Am 30. Juli fanden in Stuttgart Proteste gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr statt. Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit, dem über 120 politische Organisationen, Parteien Gewerkschaften und Verbände sowie zahlreiche Einzelpersonen angehören, hatte mit mehreren Demobeobachtergruppen die Proteste begleitet. Das Bündnis hat sich ausdrücklich nicht zum Inhalt der Proteste gegen das Gelöbnis positioniert.
Bereits im Vorfeld kritisierte das Bündnis, dass mit dem neuen, geplanten Versammlungsgesetz „unliebsame“ Versammlungsleiter sowie Proteste behindert werden können. Dies war nach Ansicht des Bündnisses bereits bei diesen Protesten gegen das Gelöbnis der Fall.
So wurden vier Anmelderinnen und Anmelder verschiedener Protestversammlungen durch das Ordnungsamt der Stadt Stuttgart als „ungeeignet“ abgelehnt.
Obwohl keiner der Betroffenen vorbestraft ist oder wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verurteilt wurde, verweigerten die städtischen Behörden den Kundgebungsanmeldern ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.
Damit nimmt das Ordnungsamt den geplanten neuen §15,5 des baden-württembergischen Versammlungsgesetzes vorweg. Darin heißt es: „Der Veranstalter hat der zuständigen Behörde auf Anforderung Geburtsdatum und Geburtsort der die Versammlung leitenden Person mitzuteilen. Die zuständige Behörde kann die die Versammlung leitende Person als ungeeignet ablehnen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch ihren Einsatz Störungen der Versammlung oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen können.“
Inzwischen haben die abgelehnten Versammlungsleiter Widerspruch gegen dieses Vorgehen eingelegt und ihre Anwälte eingeschaltet. Das Bündnis für Versammlungsfreiheit hat bereits seine politische Unterstützung während des anstehenden Rechtsstreites angekündigt.
Die von den Demobeobachtergruppen des Bündnisses angefertigte Chronologie der Proteste am 30. Juli macht deutlich, dass es vor allem die polizeilichen Aktivitäten waren, mit denen ein auch für die - ausnahmslos geladenen - Besucher des Gelöbnisses wahrnehmbarer Protest behindert werden sollte.
Laut Bundesverwaltungsgericht muss die Bundeswehr, „wenn sie sich bewusst nicht auf ein Kasernengelände beschränkt, sondern in die Öffentlichkeit und den dort geführten Meinungskampf begibt, kritische Äußerungen der Zuschauer so lange ertragen, wie hierdurch nicht der Ablauf der Veranstaltung konkret beeinträchtigt wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Würde der Veranstaltung Schaden nimmt.“ (Nach: Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 105. )
Dagegen wurde nicht nur die militärkritische Öffentlichkeit in ihrem Demonstrationsrecht unzulässig eingeschränkt: Auch Anwohner, Geschäftsleute in der Königsstraße, zufällige Passanten, sowie der Durchgangsverkehr wurden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Das Bündnis für Versammlungsfreiheit betont erneut die Wichtigkeit uneingeschränkten Versammlungsrechtes als demokratisches Grundrecht.
Zudem fordert es die politisch Verantwortlichen auf, die ständig wiederkehrenden Repressionen gegen Kundgebungen und Demonstrationen zu unterbinden.
Im Folgenden die Chronologie aus Sicht der Demobeobachtergruppen des Bündnisses, Ergänzungen und Hinweise bitte an kontakt[at]versammlungsrecht[dot].info:
Am
Blockadepunkt 2 - beim „Palast der Republik“ Bolz / Ecke
Lautenschlager Str. gab es einen Infostand mit ca. 40 Demonstranten.
Die Polizeipräsenz lag bei 20 bis 30 Beamten in jeder
Himmelsrichtung sowie einigen versteckten. Es kam zu Durchsuchungen
von Rucksäcken der potenziellen Demonstrationsteilnehmer im Vorfeld.
Zu Beginn der Aktion wurden die Auflagen wurden verlesen, es waren
Demonstrationssanitäter waren vor Ort.
Kurz vor 10.00h wurde
die Kundgebung beendet und die Demonstranten wollten sich Richtung
Hotel Silber bewegen. Die Polizei wollte den Standortwechsel offenbar
verhindern und behauptete, dass die Demonstranten bleiben müssen.
Nach Protesten wurde die Auflagen erteilt, die Fahnen zusammen zu
rollen und sich in kleinen Gruppen bis maximal 2 Personen dorthin zu
bewegen.
Beim Weg dorthin fiel auf, dass am Schlossplatz viele Passanten kontrolliert wurden, je jünger, desto höher die Chance, dass man kontrolliert wurde.
Am Blockadepunkt 3 - Eugenstr. / Ecke
Urbanstr. wurden Flyer verteilt. Auf 7 Demonstranten kamen 4
Polizisten, davon ein Kontaktbeamter. Die bekannte Polizeipräsenz im
Umfeld bestand aus ca. 5 Streifenwagen. Bei Ankunft gab es eine
Personenkontrolle, die Begründung dafür ist nicht bekannt. Der
Kontaktbeamte betonte, den "Grundsatz der Versammlungsfreiheit"
zu gewährleisten.
