Pressemitteilung des AK Antifa Mannheim vom 3.2.2011
Im Prozess gegen einen Antifaschisten wegen des Vorwurfs der Beleidigung wurde am 2.2.2011 ein Urteil gesprochen. Der Richter am Amtsgericht Mannheim befand den Angeklagten für schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 750 Euro. Die Beweisführung stützte sich dabei auf die Aussage eines Staatsschutzbeamten, der eine antifaschistische Demo bespitzelte und den Angeklagten mit folgenden Worten in Richtung Polizei gehört haben will „Ihr seid doch selbst Nazischweine“.
Zur Unterstützung des Angeklagten fanden sich am Amtsgericht etwa 25 Antifaschist_innen ein, von denen einige davor bereits Flugblätter verteilten und mit einem Transparent auf die Sache aufmerksam machten. Zu Beginn des Prozesses verlas der Angeklagte eine mehrseitige Erklärung, in der er ausführlich begründete, warum er gegen Nazis demonstriere und weshalb er den antifaschistischen Widerstand nicht an Staat und Polizei delegieren wolle. Weiter führte er Angaben zum Tatvorwurf aus, erklärte, er habe mit dem Begriff „Nazischweine“ die Nazis und nicht die Polizei gemeint und stellte auch dar, weshalb er eine Gleichsetzung von Polizei und Nazis für politisch falsch hält.
Zur Beweisführung waren drei Polizisten geladen. Der Leiter des Einsatzes gegen die antifaschistische Demonstration, Herr Fellendorf aus Karlsruhe, konnte zum Tatvorgang der Beleidigung keine eindeutigen Angaben machen. Er hatte verschiedene Beleidigungen „gegen Polizei und deutschen Staat aus der Menge“ gehört. Trotzdem zeigten er und seine Kollegen den Angeklagten an. Ein Polizist in Zivilkleidung hatte ihnen später dazu geraten.
Am Rande konnte man noch einige interessante Details zum Polizeieinsatz erfahren. Während am Tag nach den Geschehnissen der Polizeisprecher verkündete, die Polizei sei nur zufällig vor Ort gewesen, erklärte der Einsatzleiter wörtlich, er hatte den Auftrag, die Wohnung des NPD-Funktionärs Christian Hehl zu schützen.
Der Zeuge Alcnauer, Leiter des Dezernat 14, Staatsschutz, berichtete als nächstes vom Tag. Er observierte mit den Kollegen Ludwig und Müller in zivil von Beginn an die antifaschistische Demonstration und beobachtete in der Nähe des Quadrates S4 den Angeklagten. Dort habe er die Beleidigungen gehört, sei daraufhin zu den uniformierten Polizeibeamten gegangen und habe ihnen empfohlen, eine Anzeige gegen die Person, dessen Namen er ihnen nennen könne, zu machen. Dies widerspricht allerdings Fellendorfs Aussage nach Aktenlage, wonach die Polizisten Müller und Ludwig die Beleidigungen gehört und zugeordnet hätten. Diese traten jedoch vor Gericht als Zeugen erst gar nicht erst auf.
Alcnauer sorgte für einige Lacher, als er den Angeklagten mit „Herr Hehl“ ansprach, worauf der Angeklagte fragte „Wollen Sie mich jetzt beleidigen?“. Es kam im weiteren Verlauf zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen dem Angeklagten und dem Staatsschützer. Der Angeklagte erklärte, er habe Alcnauer an besagter Stelle bei S4 nicht gesehen, neben ihm seien nur Personen gestanden, die er gekannt hatte. Der Polizist in Zivil könne also gar nicht gehört haben, was er gesagt hatte, vielmehr vermutete der Angeklagte ein Konstrukt gegen ihn als langjährigen politischen Aktivisten. Alcnauer widersprach und behauptete, direkt neben dem Angeklagten gestanden zu haben.
Als dritter Zeuge war Polizist Türnagel geladen, der sich in der Sache widersprach. Er hatte die Beleidigung aus einer anderen Richtung gehört und erst auf Nachfragen des Richters korrigierte er sich und behauptete, die Beleidigung aus der Richtung des Angeklagten gehört zu haben.
Die Staatsanwältin forderte am Ende des Prozesses das bisherige Strafmaß von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro. Als Begründung nannte sie unter anderem die gesellschaftskritischen Ausführungen, die der Angeklagte zu Beginn des Prozesses verlas. Die Beleidigungsstraftat würde aufgrund der politischen Aussagen zu ihm passen. Dem folgte auch der Richter und bestätigte damit den Strafbefehl über 750 Euro, dazu kommen Prozess- und Anwaltskosten. In Anbetracht der finanziellen Situation des Angeklagten, er ist Rentner und muss mit Grundsicherung (vergleichbar Hartz IV) auskommen, ist die die Festsetzung des Tagessatzes auf 15 Euro ungewöhnlich hoch.
Der AK Antifa kommentierte den Prozess folgendermaßen: „Der Prozess war politisch motiviert. Staatsanwältin und Richter setzten ein hohes Strafmaß knallhart durch, obwohl die Beweislage alles andere als eindeutig war. Die Zeugen widersprachen sich, letztlich stütze sich alles auf Alcnauers Aussage, der mit großem Eifer die Bespitzelung Mannheimer Linker vorantreibt. Wie so oft wurde der Beleidigungsparagraf als Vorwand für einen Prozess und damit zur materiellen Schädigung eines politischen Aktivisten genutzt. Am Rande konnten die Zuschauer_innen interessante Einblicke in Polizeistrategien gewinnen. Während der Polizeisprecher nach dem Einsatz im August behauptete, die Polizei sei nur zufällig da gewesen, kam jetzt die Bestätigung, was Antifaschisten bereits vermutet hatten. Die Polizei hatte den eindeutigen Auftrag, einen NPD-Funktionär zu schützen, notfalls mit aller Brutalität, wie sie am 14. August 2010 bewiesen, als sie die antifaschistische Demo auflösten und für verletzte Nazi-Gegner sorgten. Angesicht der Unfähigkeit der Mannheimer Polizei, die sie im Rahmen des Nazi-Überfalls auf ein Bekleidungsgeschäft im Januar 2009 gezeigt hatte, ist der Vorwurf des Angeklagten mehr als zutreffend: „Die Polizei ist auf dem rechten Auge blind.“ Zur Erinnerung: Nach dem bewaffneten Überfall wurde keiner der 17 festgenommenen Nazis vor Gericht gestellt. Dies wirft kein gutes Licht auf den Mannheimer Justizapparat, der mit dem Urteil ein klares Signal gegen antifaschistisches Engagement und für brutale Polizeieinsätze gesetzt hat. Das Verletzen von Antifaschist_innen und Auflösen von Demonstrationen wird nicht geahndet, stattdessen werden Konstrukte gegen Aktivisten knallhart durchgesetzt. Wir erklären uns mit dem Angeklagten solidarisch und werden ihn nach Möglichkeiten finanziell unterstützen.“
Siehe auch:
Polizeigewalt überschattet antifaschistische Aktionen beim Christopher Street Day Mannheim
Fotobericht der Antifa-Proteste in Ludwigshafen und Mannheim