Castortransporte, Stuttgart 21 und die Dauerüberwachung von Schwerstkriminellen: Die Polizei im Land ist am Ende ihrer Kräfte. Die Gewerkschaft wirft der Landesregierung "Handeln ohne Plan" vor.
Die Polizei im Südwesten ist nach Überzeugung der Deutschen
Polizeigewerkschaft völlig entkräftet und kann vielerorts nicht mehr
für Sicherheit sorgen. "Kollegen aus ländlich strukturierten
Dienststellen berichten schon darüber, dass ihr Dienstbezirk langsam
aber sicher zum Eldorado für Raser, Trinker und Kriminelle wird, weil
an eine normale Streifen- und Kontrolltätigkeit kaum noch gedacht
werden kann", sagte der Landesvorsitzende der Deutschen
Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lautensack, der Nachrichtenagentur
dpa in Stuttgart.
Die Streifen-, aber auch die Ermittlungsdienste bei der Schutz- und
Kriminalpolizei "pfeifen auf dem allerletzten Loch", sagte Lautensack.
Immer wieder müssten Einsatzkräfte von der polizeilichen Basis
aushelfen. Auch die wenigen jungen Polizisten müssten immer öfter ran,
weil die älteren Kollegen nicht mehr könnten. Nur noch mit Praktikanten
und Freiwilligen könnten die Mindestdienststärken aufrechterhalten
werden.
Die Beamten hätten wenig Hoffnung, dass sich im kommenden Jahr
grundlegendes an der Einsatzbelastung ändere: "Schließlich steht im
März eine Landtagswahl bevor und wenn im Zusammenhang mit Stuttgart 21
wieder Bäume gefällt werden, werden wir wieder massive Konfrontationen
bekommen." Auch der Papst-Besuch im Herbst werde eine Mammutaufgabe.
Die Fußball-WM, der NATO-Jubiläumsgipfel, die Castortransporte, die
enorme Dauerbelastung rund um Stuttgart 21, Amoklagen wie in Winnenden
oder Lörrach, zeigten, dass die Polizei ihre Belastungsgrenze längst
überschritten habe, sagte Lautensack. Hinzu käme die "unglaubliche
Personalbelastung" durch die Dauerüberwachung der aus der
Sicherungsverwahrung entlassenen Schwerkriminellen und die aktuellen
Terrorwarnungen. "Daneben befassen wir uns mit dem ganz normalen
Wahnsinn wie der Gewalt gegen Polizeibeamte."
Für extreme Unzufriedenheit bei der Polizei sorgen nach den Worten
Lautensacks die jüngst beschlossenen massiven Sparmaßnahmen der
CDU/FDP-Landesregierung bei den Beamten. Vor allem die geplante
Einführung des sogenannten Vorgriffsstundenmodells gehe zulasten der
Polizisten, die ohnehin "immer in den Stiefeln stecken". Bei dem Modell
sollen alle jüngeren Beamte für wenige Jahre etwa eine Stunde mehr
arbeiten, was sie später wieder ausgleichen können. "Wir haben von
24000 Polizisten nur rund 8000 bis 9000 Beamte in der Altersklasse 40
Jahre oder jünger. Die eine Stunde Plus macht nur dann einen Sinn, wenn
gleichzeitig Stellen abgebaut werden. Die Regierung unterschlägt, dass
bei der Polizei 200 bis 250 Stellen wegfallen."
Gut drei Monate vor der Landtagswahl warf Lautensack der
Landesregierung völlig konzeptfreies Handeln vor: "Bei der Frage, in
welchen staatlichen Stellen kann ich noch etwas einsparen, hat die
Regierung keinen Plan. Das geht immer nur nach dem Rasenmäherprinzip."
Bei den Beamten schwinde die Lust, dieser Regierung erneut das
Vertrauen zu schenken.