S 21 "Eine agressive Stimmung gegen die Polizei"

Erstmals nach 40 Jahren waren am 30. September in Stuttgart wieder – insgesamt vier – Wasserwerfer im Einsatz.
Erstveröffentlicht: 
23.11.2010

Dokumentation. Im Landtag beginnt die Aufklärung des Geschehens im Schlossgarten. Die StZ zitiert Auszüge aus dem Einsatzbericht.
In ihrem 51-seitigen Bericht an den Untersuchungsausschuss des Landtags hat die Stuttgarter Polizei ihre Sicht des umstrittenen Einsatzes vom 30. September im Mittleren Schlossgarten dargelegt. Wir dokumentieren in Auszügen die Darstellung zum Einsatzverlauf mit Beginn der Einfahrt in den Schlosspark. Dies geschah eine Stunde später als geplant. Der Einsatz hatte um zehn Uhr beginnen sollen, um rechtzeitig vor dem Erscheinen der Schülerdemonstration gegen 12 Uhr eine Absperrlinie um das Baugelände der Wasseraufbereitungsanlage errichten zu können. Für das Aufstellen einer Gitterlinie waren 45 Minuten eingeplant gewesen. Doch ein Teil der Einsatzkräfte, darunter zwei Hundertschaften aus Bayern, verspätete sich um knapp eine Stunde. Dadurch geriet die Polizei von Anfang an unter Zeitdruck. Dazu kam, dass die Schüler nach Bekanntwerden des Polizeieinsatzes ihren Protestmarsch abbrachen und vorzeitig in den Schlossgarten strömten. Das weitere Geschehen laut Polizeibericht:


„Im Bereich des Biergartens wurden gegen 11.15 Uhr die Einsatzkräfte durch Blockaden aus Bierbänken am Vorrücken gehindert. Gegen 11.20 Uhr waren die Gitter-Lkw (Lastwagen mit Anhänger, die Red.) und Wasserwerfer zwischen dem Nil-Café am See und dem Biergarten durch ca. 800 Personen blockiert. Um dennoch die Gitterabsperrung aufstellen zu können, wurde um 11.36 Uhr begonnen, durch Einsatzkräfte die Gitter von dem blockierten Lkw abzuladen, in den vorgesehenen Bereich zu tragen und aufzubauen. Um dies zu verhindern, wurde dieser Gitter-Lkw nach Aufforderung durch S-21-Aktivisten (Ansprache, Gestik und teilweise mit Megafon) besetzt. Immer wieder haben diese Personen lenkend auf die Menschenmenge Einfluss genommen. (. . .)


Entgegen den früheren Erfahrungen war festzustellen, dass die Mehrheit der S-21-Gegner nicht ansprechbar bzw. für die Polizei nicht erreichbar war. Die Durchsagen wurden durch Pfiffe und sonstigen Lärm begleitet und ignoriert. Vielmehr wurden die Gitter durch mitgeführte Kabelbinder von den S-21-Gegnern verbunden, um das Abladen zu erschweren. Auch wurde aus allen vier Reifen des ersten Anhängers des Gitter-Lkw ca. drei Viertel der Luft herausgelassen und versucht die, Schnellkupplung der Anhängerbremse zu lösen, was durch Einsatzkräfte verhindert werden konnte.


Ab ca. 11.45 Uhr war eine insgesamt sehr aufgeheizte und aggressive Stimmung gegenüber den einschreitenden Polizeikräften festzustellen. Anordnungen der Polizei wurde keine Folge geleistet, und Einsatzkräfte wurden gezielt körperlich angegangen sowie durch hohen physischen Druck aus der Menge zurückgeschoben und weggedrückt. Teilweise wurde hierbei auch gezielt gegen die Beine der Polizeikräfte getreten. Der Abschnittsleiter ordnete daraufhin an, dass die Personen zwangsweise von dem Lkw heruntergebracht werden.


Zu diesem Zeitpunkt war die Personenzahl, welche sich überwiegend im Bereich der blockierten Polizeifahrzeuge aufhielt, bereits auf mehr als 2000 Personen angestiegen. Die mit der Räumung des Lkw beauftragten Kräfte wurden beim Herangehen an den Gitter-Lkw durch aktiven und passiven Widerstand massiv behindert. Die Stimmung der S-21-Gegner gegenüber der Polizei kippte zu diesem Zeitpunkt; der Zulauf von weiteren hochemotionalisierten S-21-Gegnern hatte dazu beigetragen. Eine Einsatzeinheit wurde zeitweise von S-21-Gegnern vom blockierten Lkw abgedrängt, so dass es erforderlich war, vereinzelt Pfefferspray einzusetzen.


