Achtung, meine Damen und Herren, der Match wird gleich beginnen: die Augen und Kameras der Medien sind auf den Wahlring fixiert, wo bald das Spektakel des Jahres stattfinden wird!
All diese kämpferische Aufregung, diese ganze Medien- und Politikerenergie für so wenig... Eine Gehirnwäsche über Wochen, um das miserable Resultat einer Wahlbeteiligung von weniger als 40% aller Wahlberechtigten zu erreichen... Wenn man noch bedenkt, dass 40% der Genfer Bevölkerung die Schweizer Nationalität nicht besitzen und deshalb nicht vollständig stimmberechtigt sind (und wenn sie berechtigt sind, ist ihre Beteiligung noch geringer als diejenige der Schweizer), dann wäre also die „Gesellschaft“ in der Hand von ungefähr 20% der Bevölkerung. Die Lächerlichkeit der Situation ist augenfällig: Wir leben nicht einmal in einer Mehrheitsdiktatur, in welcher die Wünsche einer Mehrheit eine Unterdrückung der Minderheiten legitimierte, sondern in Tat und Wahrheit unter der Fuchtel einer kleinen autistischen Gesellschaftskategorie, die ihre eigene Sprache spricht, ihre eigenen Normen respektiert und ihre eigenen Werte teilt. Die Enthaltung bleibt die grösste Volkspartei und der Zynismus das am weitesten verbreitete Gefühl gegenüber der Wahlmaskerade.
Die politische Kaste, deren Selbstzufriedenheit durch diesen steigenden Interesseverlust am demokratischen System überhaupt nicht erschüttert wird, erteilt sich das Monopol der Aktion; alles, was den parlamentarischen oder lobbystischen Rahmen verlässt, wird für illegitim erklärt und häufig niedergeschlagen. Beispiele gibt es mehr als genug: Die Kriminalisierung der Critical Mass, die Räumungen besetzter Häuser in Genf, die Repression gegen „festliche“ oder weniger „festliche“ Kundgebungen am 1. Mai, gegen die Kundgebung für Umüt oder die Strassenparty gegen die SVP in Lausanne untermauern die Tatsache, dass eine Bewegung, die selber versucht, ihre politische Subjektivität zu bestimmen, ohne den Dialog mit der politischen Kaste zu suchen, entweder vereinnahmt oder zerstört werden muss. Die „alternative Kultur“ wird mit gönnerhaften Lobeshymnen überschüttet, solange sie gefügig und befriedet bleibt (Vereine, Petitionen, Generalstände der Nacht mit Abgeordneten), aber im Stillen niedergeschlagen sobald ihre Praxis einen Bruch aufweist mit den Methoden der Politiker. Sie wollen sich ihres Monopols der Besetzung des öffentlichen Raumes sicher sein und geben sich dazu die nötigen Mittel: sei es mit der Peitsche (Knüppel, Bullen überall, Verhaftungen, Anzeigen) oder mit Zuckerbrot (finanzielle Unterstützung, Plakate, Unterstützung in den Medien...).
Während dieser Zeit geht das Leben in der realen Welt weiter,
niemand ist wirklich berührt vom kalten Lächeln auf den
Wahlplakaten. Wieso sollte man davon auch berührt sein? Ob links
oder rechts, die Debatte beschränkt sich auf die Anzahl Einwanderer,
die ausgeschafft werden müssen, auf das richtige Mass der
Aufstockung der Polizeieffektive, auf die Frage, wie man den
öffentlichen Raum besser militarisieren könnte (Kameras oder
Quartierpolizei?) Populistische und einsaitige Diskurse, die sich wie
ein Ei dem anderen gleichen – die Unterschiede beschränken sich
auf die Details – die über eine immer abgestumpftere Bevölkerung
hinweggehen. Allenfalls einige Kryptofaschisten schaffen es noch,
etwas Aufregung zu verbreiten, indem sie die fremdenfeindlichen
Ängste einiger Greise ansprechen. Letztendlich glaubt jedoch niemand
daran. Umso besser.
Der Wahlzirkus ist nur ein schlechter Wrestlingmatch, wo
opportunistischer Verrat auf heuchlerische Bündnisse folgt. Ihr
Gesicht zu einem verzerrten Grinsen erstarrt, stolzieren sie
lümmelhaft in den Ring inmitten eines leeren Saals. Sie
gestikulieren, machen symbolische Aktionen und hohle Reden ohne Ende,
um hier und da die zehn Stimmen aufzuschnappen, die ihnen ein
Dienstauto, eine regelmässige Fernsehpräsenz und das Recht, einer
Mehrheit die Interessen einer Minderheit aufzuerlegen, garantieren.
Die Öffentlichkeit, die Kommentatoren und die Akteure, sie alle
wissen, dass es nur ein Spiel ist.
Wir weigern uns, dieses leere und langweilige Spektakel zu
beklatschen. Wir alle wissen, dass, würden Wahlen wirklich etwas
ändern, sie schon lange verboten wären. Lassen wir die nach Geld
und Heuchelei stinkenden Politiker ganz alleine inmitten des Rings
ihre Rolle spielen und beginnen wir lieber damit, unsere Zukunft
wieder in die Hand zu nehmen. Gestern wie heute: Man bekämpft die
Entfremdung nicht mit den Mitteln der Entfremdung.
Verschwören wir uns, um das Undenkbare zu denken!
GenossInnen für die allgemeine Selbstorganisation
Übersetzung und Quelle: Le Réveil