Die Kampagne “Fence Off” gegen das Leipziger Nazi-Zentrum in der Odermannstraße 8 läuft seit Februar diesen Jahres. In diesem Artikel soll erklärt werden, was das Nazi-Zentrum in Leipzig ist und worum es bei der antifaschistischen Kampagne "Fence off" geht.
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Berichte
auf Indymedia: Demonstration gegen
das Nazi-Zentrum in LE; Leipzig: Rot ist der
Mai; Leipzig:
Viel los am letzten Wochenende
1: Was ist das Nazi-Zentrum?
In
der Lindenauer Odermannstraße 8 wurde am 15. November 2008 das so
genannte Nationale Zentrum eröffnet, im Szene-Slang wird es „Odi“ oder
schlicht „O8“ genannt. Dahinter verbirgt sich offiziell ein
Abgeordnetenbüro des NPD-Landtagsmitglieds Winfried Petzold.
Tatsächlich
ist das Grundstück Anlaufpunkt für die gewaltbereite Neonazi-Szene aus
dem Großraum Leipzig. Für deren Treffs stehen auf dem Grundstück zwei
Gebäude zur Verfügung. Die politische Arbeit, die dort geleistet wird,
hat weit über Leipzig hinaus entscheidende Bedeutung für Nazistrukturen:
Hier wird deren Nachwuchs geschult und gezielt agitiert. Je nach Anlass
fungiert das Nazi-Zentrum als Rückzugsort nach oder Sammelpunkt vor
rechten Aktionen – und immer geht es dabei um Propaganda für den
Nationalsozialismus. Nach innen ist das Nazi-Zentrum eine Kaderschmiede,
nach außen Trutzburg gegen alle Widerstände und ein Versuch der lokalen
Verankerung.
2: Wer ist winfried Petzold?
Der
1943 geborene Winfried Petzold wohnt in Roda bei Mutzschen (Landkreis
Leipzig) und ist seit 1995 NPD-Mitglied, für die er erstmals 2004 und
erneut 2009 in den sächsischen Landtag einzog. Von 1998 bis 2009 war
Petzold Landesvorsitzender der Partei, heute ist er „Ehrenvorsitzender“
des Landesverbandes. Und er hat seiner Partei schon alle Ehre gemacht.
Im Zuge des Kommunalwahlkampfes 2009 wurden er sowie der Vize-Landeschef
und Vorsitzende des Leipziger Kreisverbandes, Helmut Herrmann, von der
Polizei ertappt: Sie beaufsichtigten am 19. Mai jüngere Kameraden beim
Abreißen von Wahlplakaten der Linken und dem Ersetzen durch NPD-Plakate.
Auch
Petzolds politische Ansichten stehen außer Zweifel: Kurz vor seinem
ersten Landtagseinzug sprach er im Spiegel von einem „zweifellos
bevorstehenden Endkampf“. Außerdem sei es für viele Jugendliche „Teil
der eigenen Identität, Landser oder Sturmtrupp zu hören, einen deutschen
Kurzhaarschnitt zu tragen und sich im NPD-Umfeld zu engagieren“.
Infolge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen Petzold wurde im
Oktober 2006 seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben.
3:
Wie ist das Nazi-Zentrum entstanden?
Pläne für das
Nazi-Zentrum existierten offenbar seit 2005. Das Grundstück befand sich
vormals im Besitz der Familie Petzolds. Allerdings beantragte Winfried
Petzold im Jahr 2004 die Privatinsolvenz und überschrieb die
Eigentümerschaft, also den Grundbucheintrag, auf einen Steven Hahn aus
Grimma. Bei ihm handelt es sich offenbar um einen Strohmann, der in
Grimma nur über eine Briefkasten-Anschrift verfügt.
