Übertreibt Prantl? Keineswegs. Die beiden jüngsten Spitzel-Fälle stehen stellvertretend für eine zunehmende Entgrenzung in zwei Richtungen. Der Fall Simon "Brenner" zeigt, wie der juristisch abgesteckte Rahmen des Erlaubten in der Praxis immer weiter gedehnt und so letzlich erweitert wird. Und Mark Kennedy steht für eine sich rasch auswachsende internationale Kooperation, die nicht zuletzt auf deutsche Initiative vorangetrieben wird.
"Brenner" scannte vor seiner Enttarnung Mitte Dezember als Student getarnt zunächst den Linksparte-nahen Studentenverband SDS, später wechselte er zur bildungspolitisch aktiven Gruppe Kritische Initiative, war danach aber ebenso in klimapolitischen und antirassistischen Zusammenhängen unterwegs. Dass es dabei nicht bloß um vorsorgliche Informationsbeschaffung ging, zeigte der Verdeckte Ermittler, als er den Polizeischutz beim so genannten Heldengedenken verstärken und eine Hausdurchsuchung bei einem Bekannten veranlassen ließ, weil ihm dort angeblich gefährliche Chemikalien aufgefallen waren.
Das baden-württembergische Polizeigesetz, auf deren Grundlage "Brenner" sich bewegen müsste, sieht „den Einsatz Verdeckter Ermittler“ in Fällen vor, wo es um die Abwehr einer ganz gravierenden Gefahr oder die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ geht. Landesinnenminister Heribert Rech hat die Spitzeltätigkeit von "Brenner" inzwischen eingeräumt – aber nur soweit, wie darüber ohnehin schon Informationen öffentlich waren. Der Verdeckte Ermittler, ließ der CDU-Mann auf entsprechendes Drängen der Grünen im Landtag wissen, sei gegen „konkrete Zielpersonen aus der antifaschistischen / anarchistischen Szene“ eingesetzt worden, weil es konkrete Anhaltspunkte für künftige Straftaten gegeben habe. Welche? Und waren diese überhaupt so schwerwiegend, dass der Spitzeneinsatz gerechtfertigt war? Bei der Heidelberger Grünen-Abgeordneten Theresia Bauer hat sich der Eindruck nicht zerschlagen, "dass der verdeckte Ermittler einen ganz pauschalen Auftrag hatte, die linke Szene mal vorsorglich auszuspähen".
Im Fall "Brenner" hatte die Polizeidirektion Heidelberg den Einsatz angeordnet, die Durchführung der neunmonatigen Aktion übernahm dann das baden-württembergische LKA. Dieses Landeskriminalamt war es auch, das im Fall des Polizisten Kennedy eine Vereinbarung mit den britischen Behörden abschloss, damit dieser im Zuge des Nato-Gipfels in Baden-Baden im Jahr 2009 gegen Kritiker des Militärbündnisses eingesetzt werden kann.
Zwei Jahre zuvor war es das LKA in Mecklenburg-Vorpommern, das mit den britischen Behörden über den Einsatz von Kennedy alias Stone unter Kritikern des G8-Gipfels von 2007 vertragseinig wurde. So jedenfalls habe es, hieß es dieser Tage aus dem Innenausschuss des Bundestags, der Präsident des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke in dem Gremium erklärt.
Größtenteils Ländermaßnahmen
Der Opposition reicht das als Information nicht aus. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele forderte die Bundesregierung auf, darzulegen, welche genauen Aufträge an Kennedy erteilt wurden. Eine kleine Anfrage des Linken-Parlamentariers Andrej Hunko war allerdings mit dem Hinweis beantwortet worden, es lägen dazu „keine abschließenden Erkenntnisse vor, da für die Durchführung solcher Maßnahmen größtenteils die Länder zuständig sein“. Inzwischen bemühen sich nicht nur die Stuttgarter Grünen, sondern auch Hunkos Schweriner Landtagskollegen um Aufklärung. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Peter Ritter, brachte die Affäre Kennedy zunächst in der SOG-Kommission des Landtags zur Sprache, die in wichtigen Fragen der Sicherheit informiert wird. CDU-Innenminister Lorenz Caffier erklärte daraufhin, der Einsatz des Verdeckten Ermittlers sei juristisch nicht zu beanstanden gewesen. Eine weitere Diskussion im Innenausschuss, versuchte auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Wolf-Dieter Ringguth zu deckeln, habe sich erübrigt.
