Ihr Konzept ist eine Verschmelzung von Politik und Kultur, wie sie bislang meist der Linken zugeschrieben wurde: Inmitten eines Migrantenviertels in Rom liegt die Casa Pound, ein neofaschistisches Jugendzentrum, dass durch Grafitti und Plakate in der Gegend von sich reden macht.
Wer
sich in Rom wenige Straßen südlich vom Bahnhof Termini in Richtung
der Piazza Vittorio Emanuele bewegt, stößt in der Via Napoleone III
auf ein unscheinbares Gebäude. Äußerlich hebt es sich von den
Nachbarhäusern kaum ab, doch prangt an der Fassade in strengen
römischen Marmorlettern ein Schriftzug: Casa Pound. Hier, inmitten
des Migrantenviertels Esquilino, befindet sich der derzeit wohl
symbolträchtigste Ort des italienischen Neofaschismus. Seit der
Besetzung des Gebäudes durch italienische Ultrarechte im Dezember
2003 konnte sich die Casa Pound als Zentrum der Bewegung etablieren.
Ihr Konzept ist eine Verschmelzung von Politik und Kultur,
wie sie bislang meist der Linken zugeschrieben wurde. Von der
Stadtverwaltung geduldet und der römischen Polizei im Zweifelsfall
beschützt, hat die Casa Pound in der Nachbarschaft deutliche Spuren
hinterlassen: Graffiti und Plakate, auf den ersten Blick von den
üblichen Hinterlassenschaften großstädtischer Subkulturen wenig
unterschieden, haben in dieser Gegend fast ausschließlich einen
rechtsradikalen Hintergrund.
Ein nationalistisches soziales
Zentrum
Bemerkenswert ist dabei der Aufwand, mit dem das
Material oft produziert wurde. So ehrt in der Via Napoleone III ein
mehrfarbiges Kunstwerk den französischen Nazi-Kollaborateur Robert
Brasillach, dessen Zeitung „Je suis partout“ in Frankreich
während des Zweiten Weltkrieges die Namen und Aufenthaltsorte
versteckter Juden und Widerstandskämpfer publizierte. Andere Parolen
geben sich betont obrigkeitsfeindlich, agitieren gegen hohe Mieten
und Immobilienspekulation.
Auf den ersten Blick wirkt es so,
als wollen die Faschisten die Formen der italienischen Linken einfach
kopieren. Doch greift dieses basisnahe Profil auch auf eine Strömung
innerhalb des italienischen Faschismus zurück: den Intransigenti,
die sich aufgrund ihres nationalrevolutionären Selbstverständnisses
besonders kompromisslos gaben.
In dieser Tradition steht auch
die Inszenierung des Projektes der Casa Pound als Jugendrebellion von
rechts. Dazu passt der Status des Hauses, das beansprucht, ein
nationalistisches soziales Zentrum zu sein. Eine Erklärung verkündet
demonstrativ die Bindung an das „einfache Volk“: „Wir sind
Italiener. Wir sind keine sozialen Außenseiter.“ Die Aktivisten
pflegen Kontakte in die Fußballszene und bieten Wohnraum für „rein“
italienische Familien. Vor allem aber kümmern sie sich intensiv um
den Aufbau einer Subkultur, die vor allem identitätsstiftend wirken
soll.
Das offensive Konzept der kulturellen Sichtbarkeit ist
zudem ein gutes Geschäftsmodell. Augenscheinlich verkauft sich das
Emblem der Casa Pound, die stilisierte Schildkröte mit dem Eisernen
Kreuz auf dem Panzer, gut in den Kreisen italienischer Skinheads und
Hooligans. Das Symbol ziert eine breite Palette von
Merchandise-Artikeln des römischen Neofaschismus. So herrscht im
Milieu die szenetypische Mischung aus „Subkultur, organisierter
Rechten und Schattenkommerz“ (Georg Seeßlen). Für eine breite
Internetpräsenz ist gesorgt, an Propagandamaterial herrscht
ebenfalls kein Mangel.
Zur weiteren Rekrutierung von
Anhängern dient ein zum Konzertraum umgewandelter ehemaliger
Bahnhof, die „Aerea 19“, deren Name auf die Gründung der
faschistischen Kampfbünde 1919 zurückgehen soll. Vor allem hier und
durch den Band-Contest „Bunker Noise Academy“ werden die Kontakte
zur rechten Musikszene vertieft. Ohnehin gehört mit Gianluca Iannone
der Frontmann der Rechtsrocker Zetazeroalfa zu den organisatorischen
Köpfen der Casa Pound. Der lange beschworene Zusammenhang von
subkultureller Form und fortschrittlichem Inhalt ist eben keine
Zwangsläufigkeit, und spätadoleszente Fascho-Ästhetik lässt sich
problemlos als Rebellion verkaufen.