Im Mai 2006
wurde für das Grundstück eine Baugenehmigung beantragt. Laut Antrag
sollte auf dem Areal ein neues Mehrzweckgebäude errichtet und als
Atelier, Lager, Hobbyraum sowie für Promotion- und Schulungszwecke
genutzt werden. Vier Monate später erteilte die Stadt Leipzig die
Baugenehmigung. Der Antrag wurde nicht beanstandet, weil ihm „keine
öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen standen“. Aus Gründen des
Denkmalschutzes wurde lediglich eine durchgehende, „blickdichte
Einfriedung mit einer Mindesthöhe von 1,80 m“ gefordert. Der Metallzaun,
der das Nazi-Zentrum schützt, war demnach eine Auflage der Stadt.
Neben
dem schon vorhandenen zweistöckigen Wohnhaus entstand in den folgenden
Monaten der genehmigte Anbau. Die Herrichtung des Grundstücks geschah
dabei in Eigenleistung und unter tatkräftiger Hilfe jener Neonazis, die
es später hauptsächlich nutzten würden.
4: Wie wird das
Nazi-Zentrum finanziert?
Als Landtagsmitglied stehen
Petzold pauschale Leistungen der öffentlichen Hand zu. Aus diesen
Mitteln werden Mitarbeiter finanziert, aber auch Aufwendungen für
Arbeitsmaterial und den Betrieb von Wahlkreisbüros. Monatlich steht
jedem Landtagsmitglied neben der Diät (knapp 5000 Euro) eine steuerfreie
Kostenpauschale in Höhe von 2000 bis 3000 Euro zu, für deren Verwendung
keine Rechenschaft verlangt wird. Im Nazi-Zentrum steckt wahrscheinlich
eine stattliche Summe des Freistaates Sachsen.
Eine zweite
Einnahmequelle sind inoffizielle Mietzahlungen, die an die NPD
zurückfließen. So verlangt die Partei von den Hauptnutzern der
Odermannstraße 8 – den Freien Kräften – monatlich 800 Euro. Die Freien
Kräfte decken diese Summe über Spenden sowie Einnahmen aus dort
stattfindenden Konzerten und Partys. Zudem wurde im Sommer 2010 ein
Werbeschild auf dem Grundstück aufgestellt. Darauf wirbt derzeit der
neonazistische Textilversand Ansgar Aryan für seine Kollektion. Dessen
Inhaber, Daniel Kilian aus Oberhof, revanchiert sich dafür mit Spenden
an das Nazi-Zentrum.
5: Was will die NPD in Lindenau?
Entgegen
dem offiziellen Zweck des Nazi-Zentrums gibt es dort eines nicht: ein
„Bürgerbüro“. Für dieses sind weder Sprechzeiten ausgeschrieben, noch
könnten interessierte BürgerInnen Zugang erhalten – nicht mal eine
Klingel ist installiert. Ein kurz nach der Eröffnung angekündigter „Tag
der offenen Tür“ ist niemals anberaumt worden. Tatsächlich ist Winfried
Petzold ein selten gesehener Gast in Lindenau.
Immerhin verfügt
die NPD mit dem Nazi-Zentrum über einen sicheren Treffpunkt. Bis 2007
versammelten sich die Anhänger des Kreisverbandes konspirativ im
Vereinslokal der Gartensparte Trommelholz (Stadtteil Möckern). Unter dem
Tarnnamen Freundeskreis Deutschland kam es zu regelmäßigen
Mitgliederversammlungen und Vortragsabenden. Im März 2007 ist das
Vereinslokal niedergebrannt und stand der Partei fortan nicht mehr zur
Verfügung. Sie konnte aber sofort ausweichen auf das Haus Leipzig in der
Elsterstraße unweit des Stadtzentrums. AntifaschistInnen haben darauf
mit Spontandemonstrationen reagiert und die Partei wechselte ihr Domizil
erneut: Weiter ging es unter dem Tarnnamen Geschichtlicher
Gesprächskreis und unter massivem Polizeischutz in der wenig später
geschlossenen Kneipe Lokomotion am Rande des Stadtteils Connewitz.
Durch
das Nazi-Zentrum in Lindenau fand der Wanderzirkus eine dauerhafte,
weitgehend ungestörte Bleibe. Mehrfach sind dort Veranstaltungen mit
führenden NPD-Aktivisten – bis hin zum Parteichef Udo Voigt im Juni 2010
– organisiert worden.
