Vorsicht, Simon hört mit

(...) Das Bild zeigt ihn im April am AKW Biblis - jetzt ist er verschwunden.
Erstveröffentlicht: 
21.12.2010

Spitzelverdacht an der Uni Heidelberg

 

Vorsicht, Simon hört mit

Von Christoph Titz

 

Erstsemestergrillen, Demos, Hörsaalbesetzung - der nette, hilfsbereite Simon war immer mittendrin statt nur dabei. Jetzt ist er verschwunden. Heidelberger Studenten sind schockiert: Ein Jahr lang soll ein angeblicher "Simon Brenner" als verdeckter Ermittler der Polizei die linke Szene ausspioniert haben.

Sportlich war er, der Student. Seine Bude hatte er in Leimen und fuhr meist mit dem Rad zur Uni Heidelberg. Immerhin je acht Kilometer hin und zurück. Daran erinnern sich seine Freunde aus der linken Hochschulgruppe Linke.SDS.

Die Studentengruppierung ist ein kleines Häufchen in der kleinen Uni-Stadt. Erstsemestergrillen, Lesekreis, Anti-Atom-Demo, Fahrt zum 1. Mai in Berlin: Das ist die Welt der Heidelberger SDSler. Und der Mann, der sich Simon Brenner nannte, war einer von ihnen. Dachten sie. Bis zum Sonntag vor einer Woche.

Simon Brenner hat wohl eine andere Berufung als das Studium und heißt auch nicht wirklich wie der kauzige Krimiheld aus der Romanreihe des Österreichers Wolf Haas ("Der Brenner und der liebe Gott"). Den echten Namen ihres Kommilitonen kennen seine Freunde nicht. Denn in Wahrheit soll er ein verdeckter Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) sein, also Polizeibeamter. Das habe er Mitstreitern in der linken Kritischen Initiative Heidelberg gestanden, sagt Tom*, 19, Zivildienstleistender. Er war mit dem "SDS-Simon" gut befreundet - "leider", sagt er jetzt.

An der Uni ist Brenner offiziell immatrikuliert und legte zur Einschreibung in den Fächern Germanistik und Ethnologie zum vergangenen Sommersemester einen Personalausweis und ein Abiturzeugnis vor. Das bestätigte die Uni auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE; mehr könne man aber nicht sagen.

Urlaubsbekanntschaft: "Du bist doch der Simon vor der Polizei"

Noch am vorvergangenen Freitag waren Germanistikstudent Axel Malsch und einige Freunde mit Brenner feiern. Malsch sagt, er habe ihn per SMS eingeladen. Wer dabei sei, habe Brenner wissen wollen. Und sei dann mitgekommen zum Konzert im Studententreff "Villa Nachttanz".

Aufgeflogen ist der verdeckte Ermittler offenbar durch einen Zufall am 11. Dezember, zumindest erzählen sich das Heidelberger Studenten. Im Frankreichurlaub 2009 habe er einer jungen Frau erzählt, er arbeite für die Polizei. Und auf einer Privatparty habe er eben diese Frau wiedergetroffen - die ihn prompt gefragt habe: Er sei doch "der Simon von der Polizei", wie das denn mit der Mitarbeit in der Kritischen Initiative zusammengehe?

Der angebliche Brenner lavierte der Geschichte zufolge - und sagte, die Sache mit der Polizei müsse jetzt aber unter ihnen bleiben. Am Folgetag lud ihn sein Freund Tom* auf ein Bier ein. Mehrere Kritische-Initiative-Mitglieder kamen im Lokal zusammen. Simon sei schnell eingeknickt, sagt Zivi Tom. "Ängstlich und wehmütig" habe er dreingeblickt, dann hätten er und seine Freunde Brenner zur Rede gestellt: "Wir haben mit ihm geklärt, was zu klären war."

Zerknirscht habe Brenner gewirkt und gern und bereitwillig von seiner Polizeiarbeit erzählt - wohl um wieder was gutzumachen, sagt Tom. Brenner nannte demnach auch seine Abteilung beim LKA: Nummer 540. Das Landeskriminalamt führt die Abteilung für "Verdeckte Ermittlungen - Staatsschutz" unter der Abkürzung I540.

"Er war fast schon unangenehm zuvorkommend"

In einem Steinbruch beim Sportklettern sei Simon gern gewesen, auch bei einem "Aktionsklettertraining" auf der Schwäbischen Alb, sagt SDS-Mitglied Malsch, der mit Brenner im Sommersemester an der Universität Heidelberg Germanistik studierte. Eine Freundin erzählt von Uni-Sport, Volleyball und Fußball. "Ungewöhnlich sportlich, zumindest für linke Kreise", sagt Mitstudent Malsch. Ein Buch über Mittelhochdeutsch habe er ihm geliehen, als sie nach dem Semesterstart-Grillen des SDS noch bei Malsch in der WG waren. "Das hab ich bis heute nicht zurückbekommen."

Sonst aber war Simon Brenner der perfekt an die linke Szene angepasste Student. Ein lieber Surfertyp, schulterlange Haare, buschige Koteletten, Holzperlenkette - so zeigen Bilder den mutmaßlichen Spitzel im linken Web-Portal Indymedia, dazu eine Telefonnummer und E-Mailadressen. Anrufe und Mails blieben am Montag unbeantwortet.

