Arme müssen nach drüben

Erstveröffentlicht: 
08.05.2011

Sorgt der MIETSPIEGEL für Hartz-IV-freie Stadtteile? Zwei Alternativen für Herdern

Ausgerechnet der Mietspiegel verschärft das geogra-phische Arm-Reich-Gefälle, denn er erschwert es, in Freiburgs teureren Stadtteilen sozialen Wohnbau zu betreiben. Zumindest wenn man neu baut — mit dem Altbestand geht's sozialer, sagt eine Initiative.

 

JENS KITZLER


Was Stadtbau-Chef Ralf Klausmann vergangene Woche gesagt hatte, klang für Kritiker, als hätte der soziale Wohnungsbau endgültig vor dem Markt kapituliert: Auf den Grundstücken der zum Abriss freigegebenen Gebäude in der Johann-Sebastian-Bach-Straße könne das städtische Wohnbauunternehmen keine für Harz-IV-Empfänger bezahlbare Wohnungen bauen, hatte Klausmann erläutert. Denn bliebe man, wie im geförderten Wohnungsbau verlangt, drei Euro unter der für diese Gegend festgestellten Vergleichsmiete von 11,50 Euro pro Quadratmeter, käme mit 850 Euro immer noch eine weit über der Obergrenze für Sozialhilfeempfänger (6,50 Euro) liegende Miete heraus.

Was auf den ersten Blick hieße, dass ausgerechnet der Mietspiegel den sozialen Wohnungsbau in den teureren Wohnvierteln behindert. Und dass sich die sozialen Wohnungsunternehmen dieser Entwicklung beugen müssen, also in gehobenen Vierteln nichts Billiges mehr anbieten können. Die Folge: die fortgesetzte geographische Trennung von Arm und Reich. ‚Wird Herdern Hartz-IV-freie Zone?", titelte ein Flugblatt provokant.
So dramatisch sei die Sache nicht, erklärt Stadtbau-Chef Ralf Klausmann: „Dort sind einfach drei Probleme gleichzeitig zusammengekommen': Nämlich teure Grundstücke, ein Bebauungsplan, der nur zweieinhalb Stockwerke und folglich wenig vermietbare Fläche erlaube — und eben der Mietspiegel. „Bei diesen Faktoren können wir nicht so rentabel bauen, dass wir die Miete noch senken könnten."
Deswegen lasse die Situation in Herdem nicht zwingend den Schluss zu, so Klausmann, dass der soziale Wohnungsbau aus allen gehobenen Vierteln weichen müsse. Dass aber auch Zahlen in seinem Unternehmen auf eine soziale Segregation in der Stadt hinweisen, bestreitet er nicht: ‚Wir haben rund 3000 sozial gebundene Wohnungen, davon befinden sich nur 300 östlich der Bahnlinie." Dort, wo in Freiburg die „besseren" Stadtteile liegen.
„Ein ganz schwieriges Thema", sagt Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach, „die Debatte muss geführt werden': „Die Trends der 70er-Jahre mit dem Sozialwohnungsbau im Westen der Stadt sind so nur noch schwerer umzukehren': Auch was Bildungsabschlüsse anginge, zeige sich das Ost-West-Gefälle ganz deutlich.

Rund 30 Personen haben sich am Mittwoch im Vorderhaus getroffen, um sich das Gegenkonzept anzuhören. Dass die Rentabilitätsrechnung der Stadtbau stimmt, glaubt man auch bei der alternativen Häuserprojekt-Initiative „Mietshäuser-Syndikat" — solange man immer von Neubauten ausgeht. „Die sind schnell dabei, dem Altbestand die Unwirtschaftlichkeit zu bescheinigen", sagt Stefan Rost vom Syndikat. Deswegen hat die Gruppierung, durchaus eine erfahrene Institution, was den rentablen Erhalt von Altbauten angeht, Eckwerte durchgerechnet, wie man die 95 Wohnungen in der Johann-Sebastian-Bach-Straße sanieren und mit bezahlbaren Mieten ausstatten könnte. „Die Zahlen zeigen, dass es knapp wird, beim ehrgeizigen Ziel, nicht über sieben Euro pro Quadratmeter zu kommen", sagt Rost. „Aber sie zeigen auch, dass es möglich ist." Am 11. Mai will das Syndikat sein Konzept auch dem Stadtbau-Chef vorstellen. "Vielleicht höre ich dann ja etwas, was wir nicht be rücksichtigt haben", sagt Ralf Klausmann. Eine Alternative hat auch die Freiburger Grünen-Fraktion in Petto: Die Stiftungsverwaltung, Eignerin der Grundstücke in der Johann-Sebastian-Bach-Straße, solle der Stadtbau ein Grundstück „in der näheren Umgebung hinterlassen", so steht es in einer Anfrage der Grünen an den Oberbürgermeister. Zu Konditionen, „die dort den Bau geförderten Mietwohnraums ermöglichen würden."

Von 3000 sozial gebundenen Wohnungen liegen nur 300 in Stadtteilen östlich der Bahnlinie