht,
die es dringend zu schließen gebe. Gerade Entwicklungsländer seien für Umweltprobleme wie Giftmüll besonders anfällig, verfügten aber nicht über
ein robustes Rechtssystem, um sie zu lösen.
Hunter sieht in der Teersand-Produktion im kanadischen Alberta ein Beispiel für einen Ökozid, der seiner Meinung nach jedoch in naher Zukunft nicht
international geahndet wird. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl kritischer Stimmen, die das vorgeschlagene Ökozidgesetz als eine weitere 'grüne Provokation' betrachten, die darauf abziele, den Wohlstand durch eine Kriminalisierung notwendiger Wirtschaftsaktivitäten zu zerstören.
"Trivialisierung des Völkermords in Ruanda"
Diese Meinung vertritt auch Wesley J. Smith, Experte am 'Discovery Institute', einer christlich-konservativen Denkfabrik im US-amerikanischen
Seattle. In einem Meinungsbeitrag für die Mai-2010-Ausgabe der neokonservativen Zeitschrift 'Weekly Standard' argumentierte er, dass die
Gleichsetzung des Ressourcenabbaus und/oder der Umweltzerstörung mit Völkermord wirkliche Verbrechen wie den Genozid in Ruanda trivialisiere.
Higgins betont, dass ihr Vorschlag über das Ziel hinausgeht, destruktive Aktivitäten zu stoppen oder die Täter zu bestrafen. "Wir lassen Spielraum
für Amnestien", sagt sie. So soll Unternehmen eine Übergangszeit für eine Umstellung auf grüne Lösungen eingeräumt werden. "Schließlich brauchen wir die großen Konzerne, um das Ruder des sinkenden Schiffs möglichst schnell herumzureißen", sagt sie. "Sie verfügen über die Fähigkeiten und die
Arbeitskräfte."
Higgins zufolge ist es wichtig, künftige Verhandlungen ohne Schuldzuweisungen zu führen. "Denn derzeit sind wir alle Komplizen. Die Energie in meinem Haus kommt nicht aus erneuerbaren Quellen, so sehr ich mir das auch wünsche. Und wenn ich Auto fahre, verbrauche ich Benzin." Außerdem habe einer ihrer Vorfahren, Patillo Higgins, Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA eines der größten Erdöllager entdeckt.