Als sich abzeichnete, dass aufgrund des Widerstands der Projektgegner weder die bislang aufgestellte Absperrung gehalten noch die Gitter aufgebaut werden können und die Gefahr bestand, überrannt zu werden, ersuchte der Leiter des EA 3 (Einsatzabschnittsleiter für Sonderlagen, die Red.) nach Absprache mit den Hundertschaftsführern den Polizeipräsidenten Stumpf um allgemeine Freigabe der Anwendung von Unmittelbarem Zwang mit den Worten: ,Wir benötigen die Entscheidung des PF (Polizeiführers, die Red.) hinsichtlich des Einsatzes UZW (Unmittelbarer Zwang, die Red.) mindestens in Zugstärke, auch in Hundertschaftsstärke unter Einsatz des Schlagstockes. Ansonsten halten wir weder die Absperrung, noch können wir Gitter aufstellen. Zusätzlich regen wir an, einen Wasserwerfer auffahren zu lassen."


Gemäß dem Polizeigesetz darf Unmittelbarer Zwang angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck auf andere Wiese nicht erreichbar erscheint. Dabei soll das angewandte Mittel nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein. Gegenüber einer Menschenansammlung darf Unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn seine Anwendung gegen einzelne Teilnehmer der Menschenansammlung offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Polizeipräsident Stumpf hat dem Ersuchen des EA 3 um 11.53 zugestimmt. (. . .)


In einem abgestuften Konzept wurde gegen die Personen vorgegangen: In der Zeit zwischen 12.02 Uhr und 12.36 Uhr erfolgten zehn Lautsprecherdurchsagen, in denen dazu aufgefordert wurde, den besetzten Gitter-Lkw und den blockierten Weg freiwillig zu räumen. Der Bereich zwischen dem Wasserwerfer und den blockierten Gitter-Lkw wurde durch Polizeikräfte geräumt. Hierzu wurde ab 12.18 Uhr vereinzelt Schlagstock und Pfefferspray sowie ab 12.48 Uhr der durch Sitzblockaden an der Weiterfahrt gehinderte Wasserwerfer (Wasserregen) eingesetzt. Insgesamt erfolgte in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Lautsprecherdurchsagen durch die Besatzung der Wasserwerfer, in denen den S-21-Gegnern das erwartete Verhalten und die Rechtsfolgen erläutert sowie der Unmittelbare Zwang angedroht wurde.


Mit sukzessiver Durchführung der Räumung konnte der Technik-Konvoi im Bereich vor dem Biergarten auf die Einsatzkräfte aufschließen. Dort wurde der Widerstand der S-21-Gegner so stark, dass ein weiteres Vorrücken der Kräfte nicht möglich war. Die Personen hatten sich mit großen Kunststofffolien, Schirmen und Regenbekleidung ausgestattet. Ferner waren in diesem Bereich Barrikaden mit Bierbänken und -tischen sowie sonstigen Gegenständen aus dem Bereich des Biergartens errichtet worden. Vor diesem Hintergrund war ein weiteres Vorrücken der Kräfte ohne Unterstützung der Wasserwerfer nicht möglich. Der Einsatz des Wasserwerfers erfolgte in diesem Zusammenhang mit Wasserstößen niedrigen Drucks (4 bar) unmittelbar gegen Personen.


Die weitere Räumung erfolgte im engen Zusammenwirken von Einsatzkräften und Wasserwerfern. Dabei drängten die Einsatzkräfte mit einfacher körperlicher Gewalt die vorderen Reihen der S-21-Gegner zurück. Begleitend hierzu wurde mit dem Wasserwerfer neben Wassersperren und Wasserstößen auch auf weiter entfernt stehende Personen mit Wasserregen eingewirkt, um ein gefährliches Gedränge zu vermeiden. Es wurde auch das Reizstoffsprühgerät 4 mit einer Reichweite von bis zu sieben Metern durch Einsatzkräfte eingesetzt. Der Schlagstock musste vereinzelt von Einsatzbeamten bei individuellen Widerstandshandlungen verwendet werden. (. . .) Mehrfach wurden durch S-21-Gegner Reizstoff und pyrotechnische Gegenstände gegen die Einsatzkräfte eingesetzt und Gegenstände geworfen. (. . .) Es wurde mehrfach festgestellt, dass sich Personen, die durch Einsatzkräfte weggetragen wurden, kurze Zeit später wieder durch die Absperrung drängten und erneut blockierten. In der Dynamik des Einsatzes war es nicht möglich, abgedrängte oder weggetragene Personen in Gewahrsam zu nehmen."