Deutsche Behörden forderten Briten-Spitzel an

Mark Kennedy
Erstveröffentlicht: 
26.01.2011

Jahrelang horchte Mark Kennedy die linke Szene Europas aus. Auch hierzulande unterwanderte der Brite Protestler - auf ausdrücklichen Wunsch deutscher Behörden. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen war Kennedy in drei Bundesländern aktiv und beging dabei auch Straftaten.

 

Berlin - Mark Kennedy ist abgetaucht. Der Brite lebe in den USA, heißt es, genaueres weiß man nicht. Es gibt viele, die hinter ihm her sind. Denn kürzlich flog auf, dass er als verdeckter Ermittler von Scotland Yard unter dem Alias Mark Stone jahrelang Europas linke Szene ausspionierte. Ein spektakulärer Fall.

 

Auch in Deutschland war Kennedy aktiv - und das mit Wissen der deutschen Polizei. Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamts (BKA), räumte am Dienstag in einer vertraulichen Sitzung des Innenausschusses im Deutschen Bundestag ein, dass deutsche Behörden Kenntnis von Kennedys verdecktem Einsatz gehabt hätten. Das erfuhr SPIEGEL ONLINE aus Teilnehmerkreisen.

 

Der Brite sei in drei Bundesländern aktiv gewesen, erklärte der BKA-Chef nach Angaben mehrerer Anwesender. So habe vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 Mecklenburg-Vorpommern ausdrücklich um den Einsatz eines britischen Undercover-Agenten gebeten. Die dortigen Behörden hätten dabei auf ein standardisiertes Verfahren zurückgegriffen. Auf Vermittlung des Bundeskriminalamts sei der Einsatz des Briten vertraglich geregelt worden. Kennedy habe danach auf deutschem Boden als "Vertrauensperson" agiert. Einen ähnlichen Vertrag habe auch Baden-Württemberg geschlossen.

 

Heikler Einsatz - auch als Agent Provocateur?


Auch in Berlin sei Kennedy aktiv gewesen, so Ziercke. Angeblich weilte Kennedy aber in der Hauptstadt nur zur Pflege seiner Legende. Berichtet habe er nicht, so der Top-Beamte. Gleichwohl habe das BKA die Berliner Behörden vom Aufenthalt des Briten unterrichtet.

 

Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE wollte das Bundeskriminalamt am Mittwoch keine Angaben zu der vertraulichen Sitzung im Innenausschuss machen.

 

Die internen Äußerungen des BKA-Chefs gehen weit über bisherige Stellungnahmen der Bundesregierung hinaus. Das Innenministerium hatte bislang ausweichend auf Fragen der Opposition geantwortet und erklärt, aus "einsatztaktischen Erwägungen" keine Angaben zu dem Fall Kennedy machen zu können.

 

Der Einsatz des Briten ist heikel. Noch immer steht der Vorwurf im Raum, Kennedy habe als "Agent Provocateur" Aktivisten bei Protesten gegen die Polizei aufgewiegelt. Dem SPIEGEL berichteten zwei ehemalige Weggefährten Kennedys von entsprechenden Vorfällen. Auch führte der britische Undercover-Cop über mehrere Jahre eine Fernbeziehung mit einer Frau, die damals in Berlin lebte.

 

Taktische Liebesbeziehungen


Taktische Liebesbeziehungen, sagte Ziercke in der Sitzung, seien hierzulande nicht zulässig und widersprächen jeglichen Regeln, die in Deutschland für verdeckte Ermittler gelten würden. Was die Kontrolle der Undercover-Polizisten angehe, gebe es aber noch gewisse Defizite, räumte er nach Angaben mehrer Anwesender ein.

 

Ziercke bestätigte, dass Kennedy in Deutschland auch in strafbare Handlungen verwickelt war. Den Behörden seien zwei Fälle bekannt. In Heiligendamm habe der Brite sich an einer Blockade beteiligt, doch die Aktion sei nicht weiter verfolgt worden. Auch habe er sich in Berlin an Brandstiftungen beteiligt. In diesem Fall habe es ebenfalls keine Konsequenzen gegeben. Die Behörden hätten das Vergehen damals als Bagatelldelikt eingestuft und die Ermittlungen eingestellt. Dass ein Polizist Feuer legt, ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Es schließt sich die Frage an, ob es eine Einflussnahme der Polizeibehörden auf die Justiz gegeben haben könnte.

 

Er selbst, so Ziercke, habe keine Berichte des verdeckten Ermittlers auf den Tisch bekommen. Auch hätte Kennedy keine Rolle in den Ermittlungen gegen die sogenannte "Militante Gruppe" im Vorfeld des Heiligendamm-Gipfels gespielt.

 

Opposition sieht Aufklärungsbedarf


Aus Sicht der Opposition werfen Zierckes Darlegungen neue Fragen auf. "Die Bundesregierung muss darlegen, welche Aufträge Kennedy genau erteilt worden sind", verlangt der grüne Innenexperte Hans-Christian Ströbele. Auch verlangt er "klarere Regeln" für den Einsatz von verdeckten Ermittlern. "Hier muss die Bundesregierung auch gesetzgeberisch tätig werden."

 

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion Ulla Jelpke sieht weiteren Aufklärungsbedarf: "Der Verdacht, dass Kennedy sich als 'Agent Provocateur' an Straftaten beteiligt hat, ist nach der heutigen Sitzung nicht ausgeräumt."

 

Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland hegt nach dem Auftritt von Deutschlands oberstem Ermittler im Bundestag vor allem Zweifel an der Darstellung, der britische Undercover-Polizist habe seine zahlreichen Berlin-Besuche nur zur Pflege seiner Legende genutzt und aus der Hauptstadt nicht berichtet.

 

Die Version, Kennedy habe seine Eigenschaft als verdeckter Ermittler auf dem Weg von Heiligendamm nach Berlin gleichsam abgestreift, halte er für "reichlich seltsam und unglaubwürdig".