[Überlastet] Polizei-Gewerkschaft: Provinz wird zum Eldorado für Kriminelle

Bei der Verkehrsüberwachung kommt es zu Einschnitten. (Archivbild)
Erstveröffentlicht: 
10.01.2011

Castortransporte, Stuttgart 21 und die Dauerüberwachung von Schwerstkriminellen: Die Polizei im Land ist am Ende ihrer Kräfte. Die Gewerkschaft wirft der Landesregierung "Handeln ohne Plan" vor.

 

Die Polizei im Südwesten ist nach Überzeugung der Deutschen Polizeigewerkschaft völlig entkräftet und kann vielerorts nicht mehr für Sicherheit sorgen. "Kollegen aus ländlich strukturierten Dienststellen berichten schon darüber, dass ihr Dienstbezirk langsam aber sicher zum Eldorado für Raser, Trinker und Kriminelle wird, weil an eine normale Streifen- und Kontrolltätigkeit kaum noch gedacht werden kann", sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lautensack, der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart.

Die Streifen-, aber auch die Ermittlungsdienste bei der Schutz- und Kriminalpolizei "pfeifen auf dem allerletzten Loch", sagte Lautensack. Immer wieder müssten Einsatzkräfte von der polizeilichen Basis aushelfen. Auch die wenigen jungen Polizisten müssten immer öfter ran, weil die älteren Kollegen nicht mehr könnten. Nur noch mit Praktikanten und Freiwilligen könnten die Mindestdienststärken aufrechterhalten werden.

Die Beamten hätten wenig Hoffnung, dass sich im kommenden Jahr grundlegendes an der Einsatzbelastung ändere: "Schließlich steht im März eine Landtagswahl bevor und wenn im Zusammenhang mit Stuttgart 21 wieder Bäume gefällt werden, werden wir wieder massive Konfrontationen bekommen." Auch der Papst-Besuch im Herbst werde eine Mammutaufgabe.

 

Die Fußball-WM, der NATO-Jubiläumsgipfel, die Castortransporte, die enorme Dauerbelastung rund um Stuttgart 21, Amoklagen wie in Winnenden oder Lörrach, zeigten, dass die Polizei ihre Belastungsgrenze längst überschritten habe, sagte Lautensack. Hinzu käme die "unglaubliche Personalbelastung" durch die Dauerüberwachung der aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Schwerkriminellen und die aktuellen Terrorwarnungen. "Daneben befassen wir uns mit dem ganz normalen Wahnsinn wie der Gewalt gegen Polizeibeamte."

Für extreme Unzufriedenheit bei der Polizei sorgen nach den Worten Lautensacks die jüngst beschlossenen massiven Sparmaßnahmen der CDU/FDP-Landesregierung bei den Beamten. Vor allem die geplante Einführung des sogenannten Vorgriffsstundenmodells gehe zulasten der Polizisten, die ohnehin "immer in den Stiefeln stecken". Bei dem Modell sollen alle jüngeren Beamte für wenige Jahre etwa eine Stunde mehr arbeiten, was sie später wieder ausgleichen können. "Wir haben von 24000 Polizisten nur rund 8000 bis 9000 Beamte in der Altersklasse 40 Jahre oder jünger. Die eine Stunde Plus macht nur dann einen Sinn, wenn gleichzeitig Stellen abgebaut werden. Die Regierung unterschlägt, dass bei der Polizei 200 bis 250 Stellen wegfallen."

Gut drei Monate vor der Landtagswahl warf Lautensack der Landesregierung völlig konzeptfreies Handeln vor: "Bei der Frage, in welchen staatlichen Stellen kann ich noch etwas einsparen, hat die Regierung keinen Plan. Das geht immer nur nach dem Rasenmäherprinzip." Bei den Beamten schwinde die Lust, dieser Regierung erneut das Vertrauen zu schenken.