Am „Künstlercafe“ gab es eine
Absperrung, an der eine Gruppe von ca. 10 jungen Leuten aufgehalten
wurde. Hier fiel die Präsenz der berittenen Polizei auf. Die
Demonstranten durften nicht direkt über den Schlossplatz, sondern
sind letztendlich auf Höhe der Karstadtpassage auf die Königstraße
gelangt. Danach kam es zu einem Einsatz bei der Eberhardskirche.
Bei
einer angemeldeten Kundgebung am Hotel Silber nahmen mehrere Dutzend
DemonstrantInnen teil, es gab einen Infotisch, ein Auto war mit einem
Transparent bespannt. Anwesend waren 2 Gruppen Polizisten mit je fünf
Beamten. Am U-Bahn Eingang Charlottenplatz waren die Beamten voll
gepanzert, Schlagstock und mehrere nicht klar zu identifizierende
Waffen waren zu sehen. Es gab zwar keine Personenkontrollen, im
Vorfeld wurde jedoch das Banner bemängelt, da es "zu lang
war" bzw. der Aufruf „Gelöbnis verhindern“ als
Aufruf zur Straftat gewertet wurde.
Als eine weitere
Demonstrationsgruppe mit fünf bis sechs Leuten dazustieß, wurde der
Kamerawagen vorgefahren; dazu wurde die Polizeipräsenz um 20 bis 30
BeamtInnen erhöht.
Ca. 10.30h kamen die Demonstranten vom
„Palast der Republik“ dazu. Zu diesem Zeitpunkt sind vier
berittene Polizisten am Hotel Silber aufgezogen. Die Kamera auf dem
Polizeiwagen wurde ebenfalls einsatzbereit gemacht. Es erging die
Anweisung an die Demonstranten, die Straße freizuhalten, diese wurde
dann allerdings durch die Polizeiwagen blockiert.
Kurz nach
11.00h wurde die Versammlung am Hotel Silber aufgelöst, der Großteil
der Versammlung ging Richtung Eberhardskirche. Dort gab es eine
Spontanversammlung.
Um 11.20h verhandelt der Einsatzleiter
mit den Demonstranten, die Versammlung aufzulösen. Die Trommeln der
Demonstranten übertönten den Gesprächsversuch. Beim Weggehen fiel
von einen der Polizisten der Satz „Dann halt mit Gewalt….“
Die
Polizisten zogen sich auf die Treppe vor der Kirche zurück, Die
friedlichen Demonstranten wurden mit vier unterschiedlichen Kameras
abgefilmt, durchgehend auch während der Räumung.
Auf der Höhe H&M wurden Gitter aufgebaut, der Durchgang war nur noch eingeschränkt möglich.
11.45h wurde die Absperrung zum H&M
geschlossen.
11.56h Durchsage der Polizei (Lautsprecherwagen)
war wegen der Trommeln nicht verständlich.
11.58h zweite
Durchsage, ebenfalls nicht verständlich.
12.00h dritte
Durchsage ebenfalls nicht zu verstehen.
12.02h Formierung der
Einsatzkräfte, daraufhin setzten sich die Demonstranten direkt vor
die Treppe der Kirche und skandierten.
12.05h wurde das obere
Ende der Königstraße. (Richtung Königsbau) ebenfalls abgesperrt.
Die Eingänge zur Gloriapassage wurden durch Gitter abgesperrt.
Gleichzeitig bewegten sich die Polizisten auf die Demonstranten zu,
vermummten sich teilweise, zogen Helme auf und zogen die
Einsatzhandschuhe an.
Danach rückte eine geschlossene Front
von Polizisten auf die Demonstranten zu und drängten diese mit
Gewalt (Schubsen, Schläge mit der flachen Hand, abdrängen auf
Hindernisse) Richtung H&M. Die stehenden Demonstranten wurden
komplett geräumt, die sitzenden wurden vorerst nicht behelligt.
Teilweise mussten Polizisten von ihren Kollegen zurückgehalten
werden, um nicht auf die am Boden liegenden Demonstranten zu treten.
Beim Rückwärtslaufen wurden von den Demonstranten zwei Tische
umgeworfen, offenbar mit der Absicht, die Polizei am weiteren
Vorgehen zu hindern. Die restlichen Tische wurden von den Beamten
beiseite geschoben, dabei kam es auch zu Beschädigungen des
Mobiliars und des Geschirrs, welches auf einem Servierwagen
stand.
Lediglich einige Gewerkschaftsfunktionäre und die
Demonstrationsbeobachter und Pressevertreter durften durch die Linie
der Polizei. Der Rest wurde aus dem abgesperrten Teil gedrängt.
Währenddessen wurden auch Platzverweise erteilt, und es wurde
gedroht, Kameras der Demonstranten bzw. der Demonstrationsbeobachter
zu konfiszieren.