6: Was passiert hinter dem Zaun?
In
der Odermannstraße 8 gibt es politische Vortragsveranstaltungen,
Schulungs- und Kameradschaftsabende, Szene-Feiern und rechte Konzerte.
Die Freien Kräfte trainieren hier außerdem Kampfsport – also die
Auseinandersetzung mit dem „politischen Gegner“. Um ihn zu erspähen
liegen Nazis gelegentlich mit Feldstechern auf dem Dach oder
patrouillieren durchs Viertel.
Einige Male war die Odermannstraße
bereits Ausgangspunkt rechter Kundgebungen, beispielsweise am 5.
Dezember 2008 und dem 28. November 2009. Am 18. Januar 2009 wollte die
NPD auf dem nahe gelegenen Lindenauer Markt Bürgernähe beweisen mit
einer Gulaschkanone, die aus dem Nazi-Zentrum herangerollt wurde. Dieses
bietet bei Bedarf auch Schutz – etwa einer Gruppe Dortmunder Nazis, die
am 17. Oktober 2009 an einem Nazi-Aufmarsch in Leipzig teilgenommen
hatten und ihren Heimweg wegen eines beschädigten Busses nicht mehr
antreten konnten. Oder mehr als 100 Nazis, die sich beim Versuch eines
Spontanaufmarsches am 16. Oktober 2010 vor Polizei und
GegendemonstrantInnen in die Odermannstraße 8 „retteten“ und dort
mehrere Stunden ausharren mussten.
Hinter dem Zaun werden
außerdem interne Treffen von Szene-Kadern abgehalten. Zu einem solchen
Treffen von etwa 20 führenden Köpfen kam es beispielsweise am 24. Januar
2010. Dabei wurden Vorbereitungen für den alljährlichen Naziaufmarsch
zum 13. Februar in Dresden getroffen und ein „Sicherheitskonzept“
erarbeitet – sowohl um die Gefolgschaft zu disziplinieren, als auch
GegendemonstrantInnen fern zu halten. Der aus diesem Treffen
hervorgegangene Ordnungsdienst ist mittlerweile bei mehreren Aufmärschen
der Freien Kräfte und Veranstaltungen der NPD zum „Einsatz“ gekommen.
7:
Wer hat im Nazi-Zentrum das Sagen?
Für die „Verwaltung“
waren zunächst Nils Larisch und Enrico Böhm zuständig. In ihrem
persönlichen und politischen Umfeld bildete sich ein namenloses Gremium
aus weiteren Neonazis, die sich für Bewirtschaftung und Sicherheit des
Grundstücks zuständig erklärten. Daneben wurde bereits im Oktober 2008 –
unmittelbar vor Eröffnung des Nazi-Zentrums – der Kulturverein
Leipzig-West ins Vereinsregister aufgenommen. Dieser Vorfeld-Verein, der
bislang nicht öffentlich aufgetreten ist, beansprucht Gemeinnützigkeit
und agiert laut Satzung im Interesse des „Heimatgedankens“ und der
„Völkerverständigung“.
Tatsächlich sind sämtliche Mitglieder des
Kulturvereins bekannte Nazi-Aktivisten, sowohl aus den Reihen der NPD,
als auch der Freien Kräfte. Seit April 2009 hat der Verein sein Domizil
in der Odermannstraße 8. Er gilt als institutionelle Stütze des
Hausprojekts, genießt Steuererleichterungen und ermöglicht das Einwerben
von Fördermitteln. Außerdem hat er organisatorische Bedeutung, denn
laut Satzung schafft er – ganz passend zu seinem Wirkungsort –
„Begegnungs- und Kommunikationsmöglichkeiten für den aktiven
Meinungsaustausch“, initiiert „Diskussions- und Vortragsveranstaltungen“
und koordiniert „Arbeitseinsätze“.
Indes ist die Kontrolle über
den Verein umkämpft, mehrfach wurden Posten neu verteilt. Formal gesehen
musste der Verein daher drei Mal gegründet werden. Das Durcheinander
hat nicht zuletzt die Freien Kräfte verstört, die mittlerweile erklärt
haben, das Nazi-Zentrum stehe unter ihrer „Selbstverwaltung“.
