Neofaschismus in Italien - Popkulturell anschlussfähig

Erstveröffentlicht: 
03.11.2010

Ihr Konzept ist eine Verschmelzung von Politik und Kultur, wie sie bislang meist der Linken zugeschrieben wurde: Inmitten eines Migrantenviertels in Rom liegt die Casa Pound, ein neofaschistisches Jugendzentrum, dass durch Grafitti und Plakate in der Gegend von sich reden macht.

 

 

 

Wer sich in Rom wenige Straßen südlich vom Bahnhof Termini in Richtung der Piazza Vittorio Emanuele bewegt, stößt in der Via Napoleone III auf ein unscheinbares Gebäude. Äußerlich hebt es sich von den Nachbarhäusern kaum ab, doch prangt an der Fassade in strengen römischen Marmorlettern ein Schriftzug: Casa Pound. Hier, inmitten des Migrantenviertels Esquilino, befindet sich der derzeit wohl symbolträchtigste Ort des italienischen Neofaschismus. Seit der Besetzung des Gebäudes durch italienische Ultrarechte im Dezember 2003 konnte sich die Casa Pound als Zentrum der Bewegung etablieren.

Ihr Konzept ist eine Verschmelzung von Politik und Kultur, wie sie bislang meist der Linken zugeschrieben wurde. Von der Stadtverwaltung geduldet und der römischen Polizei im Zweifelsfall beschützt, hat die Casa Pound in der Nachbarschaft deutliche Spuren hinterlassen: Graffiti und Plakate, auf den ersten Blick von den üblichen Hinterlassenschaften großstädtischer Subkulturen wenig unterschieden, haben in dieser Gegend fast ausschließlich einen rechtsradikalen Hintergrund.

Ein nationalistisches soziales Zentrum

Bemerkenswert ist dabei der Aufwand, mit dem das Material oft produziert wurde. So ehrt in der Via Napoleone III ein mehrfarbiges Kunstwerk den französischen Nazi-Kollaborateur Robert Brasillach, dessen Zeitung „Je suis partout“ in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges die Namen und Aufenthaltsorte versteckter Juden und Widerstandskämpfer publizierte. Andere Parolen geben sich betont obrigkeitsfeindlich, agitieren gegen hohe Mieten und Immobilienspekulation.

Auf den ersten Blick wirkt es so, als wollen die Faschisten die Formen der italienischen Linken einfach kopieren. Doch greift dieses basisnahe Profil auch auf eine Strömung innerhalb des italienischen Faschismus zurück: den Intransigenti, die sich aufgrund ihres nationalrevolutionären Selbstverständnisses besonders kompromisslos gaben.

In dieser Tradition steht auch die Inszenierung des Projektes der Casa Pound als Jugendrebellion von rechts. Dazu passt der Status des Hauses, das beansprucht, ein nationalistisches soziales Zentrum zu sein. Eine Erklärung verkündet demonstrativ die Bindung an das „einfache Volk“: „Wir sind Italiener. Wir sind keine sozialen Außenseiter.“ Die Aktivisten pflegen Kontakte in die Fußballszene und bieten Wohnraum für „rein“ italienische Familien. Vor allem aber kümmern sie sich intensiv um den Aufbau einer Subkultur, die vor allem identitätsstiftend wirken soll.

Das offensive Konzept der kulturellen Sichtbarkeit ist zudem ein gutes Geschäftsmodell. Augenscheinlich verkauft sich das Emblem der Casa Pound, die stilisierte Schildkröte mit dem Eisernen Kreuz auf dem Panzer, gut in den Kreisen italienischer Skinheads und Hooligans. Das Symbol ziert eine breite Palette von Merchandise-Artikeln des römischen Neofaschismus. So herrscht im Milieu die szenetypische Mischung aus „Subkultur, organisierter Rechten und Schattenkommerz“ (Georg Seeßlen). Für eine breite Internetpräsenz ist gesorgt, an Propagandamaterial herrscht ebenfalls kein Mangel.

