Türkei: Razzia, linke Redakteure geknastet

Yuruys - Razzia

POLIZEIANGRIFF AUF ZEITSCHRIFT YÜRÜYÜS IN ISTANBUL
In den frühen Morgenstunden des 24. Dezember, gegen 3.15 Uhr morgens, stürmten hunderte Einsatzkräfte der Istanbuler Polizei das 'Verlagsbüro Ozan' in Sisli, in dem die linke Wochenzeitschrift "Yürüyüs für Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus" zum Druck vorbereitet wird. Die Hundertschaften der Polizei wurden von Sondereinsatzkommandos, Hubschraubern und von dutzenden Zivilpolizisten begleitet - also ein wahrliches Kriegsszenario.


Wie die im Büro befindlichen ZeitungsmitarbeiterInnen berichteten, wurde nicht einmal die Türklingel benutzt. die Polizeikräfte begannen auf der Stelle mit Äxten die Türen aufzubrechen, um sich mit Gewalt Zutritt zum Büro zu verschaffen. Die Türen wurden zerschmettert und mit Schweißgeräten entzweit

 

Die im Büro befindlichen Computer, technischen Geräte, Zeitschriften, Bücher, alles wurde beschlagnahmt.
Darüber hinaus wurden alle anwesenden Personen festgenommen. Bei diesem Polizeiterror wurden das gesamte Büro verwüstet und ohne zu wissen, welche Personen gesucht werden, wurden einfach alle Anwesenden mitgenommen.
Diese als Durchsuchung getarnte Verwüstung endete erst um 16.00 Uhr am Nachmittag. Kaan Ünsal und Naciye Yavuz vom Ozan Verlag, sowie der Yürüyüs-Chefredakteur Halit Güdenoglu und die MitarbeiterInnen Cihan Gün, Sibel Kirlangic, Serdar Polat, Mustafa Dogru und Musa Kurt wurden unter Misshandlungen festgenommen.

Neben den 8 Personen im Ozan-Verlag wurden am gleichen Tag, Canan Aydin aus ihrer Wohnung in Gülsuyu, Ertürk Kilic aus seiner Wohnung in Esenler, Remzi Ucucu auf der Straße in Nurtepe und Mehmet Ali Ugurlu aus seiner Wohnung in Antalya festgenommen. Alle 12 Personen wurden nach Ankara überstellt, wo sie gestern Montag, den 27. Dezember mit einem Haftantrag der Staatsanwaltschaft vorgeführt wurden. Die Personen wiesen Spuren von Misshandlungen während der Festnahme auf. Über den Akt wurde ein Geheimhaltungsurteil verhängt, so dass der Grund für diesen zügellosen Angriff unbekannt blieb. Von einem Fenster des verwüsteten Yürüyüs-Büros in Istanbul wurde am 25. Dezember ein Transparent hinuntergelassen.

Zur Gerichtsverhandlung gestern Nachmittag versammelten sich Mitglieder der Volksfront vor dem Gerichtsgebäude in Ankara. Die Polizei versuchte die Menge willkürlich des Platzes zu verweisen. Die Angehörigen der Volkfront ließen sich jedoch nicht einschüchtern und sagten, dass sie nicht von dort weggehen würden. Gegen 15.30 Uhr begrüßten sie die Gefangenen, die zum Gericht gebracht wurden mit Parolen und hielten eine Kundgebung ab.
In der Erklärung hieß es: "Unsere Zeitschrift wird seit Jahren publiziert. Wir werden seit Jahren sämtlichen Repressalien ausgesetzt, die Zeitschrift wurde oftmals konfisziert, ihre MitarbeiterInnen und LeserInnen angeschossen und ermordet. Trotzdem konnte die Yürüyüs, die über die Realität und die Ereignisse in unserem Land berichtet, niemals zum Schweigen gebracht werden".
Anschließend wurden von der Protestmenge Parolen gerufen: "Yürüyüs ist das Volk, sie kann nicht zum Schweigen gebracht werden!", "Repression, Festnahmen können uns nicht einschüchtern!", "Die Festgenommenen müssen freigelassen werden!", "Nieder mit dem Faschismus, es lebe unser Kampf!" und "Wir fordern Gerechtigkeit!".
An der Protestaktion beteiligten sich etwa 40 Personen.
Im Anschluss an die Kundgebung wurden Zeitungen in der Umgebung des Gerichts verteilt. Innerhalb einer halben Stunde wurden 80 Zeitschriften an die Bevölkerung verteilt.
Nach dem Zeitungsverteilen versammelten sich die Mitglieder der Volksfront erneut vor dem Gericht, um den Ausgang der Verhandlung abzuwarten.
Die gestern Nachmittag (27. Dezember) beginnende Verhandlung, endete nach Mitternacht, also heute früh um 0.30

(28. Dezember). Der Richter entschied über die Verhaftung von 7 Personen, während 5 Personen freigelassen wurden.
Die Verhafteten, Remzi Ucucu, Kaan Ünsal, Naciye Yavuz, Musa Kurt, Halit Güdenoglu, Cihan Gün und Mehmet Ali Uğurlu, wurden in das Sincan F-Typ Gefängnis in Ankara überstellt.
Canan Aydin, Sibel Kirlangic, Serdar Polat, Mustafa Dogru und Birol Ertürk Kilic wurden freigelassen.
In vielen Städten der Türkei und in Europa wurden bereits Proteste gegen den brutalen Polizeiübergriff durchgeführt und es wurde Solidarität mit der Yürüyüs und mit ihren festgenommenen MitarbeiterInnen bekundet.

 

Erst drei Jahre ist es her, dass der 19-jährige Yürüyüs-Zeitungs-Verkäufer Ferhat Gerçek von türkischen Polizisten beim Verteilen angegriffen wurde. Am 7. Oktober 2007 verkauften politische Aktivisten, darunter der 19-jährige Ferhat Gerçek, in Istanbul Ausgaben der legalen linksgerichteten Zeitschrift Yürüyüs. Die Polizei griff ein, der Konflikt eskalierte und die Beamten eröffneten das Feuer auf die Aktivisten. Ferhat Gerçek wurde in den Rücken getroffen, wodurch er dauerhaft gelähmt ist.
Als er auch noch vor einem türkischen Gericht angeklagt wurde,  startete Amnesty International eine internationale Solidaritätskampagne.