8:
Wer verkehrt im Nazi-Zentrum?
Neben Mitgliedern der NPD
wird das Nazi-Zentrum hauptsächlich von so genannten Freien Kräften
genutzt. Diese sind im Freien Netz organisiert, einer gewaltbereiten
Nazi-Vernetzung, die den „nationalen Sozialismus“ propagiert. Viele
ihrer Anhänger sind zugleich Mitglied in der NPD-Jugendorganisation
Junge Nationaldemokraten (JN). Zum 20. April 2008, dem
„Führergeburtstag“, wurde eine neue JN-Gruppe in Leipzig aus der Taufe
gehoben – natürlich im Nazi-Zentrum. Die Gründungsfeier für vier weitere
JN-Gruppen in Delitzsch-Eilenburg, Torgau, Oschatz und Wurzen fand im
November 2009 ebenfalls in der Odermannstraße 8 statt.
Innerhalb
der JN gibt es seit 2009 außerdem eine Interessengemeinschaft (IG) Fahrt
und Lager, an der sich auch Leipziger Nazis beteiligen. Seit dem Verbot
der neonazistischen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) im März 2009
tritt die „IG“ verstärkt in Erscheinung und bildet quasi ihre
Nachfolgeorganisation. Unter dem „IG“-Label richten mittlerweile auch
Leipziger JN-Kameraden „Lagerfahrten“ aus. Ihren eigenen Berichten
zufolge absolvieren sie dabei auch Übungen aus dem Wehrsport-Bereich.
Trotz
politischer Reibungspunkte ist besonders in Leipzig zu beobachten, dass
die Nähe der größtenteils sehr jungen JN-Mitglieder zur NPD seine Reize
hat: Das grundgesetzliche Parteienprivileg schützt vor manchen
Ermittlungen. Zudem können Infrastruktur und materielle Ausstattung der
Mutterpartei angezapft werden – was im Falle des Nazi-Zentrums zu
funktionieren scheint.
Davon profitieren neben diesen Kameraden
auch einige Jugendliche aus dem Viertel, die das Nazi-Zentrum
frequentieren, sowie Hooligan- und Ultra-Cliquen aus dem Umfeld des 1.
FC Lokomotive, die als rechts-offen gelten. Am bekanntestens sind die
Blue Caps LE, die hier ihre Postadresse haben und deren Anführer Enrico
Böhm zugleich einer der führenden Köpfe der hiesigen Naziszene ist. Die
Klientel, die sich in der Odermannstraße trifft, ist folglich eine
Schnittmenge mehrerer Subkulturen. Nazis können dadurch weit über die
Grenzen ihrer eigenen Szene hinaus an direktem Einfluss gewinnen.
9:
Ist das Nazi-Zentrum bewohnt?
Einige Räume im
zweistöckigen Gebäude sind als Wohnraum deklariert. Tatsächlich haben
drei Nazis als offiziellen Wohnsitz die Odermannstraße 8 angeben:
Winfried Petzold, Nils Larisch und Enrico Böhm. Alle drei sind 2009 für
die NPD zur Kommunalwahl in Leipzig angetreten, was einen Wohnsitz in
derselben Stadt voraussetzt. Das trifft für Petzold faktisch nicht zu:
Er wohnt und lebt auf seinem Grundstück in Roda bei Mutzschen (Landkreis
Leipzig). Larisch, ein Althool des 1. FC Lokomotive, wohnt in
Mockau-Nord und ist in Dresden tätig – als technischer Mitarbeiter der
NPD-Landtagsfraktion. Böhm kommt ebenfalls aus dem Fußball-Umfeld. Die
Odermannstraße 8 ist die offizielle Anschrift seiner Hooligan-Gruppe
Blue Caps LE.
Dass tatsächlich einer von ihnen im Nazi-Zentrum
wohnt und nächtigt, ist äußerst zweifelhaft: Die Ummeldung nach Lindenau
war Mittel zum Zweck, um 2009 zur Kommunalwahl antreten zu dürfen.