Zur weiteren Rekrutierung von Anhängern dient ein zum Konzertraum umgewandelter ehemaliger Bahnhof, die „Aerea 19“, deren Name auf die Gründung der faschistischen Kampfbünde 1919 zurückgehen soll. Vor allem hier und durch den Band-Contest „Bunker Noise Academy“ werden die Kontakte zur rechten Musikszene vertieft. Ohnehin gehört mit Gianluca Iannone der Frontmann der Rechtsrocker Zetazeroalfa zu den organisatorischen Köpfen der Casa Pound. Der lange beschworene Zusammenhang von subkultureller Form und fortschrittlichem Inhalt ist eben keine Zwangsläufigkeit, und spätadoleszente Fascho-Ästhetik lässt sich problemlos als Rebellion verkaufen.

Unter Berlusconi rehabilitiert

Doch reicht die Einsicht in den kulturellen Charakter des Projektes nicht allein, um die Langlebigkeit des Zentrums zu erklären. Wie die jüngst erschienene Studie „Viva Mussolini!“ von Aram Mattioli zeigt, wurde im Italien Berlusconis der Faschismus schleichend rehabilitiert. Auch deshalb können Einrichtungen wie die Casa Pound bestehen. Deren Anziehung erklärt sich auch aus der offensiv präsentierten faschistischen Programmatik. Denn man beschränkt sich dort keineswegs darauf, weltanschaulich desorientierten Jungmannen Möglichkeiten zu Tanz und Kampf zu bieten. Das Angebot reicht mittlerweile über das hinaus, womit sich die Hate-Core-Szene sonst amüsiert, man bietet nicht nur die Action der Straßenschlacht, sondern hat auch die passende Theorie im Angebot.

Der Einfluss der neofaschistischen Studentenorganisation Blocco Studentesco, deren einschlagender weißer Blitz auf schwarzem Grund dem deutschen Betrachter unangenehm vertraut ist, hat Spuren hinterlassen. Es gibt im Umfeld des Zentrums nicht nur eine Kneipe, sondern auch das Onlineradio Bandiera Nera und einen Buchladen. Der Weg zur neuen Ordnung der „italienischen Wiedergeburt“ soll von der Tanzfläche auf die Straße und in die Hörsäle führen.

In der Casa Pound arbeitet man besonders ambitioniert an einer Synthese von Politik und Ästhetik: Die Köpfe der Bewegung haben dafür ein „Manifest des Turbodynamismus“ formuliert, das ebenso die Abrechnung mit der Kunst sein wie einem Kult ästhetisierter Gewalt huldigen soll: „Turbodynamismus ist die Exaltierung der haltlosen, brutalen und rücksichtslosen Aktion, mit gleichzeitigem Respekt und Achtung gegenüber der Praxis des sich gut Kleiden“, heißt es in der deutschen Fassung.

Die Schrift feiert den Schläger und Rowdy als wahren Künstler. Sie zelebriert den Mobster als Stilikone, ständig mit dem Image des Täters kokettierend: „Wir fördern einen bestimmten Stil, der notwendig ist, um einen Brand zu stiften.“


Zur Sache

Als faschistisches „Kulturzentrum“ erregt die Casa Pound über Italien hinaus Aufmerksamkeit. Anfang 2009 erschien ein kritischer Artikel in der Jungle World. Stern.de brachte eine Fotoserie mit durchtrainierten jungen Männern und ihren Anführern im Maßanzug.
Die größte Aufmerksamkeit zollten natürlich einschlägige Kreise: Im Internet schwärmten deutsche Nazis neidisch von der Möglichkeit des offenen Bekenntnisses zur faschistischen Weltanschauung in Italien. Die Zeitschrift Sezession, die den neofaschistischen Nachwuchs um sich sammeln will, lobte die erfolgreiche Symbolpolitik der Casa Pound und auch die Junge Freiheit zeigte sich beeindruckt vom „postmodernen Faschismus“ in der Casa Pound und widmete ihr dieses Jahr zwei Texte. V.W.


Das reichhaltig vorhandene Bildmaterial präsentiert Muskeln und Tattoos im tadellosen Outfit. Insgesamt spekuliert man auf den im Pop gültigen symbolischen Mehrwert des stilvollen Outlaws. Was wie ein Amalgam aus adoleszenter Nietzsche-Lektüre und Machismo aussieht, führt tatsächlich tief in die Gedankenwelt des faschistischen Heroismus: die Stilisierung des Totschlägers und Mitläufers zum Rebellen.