Immer freundlich und sehr charismatisch beschreiben ihn jene, die sich bis zum 12. Dezember für Brenners Freunde hielten. "Er war fast schon unangenehm zuvorkommend", sagt Malsch. Einmal habe ihm Brenner sogar seinen alten Herd geschenkt - und angeschlossen. "Er hat ihn mir mit dem Auto vorbeigebracht und hatte sogar das passende Werkzeug dabei", erinnert sich der Student.

Eine Mitstudentin sagt, sie habe Brenner in seiner Leimener Wohnung besucht. "Kind reicher Eltern, hätte man schon denken können", findet sie: Eine Ein-Zimmer-Wohnung, tolle Küche, eigenes Auto. Und auch sie sagt, sie habe "noch nie jemanden kennengelernt, der so hilfsbereit war". Die Studentin kannte Brenner über den SDS. Am 1.-Mai-Wochenende fuhren sie nach Berlin und übernachteten gemeinsam in der Wohnung eines Freundes. "Betrogen und belogen" fühle sie sich jetzt. "Als ob man mit jemandem zusammen ist, den es gar nicht gibt."

Innenministerium und LKA äußern sich nur wolkig

Sofern die Vorwürfe zutreffen: Was wollte ein verdeckter LKA-Ermittler bloß bei der Kritischen Initiative, einem linken Grüppchen, hervorgegangen aus den Studiengebührenprotesten 2007? Und was bei einem links angehauchten Heidelberger Lesekreis? Rosa Luxemburg lasen Brenner und seine ersten Uni-Kontaktpersonen einander im Sommersemester vor. Im August setzte er sich vom SDS ab, wechselte zur Kritischen Initiative.

"Er wollte einen Lernprozess und Radikalisierung vortäuschen", sagt Axel Malsch, der nun in vielen Nettigkeiten kalte Berechnung erkennen will. Ausgefragt habe Brenner sie nicht, sondern meist nur zugehört. Der Einsatz sei wohl längerfristig angelegt gewesen. Beim SDS habe es der verdeckte Ermittler leicht gehabt, sein Ziel aber sei die Antifa Heidelberg gewesen - so schreibt es Indymedia und bezieht sich auf die Befragung durch die Freunde nach Brenners Enttarnung.

Das Innenministerium teilt zum Fall nichts Konkretes mit. Im Allgemeinen rechtfertige das Polizeigesetz verdeckte Ermittlungen zur Gefahrenabwehr, sagt ein Sprecher.

Das sieht die linke Rechtsberatung Rote Hilfe anders. Der Polizeieinsatz sei "offensichtlich rechtswidrig". Es habe kein konkreter Tatverdacht bestanden, vielmehr sei "über fast ein Jahr ein ganzes politisches Milieu" ausgeforscht worden. Der Mann mit dem Namen Brenner habe Informationen über linke Gruppen und Aktivisten gesammelt, ohne einen tatsächlichen Straftatbestand zu verfolgen.

"Zu Einsätzen von verdeckten Ermittlern sagen wir grundsätzlich nichts"

Staatsschutzbeamte gebe es in jeder Polizeidienststelle, sagt eine Sprecherin des Innenministeriums auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Über die Arbeit der Staatsschützer könne das Ministerium keine Angaben machen und die Geschichte vom Spitzel an der Heidelberger Uni weder dementieren noch bestätigen.

Auch ein Sprecher des LKA will keine Stellungnahme abgeben: "Zu Einsätzen von verdeckten Ermittlern sagen wir grundsätzlich nichts."

In einigen Wochen könnte eine am Montag gestellte parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion im Landtag genauere Antworten nötig machen.

Student Malsch, der den Polizisten in geheimer Uni-Mission oft zu Gast hatte, wirkt deprimiert. Er erinnert sich, wie er Brenner zum ersten Mal getroffen habe, bei der Besetzung von Uni-Hörsälen während der Studentenproteste 2009. Danach habe man ein halbes Jahr lang viel zusammen gemacht: zum 1. Mai als Gäste der Linken-Fraktion in Berlin, zwei Bildungsstreik-Demos, Anti-Castor-Proteste im Herbst - und jetzt vermutet er, der Herd in seiner WG-Küche könnte vom Land Baden-Württemberg bezahlt worden sein. Aus dem Etat für verdeckte Ermittlungen des Innenministeriums.

Auf Fragen und Mails antworte Brenner nicht, sagen seine Freunde. Seit 12. Dezember, 23 Uhr, sei er wie vom Erdboden verschluckt.

(* Name geändert)

 


 

1. Bildunterschrift: Atomkraft, nein danke? Was Simon Brenner (l., mit Fahne) wirklich denke, das wisse man nicht, sagen Mitstudenten - an ihm soll nicht mal der Name echt gewesen sein. Als lustiger, sehr hilfsbereiter Surfertyp soll sich der angebliche verdeckte Polizist erst bei der Linken.SDS und dann bei der Kritischen Initiative eingschlichen haben. Das Bild zeigt ihn im April am AKW Biblis - jetzt ist er verschwunden.