10:
Geht vom Nazi-Zentrum Gefahr aus?
Neben der
systematischen Schulung in Sachen nazistischer Politik geht vom
Nazi-Zentrum auch eine körperliche Bedrohung aus: Dokumentiert sind
mehrere Einschüchterungsversuche gegen und teils bewaffnete Übergriffe
auf AnwohnerInnen und PassantInnen sowie Personen, die für „links“
gehalten wurden. Kurz nach der Eröffnung des Nazi-Zentrums wurde zudem
ein Mitarbeiter eines nahe gelegenen Kinderbuchladens bedroht. 2009
wurde außerdem versucht, in einem nahe gelegenen Schulclub zu agitieren.
Und
dabei bleibt es nicht: In der Nacht auf den 21. Dezember 2008 haben
Lok-Hooligans bei einer vorgeblichen „Sonnenwendfeier“ heftig in der
Odermannstraße „gefeiert“ und nebenbei zwei PassantInnen bedrängt und
verfolgt. Als sich die Polizei blicken ließ, wurde diese angegriffen.
Die Presse sprach nachher von „Krawallen“ und einer regelrechten
„Straßenschlacht“ mit der Polizei, die von den Besuchern des
Nazi-Zentrums angezettelt worden ist.
Was will die
Kampagne "Fence off"?
Alles hat ein Ende…
und das
werden wir nun dem Nazi-Zentrum im Stadtteil Lindenau bereiten. Seit
mehr als zwei Jahren gibt es hier, in der Odermannstraße 8, einen
Treffpunkt der Neonazi-Szene. Die beiden Gebäude auf dem Grundstück
werden zum einen als „Bürgerbüro“ Winfried Petzolds genutzt, eines
Landtagsabgeordneten der faschistischen NPD. Zum anderen treffen sich
dort Leipzigs Freie Kräfte, die sich zum „nationalen Sozialismus“
bekennen und sich der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten
(JN) angeschlossen haben.
Für rechte Aktivisten muss das
Nazi-Zentrum wie ein brauner Abenteuerspielplatz erscheinen: Hinter
einem blicksicheren Zaun gibt es Kampfsporttraining,
Kameradschafts-Abende, Rechtsrock-Konzerte und politische Schulungen.
Auf dem Dach liegen Szene-Aktivisten und spähen mit Feldstechern die
Umgebung aus – auf der Suche nach ‚Gegnern’. Wiederholt kam es zu
verbalen Bedrohungen und körperlichen Übergriffen in und um die
Odermannstraße. Die Einschüchterungs-Versuche der rechten Patrouillen
richteten sich gegen AnwohnerInnen, MusikerInnen einer Samba-Band, die
auf dem nahe gelegenen Lindenauer Markt geprobt haben, gegen
FahrradfahrerInnen, die zufällig durch die Odermannstraße fuhren, sowie
einen nahe gelegenen Kinderbuchladen.
In den zwei Jahren seines
Bestehens hat es zwar eine Handvoll Aktionen, Kundgebungen und
Demonstrationen gegen das Nazi-Zentrum gegeben, aber das hat noch nicht
genügt. Unsere Kampagne soll ein Anlass sein, diese Versuche nicht
einzustellen, sondern zu verstärken – also die Auseinandersetzung nicht
zu entspannen, sondern zu verschärfen, und die Zustände nicht einzeln zu
beklagen, sondern das Nazi-Zentrum mit vereinten Kräften loszuwerden.
Dafür gibt es gute Gründe:
Rückzugsorte
Mitte
November 2008 ist das Nazi-Zentrum eröffnet worden. Seine bisher
weitgehend unbehelligte Existenz ist ein Beleg für eine nach wie vor
aktive Naziszene. Deren Gefolgschaft, die sich in der Odermannstraße
trifft, ist im überregionalen Freien Netz organisiert, deren Kader in
der Vorbereitung rechter Aktionen und Aufmärsche fest eingebunden. Diese
politische Arbeit hat Kontinuität, und sie zielt auf die Verbreitung
nationalsozialistischer Propaganda und den Aufbau von Angsträumen für
nicht-rechte Menschen. Diese Angsträume sind längst Realität: Im Jahr
2010 verübten Neonazis fast 20 Brandanschläge in Sachsen, die sich
vornehmlich gegen Geschäfte und Wohnungen von MigrantInnen, Parteibüros,
Jugendclubs und zivilgesellschaftliche Initiativen richteten.