Die Wahl des Namenspatrons der Casa Pound kündet dabei vom historischen Bewusstsein des ganzen Projekts. Wie wenig andere steht der amerikanische Poet Ezra Pound für die Bereitschaft einer modernistischen Avantgarde, sich auf den europäischen Faschismus einzulassen. Der Lyriker siedelte in den zwanziger Jahren nach Italien über und wurde zum glühenden Propagandisten Mussolinis. Die Allianz zwischen Ästhetik und Macht bietet bereits das Gründungsmoment der faschistischen Bewegung. Zu den frühen Weggefährten Mussolinis zählte Filippo Tommaso Marinetti, in dessen „futuristischen Manifesten“ sich der Glaube an moderne Technik mit dem Lob der rohen Gewalt zur ästhetischen Konzeption verband – und damit schon vor dem Ersten Weltkrieg die Geisteshaltung des Faschismus antizipierte.

Die Selbstermächtigung durch blanke Gewalt übte in den Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg eine immense Anziehung gerade auf intellektuelle Milieus aus. Und sie scheint bis heute zu wirken, allerdings mit paradoxen Folgen: Ohne jede Mühe, seinen plagiatorischen Charakter zu kaschieren, führt der „Turbodynamismus“ das historische Vorbild des Futurismus ad absurdum. Denn die Futuristen hassten ja nichts so sehr wie die Vergangenheit. „Passatismus“, wie ihre Wortschöpfung für Rückwärtsgewandtheit lautete, war der schwerste Vorwurf. Aus ihrer Perspektive wäre es geradezu obszön gewesen, sich heute an Texten zu orientieren, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts für Furore in der europäischen Kunstwelt sorgten.

Aus der Asche des Futurismus

Marinetti protzte vor dem Ersten Weltkrieg damit, „alle Traditionen in die Luft“ zu sprengen und sich nach zehn Jahren „über dem Feuer unserer Bücher von heute die Hände wärmen“ zu wollen. Nun wühlen nach hundert Jahren neofaschistische Epigonen in der Asche und bilden daraus selbst eine Tradition. Allerdings sind die Hürden, die der Futurismus der präpotenten Ästhetik gesetzt hat, hoch: Frauenhass, Körperpanzer und Superphallus, die zu den ständigen Idiomen neofaschistischer Subkultur gehören, wurden von den Futuristen vorweggenommen. Marinettis Romanheld „Mafarka der Futurist“ hat als durch Afrika vögelnder und mordender Übermensch ein so langes Geschlechtsteil, dass er es beim Segeln als Fockmast benutzt. Eine so zeigefreudige Männerphantasie dürfte auch heute schwer zu überbieten sein.

Die Kreativität der Szene reicht gerade noch dazu, im Namen des römischen Buchladens Testa di Ferro den klassischen Bonehead mit Marinettis Forderung nach „Männern mit stählernem Kinn“ zu vermählen. Die Futurismus-Rezeption des „Turbodynamismus“ der Casa Pound spart eben genau die reflexiven Momente der Avantgarde aus und beschränkt sich auf eine habituelle Kopie.

Mit der subkulturellen Wiederbelebung der futuristisch-faschistischen Strömung durch die Casa Pound und den „Turbodynamismus“ ist es tatsächlich also nicht allzu weit her. Deren Wiederaufbereitung dient nur der symbolischen Aufwertung des politischen Projekts. Die italienische Rechte gibt sich radikal. Sie strebt zurück an ihre Wurzeln und belebt dafür mit den Inhalten des Faschismus auch dessen Ästhetik wieder. Mehr nicht.

 

 


Zur Sache

Als faschistisches „Kulturzentrum“
erregt die Casa Pound über Italien hinaus Aufmerksamkeit. Anfang 2009 erschien ein kritischer Artikel in der Jungle World. Stern.de brachte eine Fotoserie mit durchtrainierten jungen Männern und ihren Anführern im Maßanzug.
Die größte Aufmerksamkeit zollten natürlich einschlägige Kreise: Im Internet schwärmten deutsche Nazis neidisch von der Möglichkeit des offenen Bekenntnisses zur faschistischen Weltanschauung in Italien. Die Zeitschrift Sezession, die den neofaschistischen Nachwuchs um sich sammeln will, lobte die erfolgreiche Symbolpolitik der Casa Pound und auch die Junge Freiheit zeigte sich beeindruckt vom „postmodernen Faschismus“ in der Casa Pound und widmete ihr dieses Jahr zwei Texte. V.W.