Unter Berlusconi
rehabilitiert
Doch reicht die Einsicht in den kulturellen
Charakter des Projektes nicht allein, um die Langlebigkeit des
Zentrums zu erklären. Wie die jüngst erschienene Studie „Viva
Mussolini!“ von Aram Mattioli zeigt, wurde im Italien Berlusconis
der Faschismus schleichend rehabilitiert. Auch deshalb können
Einrichtungen wie die Casa Pound bestehen. Deren Anziehung erklärt
sich auch aus der offensiv präsentierten faschistischen
Programmatik. Denn man beschränkt sich dort keineswegs darauf,
weltanschaulich desorientierten Jungmannen Möglichkeiten zu Tanz und
Kampf zu bieten. Das Angebot reicht mittlerweile über das hinaus,
womit sich die Hate-Core-Szene sonst amüsiert, man bietet nicht nur
die Action der Straßenschlacht, sondern hat auch die passende
Theorie im Angebot.
Der Einfluss der neofaschistischen
Studentenorganisation Blocco Studentesco, deren einschlagender weißer
Blitz auf schwarzem Grund dem deutschen Betrachter unangenehm
vertraut ist, hat Spuren hinterlassen. Es gibt im Umfeld des Zentrums
nicht nur eine Kneipe, sondern auch das Onlineradio Bandiera Nera und
einen Buchladen. Der Weg zur neuen Ordnung der „italienischen
Wiedergeburt“ soll von der Tanzfläche auf die Straße und in die
Hörsäle führen.
In der Casa Pound arbeitet man besonders
ambitioniert an einer Synthese von Politik und Ästhetik: Die Köpfe
der Bewegung haben dafür ein „Manifest des Turbodynamismus“
formuliert, das ebenso die Abrechnung mit der Kunst sein wie einem
Kult ästhetisierter Gewalt huldigen soll: „Turbodynamismus ist die
Exaltierung der haltlosen, brutalen und rücksichtslosen Aktion, mit
gleichzeitigem Respekt und Achtung gegenüber der Praxis des sich gut
Kleiden“, heißt es in der deutschen Fassung.
Die Schrift
feiert den Schläger und Rowdy als wahren Künstler. Sie zelebriert
den Mobster als Stilikone, ständig mit dem Image des Täters
kokettierend: „Wir fördern einen bestimmten Stil, der notwendig
ist, um einen Brand zu stiften.“
Zur Sache
Als
faschistisches „Kulturzentrum“ erregt die Casa Pound über
Italien hinaus Aufmerksamkeit. Anfang 2009 erschien ein kritischer
Artikel in der Jungle World. Stern.de brachte eine Fotoserie mit
durchtrainierten jungen Männern und ihren Anführern im Maßanzug.
Die größte Aufmerksamkeit zollten natürlich einschlägige
Kreise: Im Internet schwärmten deutsche Nazis neidisch von der
Möglichkeit des offenen Bekenntnisses zur faschistischen
Weltanschauung in Italien. Die Zeitschrift Sezession, die den
neofaschistischen Nachwuchs um sich sammeln will, lobte die
erfolgreiche Symbolpolitik der Casa Pound und auch die Junge Freiheit
zeigte sich beeindruckt vom „postmodernen Faschismus“ in der Casa
Pound und widmete ihr dieses Jahr zwei Texte. V.W.
Das
reichhaltig vorhandene Bildmaterial präsentiert Muskeln und Tattoos
im tadellosen Outfit. Insgesamt spekuliert man auf den im Pop
gültigen symbolischen Mehrwert des stilvollen Outlaws. Was wie ein
Amalgam aus adoleszenter Nietzsche-Lektüre und Machismo aussieht,
führt tatsächlich tief in die Gedankenwelt des faschistischen
Heroismus: die Stilisierung des Totschlägers und Mitläufers zum
Rebellen.