Das Filmen der Polizeiaktion durch
Demobeobachter des Bündnisses für Versammlungsfreiheit wurde
behindert bzw. verboten, die Demonstrationsbeobachter wurden dabei
gegen ihren Willen durch Beamte mehrfach geduzt.
12.12h
sollten alle Demonstrationsbeobachter nach Aussage des Polizisten R.
des abgesperrten Bereichs verwiesen werden. Dies geschah jedoch
nicht. Die Polizei versuchte in der folgenden Viertelstunde den
abgesperrten Bereich zu "beruhigen", was letztendlich auch
gelang.
Ca. 12.30h begann die Polizei die sitzenden
Demonstranten vor der Eberhardskirche abzuführen. Bei dieser Aktion
wurden mehreren Aktivisten die Handgelenke verdreht, teilweise
knieten sich die Beamten auf den Brustkorb/Rücken der
sitzenden/liegenden Demonstranten.
Die abgeführten Aktivisten wurden im
Anschluss festgenommen und ihre Personalien wurden festgestellt. Die
Rote Hilfe nimmt die Daten der Verhafteten auf. Bis zum Ende der
Demonstration wurde kein einziger Festgenommener freigelassen. Unter
den Festgenommen waren mindestens drei Gewerkschaftssekretäre. Die
Bundestagsabgeordnete der Partei "Die Linke", Annette Groht
war vor Ort und half mit, die Namen der in Gewahrsam genommenen zu
erfragen.
Um 12.55h war der Platz vor der Eberhardskirche
geräumt, zeitgleich kamen antifaschistische Aktivisten vom Platz der
Republik. Die Polizei versuchte die Rasenfläche des Schlossplatzes
komplett abzusperren.
13.10h Ein älterer Mann wird von der
Polizei während des Rückwärtslaufens geschubst, dass er
stürzt. Zeitgleich werden die einlaufenden Soldaten von der Menge
ausgepfiffen und als Mörder bezeichnet.
Währenddessen
versucht die Polizei eine Gruppe von fünf Demonstranten der FDP die
Menge mit dem Schild „Danke Soldaten“ zu provozieren. Eine Gruppe
von ca. 50 Polizisten schützte diese sofort, obwohl diese
Metallstangen mit sich geführt haben, die problemlos als
Schlaginstrumente benutzt werden können. Nach Hinweis der
Demonstranten, dass dies wohl nicht zulässig sei, sagten die
Polizisten, dass nicht bekannt sei, ob es für die FDP solche
Auflagen gäbe.
13.20h Der Abtransport der gefangenen
Demonstranten beginnt.
13.27h versucht ein
Demonstrationsbeobachter heraus zu finden, wohin die Inhaftierten
gebracht werden, die Auskunft wurde nicht erteilt. Die Kundgebung am
Schlossplatz (vor Wittwer) erfolgte ohne Störungen. Trotzdem wurden
auch hier durch die Polizei Aufnahmen gemacht. Laut Durchsage war
Teil der Auflagen, dass kein Transparent breiter als 3m sein durfte.
Trotz dieser Auflage gab es keine Einwände, dass einige Transparente
länger waren, negativ von Seiten der Polizei war lediglich das
Filmen der Veranstaltung.
14.00h Rückkehr der Soldaten von
der Kirche zum Sammlungspunkt hinterm alten Schloss. Es kam zu
massiven Pfeifkonzerten, einige Beamten versuchten daraufhin die
Vuvuzelas / Pfeifen einiger Demonstranten zu konfiszieren. Diese
verweigerten die Herausgabe, woraufhin keine eingezogen wurde.
Allerdings versuchten die Polizisten die Demonstranten durch
Diskussionen einzuschüchtern.
14.45h wurde die Demonstration
am Schlossplatz aufgelöst, trotzdem verteilte sich der Großteil der
Demonstration rings um die Absperrung, hinter der das Gelöbnis
stattfinden sollte. Trotz des Lärms wurde das Gelöbnis
durchgeführt, die Polizei ging zwar mehrfach zwischen die
Demonstranten, trotzdem konnten am Schlossplatz keine weiteren
Verhaftungen beobachtet werden. Allerdings wurden wiederholt
Filmaufnahmen gemacht. Zeitgleich wurde die anwesende Sambaband im
Schlosspark durch die Polizei festgesetzt, die Instrumente der Band
wurden unter dem Vorwurf der Lärmbelästigung beschlagnahmt und
dabei teilweise beschädigt.
15.40h rückte die Polizei in die Nähe
der Demonstrationsteilnehmer, da angeblich Leute versucht hätten die
Steine zu lockern, um diese als Wurfgeschosse zu missbrauchen. Nach
einer Begehung vor Ort konnte dieser Vorwurf nicht bestätigt
werden.
16.30h Die Demonstration löst sich endgültig auf.
Anschließend kam es offenbar noch zu Verhaftungen. Die Polizei gibt
an, dass 500 Demonstrationsteilnehmer anwesend waren, es kam laut
Ermittlungsausschuss zu 77 Festnahmen, die Veranstalter gehen von
einer deutlich höheren Beteiligung aus.