Auch
in Leipzig gab es solche Aktionen: Im November 2008 gab es im Leipziger
Stadtteil Grünau einen Brandanschlag auf das Stadtteilzentrum
Komm-Haus, in dem sich auch eine Bürgerinitiative trifft, deren
Mitglieder sich gegen Nazis engagieren. Mittlerweile haben die
Neonazi-Aktivitäten in Leipzig wieder Ausmaße angenommen wie zuletzt
Ende der 1990er Jahre, als der Schwerpunkt der rechten Umtriebe noch in
Grünau lag: Der dortige Treff 2 im städtischen Kirschberghaus war von Nazis
dominiert und zum regelrechten Nazi-Zentrum ausstaffiert worden. Dieser
Rückzugsort ging im Jahr 2000 verloren – vor allem dank des massiven
Drucks, den AntifaschistInnen auf der Straße aufgebaut haben.
Ein
Jahrzehnt darauf hat der Schauplatz jedoch nur um wenige Kilometer
gewechselt: Heute ist die Odermannstraße unzweifelhaft der Knotenpunkt
der regionalen Naziszene. Nach deren Scheitern in Grünau und weiteren
Versuchen, beispielsweise in den Stadtteilen Reudnitz und Großzschocher
die Kieze zu dominieren, ist die Verankerung in Lindenau vorläufig
gelungen. Neben NPD- und Kameradschafts-Gruppen verkehren in der
Odermannstraße längst einige Jugendliche aus dem Viertel und Hooligans
des 1. FC Lokomotive wie die Blue Caps LE. Auch sie haben ihren
Treffpunkt im Nazi-Zentrum, ziehen sich nach Übergriffen dorthin zurück –
oder zetteln Ausschreitungen gleich vor dem Metallzaun an.
Kaderschmiede
Damit
gelingt es nicht nur, eine eigene rechte, „erlebnisorientierte“
Jugendkultur zu prägen, sondern auch, in andere Subkulturen
hineinzuwirken und nazistische Standpunkte im Alltag zu normalisieren
und zu stärken. Ein Beispiel dafür ist der seit August 2010 im
Windschatten der Integrations-„Debatte“ kursierende anonyme Appell zur
Aufstellung einer „Bürgerwehr“ in Volkmarsdorf, um gegen dort lebende
Sinti und Roma vorzugehen. Hinter dem rassistischen Aufruf stehen
Sympathisanten der NPD – der Partei, die auch die legale Fassade und die
materielle Ausstattung für das Nazi-Zentrum stiftet.
„Fassade“
ist hierbei wörtlich zu nehmen, denn das dortige NPD-„Bürgerbüro“ hat
weder Hausnummer, Klingel noch Sprechzeiten. Der Partei, die seit 2009
mit zwei Abgeordneten im Stadtrat sitzt, ist an Öffentlichkeit, zumal
einer kritischen, nicht viel gelegen. Die Strategie besteht in einer
Institutionalisierung der rechten Szene – es geht um das Heranziehen von
Gefolgschaft. Dass die führenden Köpfe der hiesigen Naziszene zugleich
Mitglieder der JN sind, ist daher kein Zufall: Fast alle heutigen
Parteifunktionäre haben eine JN-Laufbahn hinter sich. Tommy Naumann,
einer der Rädelsführer der Leipziger Naziszene, ist zeitgleich mit der
Eröffnung des Nazi-Zentrums „Anführer“ der sächsischen JN geworden.
