Keine Kommune ist auch keine Lösung

Erstveröffentlicht: 
27.11.2010

Das fragwürdige Manifest "Der kommende Aufstand" wird nun auch hier gelesen

HAMBURG. Die Sehnsucht des jungen Bürgertums, das solide Grün wählt, nach dem gedanklichen Exzess ist dieser Tage groß. Anders ist der Erfolg eines schmalen Büchleins nicht zu erklären, das dem Hamburger Nautilus-Verlag zurzeit eine hübsche Auflage beschert. Oder sollten es am Ende doch nur die marxistischen Seminaristen aus der geisteswissenschaftlichen Fakultät sein, die das als "Flugschrift" deklarierte Pamphlet lesen? VON THOMAS ANDRE

 

"Der kommende Aufstand" heißt der geschliffen formulierte Text vollmundig, er macht seit einigen Jahren Karriere in England und Frankreich, im Original trägt er den Namen "L'insurrection qui vient". Als Autor firmiert ein "Unsichtbares Komitee", das anscheinend ein "Handbuch des Terrorismus" verfasst hat: Nach der Sabotage einer Eisenbahnstrecke im Zuge eines Castortransports wurden 2008 neun Leute aus einem Dörfchen festgenommen, weil sie in Verbindung mit dem Buch standen. Angeblich soll ein begabter Doktorand hinter dem situationistisch-poetischen, radikalen Manifest stecken. Wenn man es auf einen einfachen Begriff bringt, sagt der knapp 130 Seiten lange Text: Die Wirtschaftswelt muss völlig neu organisiert werden - und zwar in kleine, lokale Einheiten.

 

Die erstrebenswerte Form des Zusammenlebens ist die Kommune, und jeder Einzelne sollte eine anonyme Position der Unsichtbarkeit einnehmen. Die gute alte Idee des Kommunismus wird hier noch mal (und immer wieder) gedacht, es geht um "einen Kommunismus als ergebnisoffener Prozess". Der sei nötig, weil die Gegenwart "ausweglos" ist. Das Bild, das von dieser Gegenwart gezeichnet wird, ist kein schönes und überschneidet sich mit den Grisaillen vieler Kulturpessimisten. Demnach wird das müde Subjekt gemäß seiner funktionellen Verfügbarkeit in die superkapitalistische Gesellschaft eingespeist, natürlich ist das die alte Vorstellung von der Entfremdung. Interessant ist nicht nur der Furor und die stilistische Eleganz, mit der hier gebrandmarkt und gefordert wird: Denn "der Zerfall aller sozialen Formen", der schon lange erlittene "Verlust von Wärme, Einfachheit, Wahrheit" ist für das Komitee die Voraussetzung für eine Revolution, die die im Untergang befindliche Zivilisation zu einem Ende bringt.

 

Was man hier liest, hat nichts zu tun mit der gedeihlichen, irgendwie "linken" Bürger- und Sozialbewegungsszene, die der Demokratie inhärent ist, sondern mit der kompromisslosen, längst nicht nur theoretischen Militanz feuriger Unzufriedener, Intellektueller und Weltverbesserer. Autonomwerden könnte bedeuten: "lernen, auf der Straße zu kämpfen, sich leere Häuser anzueignen, nicht zu arbeiten, sich wahnsinnig zu lieben und in den Geschäften zu klauen". Was sein muss, muss sein, und was geändert werden muss, ist klar. Das Tempo der heutigen Zeit. Hier finden die Aufständler auch die Möglichkeit für Sabotageakte - Raffinerien, Zugstrecken, Autobahnen, das Internet und andere Kommunikationsnetze.

 

Man sollte "Der kommende Aufstand" als romantische Erneuerung eines linken Vermächtnisses lesen, als naive Denkübung, die nicht ernsthaft eine Übersetzung in die Realität anstrebt. So charmant sich die Befreiung aus dem kapitalistischem Korsett liest, wer würde ernsthaft die Demokratie, so ermattet sie manchmal wirkt, aufgeben wollen? Das Manifest ist ein innen hohler Aufruf zum zivilen Ungehorsam.

 

Die kristallinen Sentenzen in "Der kommende Aufstand" kommen von Partisanen, nicht von Revolutionären: Warten auf die Revolution, das ist nicht die Sache des Komitees. Wahrscheinlich sollte man "Der kommende Aufstand" überhaupt nicht als "linken" Text lesen. Für die bisher veranstalteten linken Großversuche hat das Komitee jedenfalls nur Spott übrig. Was Gefallen findet, ist überdies nicht das Engagement. Für die in Hamburg erfolgreiche "Recht auf Stadt"-Bewegung, sie schöpft ihre Kraft gerade aus der Verankerung in der demokratischen Ordnung, hätten die imaginierten Aufständler nichts übrig, mehr schon für die Hafenstraßenbesetzer in den 80ern.

 

Ausgerechnet die "taz" war es, die die Schrift in rechte Denkschulen verortete (Schmitt, Heidegger) und scharf kritisierte, wie kritiklos die Feuilletons die antimoderne, undemokratische Schlagseite des Werks goutierten. Was besonders negativ auffällt bei der Lektüre von "Der kommende Aufstand", ist die Ausblendung aller Impulse, die (nicht nur) genuin links sind: die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit, der Blick auf die Schwachen, die Achtung der Menschenrechte. Also die Dinge, die den Steinewerfer im Schanzenviertel herzlich wenig interessieren.

 

Das unsichtbare Komitee: Der kommende Aufstand. Nautilus, 9,90 Euro