Die Wahl des Namenspatrons der Casa Pound kündet
dabei vom historischen Bewusstsein des ganzen Projekts. Wie wenig
andere steht der amerikanische Poet Ezra Pound für die Bereitschaft
einer modernistischen Avantgarde, sich auf den europäischen
Faschismus einzulassen. Der Lyriker siedelte in den zwanziger Jahren
nach Italien über und wurde zum glühenden Propagandisten
Mussolinis. Die Allianz zwischen Ästhetik und Macht bietet bereits
das Gründungsmoment der faschistischen Bewegung. Zu den frühen
Weggefährten Mussolinis zählte Filippo Tommaso Marinetti, in dessen
„futuristischen Manifesten“ sich der Glaube an moderne Technik
mit dem Lob der rohen Gewalt zur ästhetischen Konzeption verband –
und damit schon vor dem Ersten Weltkrieg die Geisteshaltung des
Faschismus antizipierte.
Die Selbstermächtigung durch blanke
Gewalt übte in den Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg eine
immense Anziehung gerade auf intellektuelle Milieus aus. Und sie
scheint bis heute zu wirken, allerdings mit paradoxen Folgen: Ohne
jede Mühe, seinen plagiatorischen Charakter zu kaschieren, führt
der „Turbodynamismus“ das historische Vorbild des Futurismus ad
absurdum. Denn die Futuristen hassten ja nichts so sehr wie die
Vergangenheit. „Passatismus“, wie ihre Wortschöpfung für
Rückwärtsgewandtheit lautete, war der schwerste Vorwurf. Aus ihrer
Perspektive wäre es geradezu obszön gewesen, sich heute an Texten
zu orientieren, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts für Furore
in der europäischen Kunstwelt sorgten.
Aus der Asche des
Futurismus
Marinetti protzte vor dem Ersten Weltkrieg damit,
„alle Traditionen in die Luft“ zu sprengen und sich nach zehn
Jahren „über dem Feuer unserer Bücher von heute die Hände
wärmen“ zu wollen. Nun wühlen nach hundert Jahren
neofaschistische Epigonen in der Asche und bilden daraus selbst eine
Tradition. Allerdings sind die Hürden, die der Futurismus der
präpotenten Ästhetik gesetzt hat, hoch: Frauenhass, Körperpanzer
und Superphallus, die zu den ständigen Idiomen neofaschistischer
Subkultur gehören, wurden von den Futuristen vorweggenommen.
Marinettis Romanheld „Mafarka der Futurist“ hat als durch Afrika
vögelnder und mordender Übermensch ein so langes Geschlechtsteil,
dass er es beim Segeln als Fockmast benutzt. Eine so zeigefreudige
Männerphantasie dürfte auch heute schwer zu überbieten sein.
Die
Kreativität der Szene reicht gerade noch dazu, im Namen des
römischen Buchladens Testa di Ferro den klassischen Bonehead mit
Marinettis Forderung nach „Männern mit stählernem Kinn“ zu
vermählen. Die Futurismus-Rezeption des „Turbodynamismus“ der
Casa Pound spart eben genau die reflexiven Momente der Avantgarde aus
und beschränkt sich auf eine habituelle Kopie.
Mit der
subkulturellen Wiederbelebung der futuristisch-faschistischen
Strömung durch die Casa Pound und den „Turbodynamismus“ ist es
tatsächlich also nicht allzu weit her. Deren Wiederaufbereitung
dient nur der symbolischen Aufwertung des politischen Projekts. Die
italienische Rechte gibt sich radikal. Sie strebt zurück an ihre
Wurzeln und belebt dafür mit den Inhalten des Faschismus auch dessen
Ästhetik wieder. Mehr nicht.
Zur Sache
Als faschistisches „Kulturzentrum“
erregt
die Casa Pound über Italien hinaus Aufmerksamkeit. Anfang 2009
erschien ein kritischer Artikel in der Jungle World. Stern.de
brachte eine Fotoserie mit durchtrainierten jungen Männern und
ihren Anführern im Maßanzug.
Die größte
Aufmerksamkeit zollten natürlich einschlägige Kreise: Im
Internet schwärmten deutsche Nazis neidisch von der Möglichkeit
des offenen Bekenntnisses zur faschistischen Weltanschauung in
Italien. Die Zeitschrift Sezession, die den neofaschistischen
Nachwuchs um sich sammeln will, lobte die erfolgreiche Symbolpolitik
der Casa Pound und auch die Junge Freiheit zeigte sich beeindruckt
vom „postmodernen Faschismus“ in der Casa Pound und widmete ihr
dieses Jahr zwei Texte. V.W.