Linken-Politiker Ritter hat den Caffier-Bericht ganz anders in Erinnerung. Die Stellungnahme des Ministers sei „wederum fassend noch ausführlich“ gewesen, „vielmehr wurde beschönigt oder nach Ausreden gesucht.“ Die Linkspartei empört dabei unter anderem, dass in allen bisherigen Berichten des Innenministeriums über den umstrittenen Polizeieinsatz im Zuge des G8-Gipfels von Heiligendamm „Einsätze ausländischer verdeckter Ermittler verneint“ worden seien, „Nachfragen wurden abgebügelt“. Der Innenausschuss des Schweriner Landtags wird sich auf Wunsch der Linksfraktion an diesem Donnerstag nun erneut mit dem Thema befassen – abermals soll Innenminister Caffier dort berichten. Die Linksfraktion will diesmal unter anderem wissen, zu welchem Zweck sowie mit welchen möglichen Folgen Kennedy eingesetzt wurde, ob er als Agent Provocateur tätig war und welche Rolle die seinerzeit amtierende Sonderpolizeigruppe „Kavala“ spielte. In einem Fragenkatalog an den Ausschuss interessiert man sich außerdem dafür, was „typischerweise Inhalt derartiger Verträge zwischen einem Bundesland und der Vertrauensperson“ ist.
Und wie kommt nun eine Schweriner Polizeibehörde an einen britischen Spitzel? BKA-Präsident Ziercke hatte im Innenausschuss des Parlaments erklärt, seine Behörde habe beim Einsatz von Kennedy in Deutschland nur als Vermittler gedient. In ihrer Antwort auf die Anfrage des Linken-Abgeordneten Hunko hatte das Bundesinnenministerium schon Ende Dezember auf die internationalen Vereinbarungen verwiesen, mit denen der grenzüberschreitende Einsatz von Verdeckten Ermittlern geregelt ist.
Praktische Hindernisse beseitigen
Was die Regierungsantwort nicht sagt: Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2007, in dem auch der G8-Gipfel in Heiligendamm stattfand, wurden die Voraussetzungen für kontinentweite Polizeieinsätze weiter vorangetrieben. Im Sommer 2007 verabschiedete der Europäische Rat eine Entschließung, um „bestehende rechtliche und praktische Hindernisse in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Bezug auf Verdeckte Ermittler“ zu identifizieren und zu beseitigen. Er gehe davon aus, sagt Hunko, „dass auch andere EU- und G8-Staaten verdeckte Ermittler austauschen“. Deren Einsatz wird von einer eigens hierfür eingerichteten polizeilichen EU-Arbeitsgruppe koordiniert: der European Cooperation Group on Undercover Activities. Einladungen zu den ECG-Treffen gehen unter anderem an das deutsche Bundeskriminalamt.
Heiner Busch vom Komitee für Grundrechte und Demokratie sieht die Entwicklung mit wachsender Sorge. Die Formen des polizeilichen Einsatzes im Ausland hätten sich auf eine Weise vermehrt, resümiert Busch in der Zeitschrift Cilip, die noch vor wenigen Jahrzehnten kaum vorstellbar gewesen wäre. Die Polizei erscheine dabei oftmals als „ein Mittel, das zu jedem Zweck taugt und jedes weitere Nachdenken über politische Lösungen und Alternativen erspart“. Eines zudem, dessen Berechenbarkeit und Kontrolle beim Einsatz jenseits der Grenze „noch weiter verloren“ gehe.