Die
Odermannstraße 8 ist die Kaderschmiede für den rechten Nachwuchs. Und
dieser geht selbstbewusst zur Sache: Anfang 2010 gründete sich in der
Odermannstraße ein Ordnerdienst, der bei Aufmärschen und
Saalveranstaltungen von NPD und Freien Kräften selbst ‚Bürgerwehr‘
spielen darf. Diese Doppelstrukturen von Partei und Kameradschaften – so
brüchig sie auch sein mögen – haben für die Naziszene Modellcharakter.
Aufmarschgebiete
Möglich
werden diese Aktivitäten erst durch ein niemals ausgebildetes
Problembewusstsein – weder im Falle des Kirschberghauses, noch des neuen
Nazi-Zentrums. Was früher die akzeptierende Jugendsozialarbeit mit
Nazis leistete, besorgt heute, weit umstandsloser, eine schiere
Akzeptanz von Nazis. So wurden 2008 regelmäßige Treffen der NPD im Haus
Leipzig genauso geduldet, wie einige Aufmärsche der Freien Kräfte nur
dadurch möglich waren, dass sie von den Behörden verschwiegen worden
sind. Sämtliche Anfragen zum Nazi-Zentrum sind von der Stadt abgeblockt
worden und der Kulturverein Leipzig-West, in dem sich die Nutzer der
Odermannstraße 8 zusammengeschlossen haben, beansprucht sogar
Gemeinnützigkeit. Damit werden Naziaktivitäten nicht nur toleriert,
sondern von Amts wegen honoriert.
Vor diesem Hintergrund ist auch
dem 2006 gestellten Bauantrag für das Lindenauer Grundstück von den
Behörden nach kurzer Zeit stattgegeben worden, Bedenken hegte man nur
hinsichtliches des Denkmalschutzes. Auch dieser Umstand macht klar, dass
man mit Nazis prinzipiell kein Problem hat – im Gegensatz zum Umgang
mit MigrantInnen: So sind die jüngsten Planungen für ein neues
AsylbewerberInnen-Heim nur unter der rassistischen Bedingung zustande
gekommen, dass dessen BewohnerInnen fernab kultureller, sozialer und
Bildungseinrichtungen und weit entfernt von Wohngebieten in
abgeschotteten ‚Wohncontainern’ untergebracht werden.
Ein Appell
an die Vernunft der Kommunalpolitik ist folglich sinnlos. Sie hat den
Kompromiss gesucht und sich mit dem akuten Naziproblem in einem
ordnungspolitischen Arrangement eingerichtet, statt dieses zu bekämpfen.
Dieses Arrangement kommt immer nur dann an seine Grenzen, wenn die
Nazis die Stadt mit Großereignissen überziehen, wie die beiden
Großaufmarsch-Versuche in Leipzig im Oktober 2009 und 2010 zeigten. Dies
bedeutet aber zugleich, dass die Stadt gegen die Zustände in und um die
Odermannstraße nicht mehr als Lippenbekenntnisse zustande bekommt. Ihr
völliges Schweigen zu dem durch Nazis verübten Mord an dem 19. jährigen
Kamal K. im Oktober 2010 in Leipzig treibt die Ignoranz der
Kommunalpolitik vollends auf die Spitze.
Von einer inhaltlichen
Auseinandersetzung, Kritik und Zurückweisung nationalsozialistischer
Positionen ganz zu schweigen. Denn der Problemaufriss, der mithin in der
Presse geleistet wird, übergeht weit verbreitete nationalistische und
rassistische Standpunkte, die auch außerhalb der Naziszene ihre
FürsprecherInnen finden. Statt diese Standpunkte zu kritisieren, was
seitens der Lokalpresse Selbstkritik voraussetzt, wird auf die Bedrohung
durch einen abstrakten „Extremismus“ verwiesen – ganz so, als sei eine
‚linke’ Schneeballschlacht [14] vergleichbar mit rechten Morden, die
seit der ‚Wiedervereinigung’ in Leipzig sechs Opfer gefordert haben.
Auch in diesen Fällen waren und sind sich Behörden und Medien einig: Das
Problem seien nicht die Nazis, nicht deren Ideologie.
