Wider den leblosen Geist 2009+

oder was Studierende über die Kampagne „Dem lebendigen Geist. Neue Universität 2011+“ denken, Heidelberg den 09.02.2009.

 

In den letzten 623 Jahren mag es an der Ruprecht-Karls-Universität einmal „lebendigen Geist“ gegeben haben, das können wir nicht beurteilen. Im Jahre 2009 ist diese Situation an unserer Universität schon grundsätzlich nicht gegeben. Die Studierenden könnten sich deshalb eher für eine Kampagne „Wider den leblosen Geist 2009+“ begeistern. Wir, Studierenden der Heidelberger Universität, lehnen die Selbstdarstellung der Hochschulleitung und die Kampagne „Dem lebendigen Geist. Neue Universität 2011+“ ab.

 

Bessere Ergebnisse ohne künstlichen Konkurrenzdruck
Die Realität im Studienalltag ist bereits jetzt von Leistungsdruck und Konkurrenzdruck geprägt, überall ersticken starre Studienordnungen den „lebendigen Geist“ im Keim. So hindern uns ständige Prüfungen und Anwesenheitspflicht, unser Studium individuellen Neigungen sowie Bedürfnissen entsprechend aufzubauen und fortzuentwickeln. Sie stehen unserem selbstbestimmten Streben nach Wissen im Weg und widersprechen unserem Verständnis von Bildung; für Bereiche, die uns tatsächlich bewegen, fehlt durch permanente „Leistungs“-Überwachung, schlichtweg die Zeit. Wir sind der Überzeugung: Ein „lebendiger Geist“ ist nur am Leben und darf als solcher bezeichnet werden, wenn er selbstständig handeln und frei denken kann. Beides ist an unserer Hochschule nicht möglich.

 

Demokratie durchsetzen, Alleingänge abschaffen

Bereits jetzt ist unsere Hochschule von undemokratischen Strukturen durchwachsen. So haben wir für unsere Anliegen und Vorstellungen keine Anlaufstelle, die von den verantwortlichen Behörden ernstgenommen werden muss, beispielsweise eine verfasste Studierendenschaft. Bei den wesentlichen Entscheidungen, die uns alle betreffen, werden wir weder gefragt noch haben wir eine Möglichkeit auf Mitbestimmung. Eine Behandlung mit Würde und Respekt dafür, dass wir Studierenden einen bedeutenden Teil am Bildungsprozess an der Universität sowie in der Gesellschaft beitragen, bleibt nach wie vor aus.

 

Wirken der Wirtschaft - Krise der Bildung
Die Kampagne „Dem lebendigen Geist. Neue Universität 2011+“ zeigt exemplarisch, was alltäglich ist:
Dem Verlangen der Wirtschaft nach schneller Ausbildung für den Arbeitsmarkt wird mehr und mehr Vorrang vor den gesamtgesellschaftlichen Interessen an mündigen Bürgerinnen und Bürgern gegeben, wie es schon im Fall der Bachelor/Master-Umstellung ins Auge fällt. Der schleichende Rückzug der Landesregierung aus der Verantwortung für die Hochschulfinanzierung und die neuen Umfinanzierungsbemühungen seitens der Universitätsleitung ermöglichen der Wirtschaftslobby, die Hochschule in eine Abhängigkeit zu zwingen, um den ehemals „lebendigen Geist“ nach ihren schnelllebigen Wünschen für sich formen zu lassen. Die „Exzellenzinitiative“ ist hierbei reines Accessoire, sie ist nur eine deutsche Imagekampagne mit der sich in Heidelberg wegen der besonderen „Außenwirkung“ gerne geschmückt wird. Jedoch führt elitäres Denken und Handeln dazu, dass eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit zum „Erfolg“ geführt wird. Wir sind der Meinung, Exzellenz muss für ALLE gelten. In Erwägung der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen drücken wir abschließend unser Erstaunen über den Mut der Universitätsleitung aus, die Zukunft der Bildung in die Hände von privaten Investorinnen und Investoren zu legen. Wir fragen uns, ob die freie geistige Entwicklung bald an Konjunkturschwankungen gekoppelt sein wird.

 

Wir stellen unsere eigenen Reformvorhaben dagegen:

 

• Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte in sämtlichen Gremien, eine verfasste
Studierendenschaft
• Abschaffung des NC, da Abiturnoten nichts über einen „lebendigen Geist“ aussagen
• Abschaffung der Studiengebühren, da ein „lebendiger Geist“ Freiheit von materiellen
Zwängen braucht
• Mitsprache und Selbstbestimmung von Studien- und Prüfungsordnungen, damit wir
selbst entscheiden was unseren „lebendigen Geist“ bewegt
• Finanzierung der Bildung aus öffentlichen Mitteln

 

Im kommenden Sommersemester werden wir unseren Forderungen Nachdruck verleihen und uns am bundesweiten Bildungsstreik (www.bildungsstreik2009.de) beteiligen.

 

von „Heidelberger Forum für kritische Theorie“ und „Kritische Initiative Heidelberg“