Zum
Naziaufmarsch der Freien Kräfte im Oktober 2009 riefen Oberbürgermeister
und die Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat die Leipziger BürgerInnen
auf, der Demonstration der „nationalistischen Brunnenvergifter […]
entgegenzutreten“, natürlich „besonnen und gewaltfrei“ – also erstens
ohne Reflexion, wie die unkritische Anknüpfung an jene antisemitische
Vokabel belegt, und zweitens mit Mitteln, die von vorn herein als
wirkungslos ausgewiesen sind im Vergleich zur Ordnungsmacht der Polizei.
Der Aufbau von Angsträumen, die Schaffung schwer anzutastender
Aufmarschgebiete geschieht genau auf diesem Fundament. Es schließt ein
konsequentes Vorgehen gegen Neonazis von Staats wegen aus.
Experimentierfelder
An
diesem Fundament muss rütteln, wen das Nazi-Zentrum stört. Uns stört es
gewaltig, denn wir wollen uns nicht von Nazis einschüchtern und
bedrohen lassen. Dieses Anliegen weist über die Grenzen der Stadt
hinaus, wie das Nazi-Zentrum längst überregionale Bedeutung erlangt hat.
Es handelt sich nicht um einen „normalen“ Jugendtreff, denn hier
versammeln sich die führenden Kader, hier erhalten Naziaktivisten ihr
ideologisches Rüstzeug, hier starten Aufmärsche und hier wird rechte
Propaganda produziert, die im ganzen Bundesgebiet Verbreitung findet.
Die Nazi-Netzwerke funktionieren, gerade weil es solche geschützten
Räume wie in Lindenau gibt.
Mit diesem Stützpunkt im Rücken ist
die Stadt für die rechte Szene ein Experimentierfeld geworden. Bei den
beiden vergangenen Naziaufmärschen wurden militante Optik der autonomen
Nationalisten, die Hetz-Parolen des Freien Netzes und die Infrastruktur
der NPD kombiniert; eine Mischung, für die sich 2009 fast 1400 Nazis
begeistert haben und aus allen Ecken der Republik angereist sind.
Im
Jahr darauf war die Beteiligung zwar wesentlich geringer, aber das
Konzept ein neues: Statt eines zentralen Aufzuges gab es koordinierte
„Spontan“-Aufmärsche. Auf der Website des Aktionsbündnis Leipzig
(vormals Freies Netz Leipzig) wurde vorweg getönt, man werde Leipzig mit
dieser Taktik eine „Pogrom-Nacht“ bescheren. In einem anderen Text hieß
es, womöglich würden „an diesem Tag in Leipzig Pistolenschüsse fallen.“
Der Übergang von rohen Gewaltphantasien zu kompromissloser
Gewaltanwendung ist fließend, das hat der Anrgiff von etwa 50 Neonazis
auf Fans und Spieler des Roten Stern Leipzig am 24. Oktober 2009 in
Brandis gezeigt. Auch im Umland sind rechte Angsträume bittere Realität.
Klare
Antworten
Diese Realität bekämpfen wir und überlassen
den Nazis kein Haus, keine Straße, keinen Kiez. Ihre politischen
Strukturen gehören zerschlagen, das Nazi-Zentrum in der Odermannstraße
abgerissen. Unsere Kampagne wird dieses Versprechen auf die Straße und
überall dorthin tragen, wo Nazis ihre Propaganda verbreiten, sich
versammeln oder verstecken. Gegen sie verteidigen wir unsere
Vorstellungen eines selbstbestimmten Lebens, einer fortschrittlichen
Jugendkultur und einer emanzipierten Gesellschaft. Dazu kann jedeR
beitragen.
Und jeder Beitrag zählt, denn die wirksamste Antwort
auf eine starke rechte Bewegung ist eine starke antifaschistische
Bewegung. Die Antwort auf Nazi-Zentren ist ihre Isolation, Schließung
und Abriss. Wir sind der Ansicht, dass dies auch in Lindenau geschehen
muss, und zwar mit allem zu verantwortenden Nachdruck. Das heißt: auf
allen Ebenen – mit allen Mitteln.