NPD-Hochburg Riesa: Aufruhr im braunen Hinterland

Das Riesaer Rathaus am Rande der Fußgängerzone. In diesem Dornröschenschloss würde Gerti Töpfer (CDU) gern weiter regieren. Am 22. August wählen die Riesaer einen neuen Oberbürgermeister.
Erstveröffentlicht: 
21.07.2010

Aus Riesa berichtet Anne Onken

 

Hochburg der NPD, diesen Ruf wäre die sächsische Kleinstadt Riesa gerne los. Doch die Parteien im Rathaus sind heillos zerstritten, wie sie mit den Rechtsextremisten umgehen sollen. Offen bekämpfen? Ignorieren? Die Neonazis geben die braven Biedermänner - und setzen sich weiter fest.


Gerti Töpfer (CDU) dürfte sich eigentlich freuen in diesen Tagen. Die Oberbürgermeisterin von Riesa wird in ganz Deutschland als Kämpferin gegen Rechtsextremismus gefeiert, doch sie wirkt gestresst. Töpfer residiert im Rathaus am Rande der Fußgängerzone. "Vielfalt tut gut" steht auf einem Schild im Treppenhaus. Die 56-Jährige sinkt matt in einen der weißen Ledersessel, nimmt sich Zeit für ein Gespräch.

 

Seit bekannt wurde, dass eine Straße auf ihre Initiative hin in Geschwister-Scholl-Straße umbenannt werden soll, klingeln im Riesaer Rathaus ständig die Telefone, erzählt sie. Anrufer beglückwünschen die Bürgermeisterin zu ihrer mutigen Aktion. Denn in dieser Straße sitzt die "Deutsche Stimme", der Verlag der NPD. Die Rechten wären gezwungen, die Widerstandskämpfer des Nazi-Regimes in ihrem Briefkopf zu führen. Ein schöner Coup.

 

Die plötzliche Aufmerksamkeit freut Gerti Töpfer, nur interessiert kaum einen der Anrufer, was die Bürgermeisterin in den vergangenen sieben Jahren sonst für die Stadt erreicht hat. Immer geht es um das NPD-Nest Riesa. "Das nervt", sagt Töpfer. Und sieht auf einmal müde aus.

 

"Deutsche-Stimme-Stadt Riesa" - die neue Heimat

Riesa und die NPD: das ist eine bittere Geschichte. "Deutsche-Stimme-Stadt Riesa" nennen die Nazis ihre neue Heimat in Sachsen. Der NPD-Verlag gibt von hier aus seit zehn Jahren sein gleichnamiges Haus- und Hofblättchen heraus, das vornehmlich gegen Migranten hetzt. Im "Nationalen Kaufhaus", einem Versandhandel des Verlags, kann man Kopien von Wehrmachtsflieger-Uhren bestellen. Und NPD-Kader wie Holger Apfel und Jürgen Gansel haben in Riesa ihre Büros bezogen. Ihre Frauen versuchen, ehrenamtlich Kinder- und Jugendeinrichtungen zu unterwandern.

 

Nun ist Bürgermeisterwahlkampf, und die Nazis spalten die Parteien der Stadt. Am 22. August stellt sich Gerti Töpfer zur Wiederwahl. Sie weiß nicht genau, wie sie mit den Nazis im Wahlkampf umgehen soll. Im Programm der Unionspolitikerin steht keine Zeile zur NPD, zur "Deutschen Stimme". Es ist ein Reflex: Die Angst um den Ruf der Stadt scheint sie zu lähmen.

 

Die rechten Brandstifter entzaubern


Thomas Trappe findet, man solle die Probleme offen beim Namen nennen. Mit der Bürgermeisterin hat er es sich verscherzt. Für seinen Riesa-Weblog sammelt der 29-Jährige Provinzpossen über die NPD. Er will die rechten Brandstifter - die Gansels und Apfels - entzaubern, die sich hier als Biedermänner geben. Für Gerti Töpfer ist Trappe ein Mann ohne Gespür für die Stadt. Viele seiner Blog-Einträge gingen unter die Gürtellinie. "Man merkt, dass er nicht aus Riesa kommt", sagt sie.

 

Dabei hätte Trappe für seinen Weblog in diesem Jahr fast den Grimme-Online-Award bekommen. Trappe beschreibt ungeschminkt, wie hilflos die demokratischen Parteien und die Verwaltung im Umgang mit der NPD agieren. Kürzlich hatte er einen CDU-Politiker vorgeführt, der auf Mails der NPD offenbar nur mit "Arschloch" geantwortet haben soll.

 

Trappe sitzt in der sanierten Fußgängerzone in einem Café und nippt an einer Cola. Die meisten Riesaer hätten kein Problem mit den Rechtsextremen, glaubt er. "Sie halten die NPD für eine normale Partei." Die Hetze gegen Migranten komme gut an in einer Stadt mit elf Prozent Arbeitslosen. Fragt man in den Döner-Imbissen und asiatischen Schnellrestaurants in der Innenstadt nach, so will kaum jemand schlechte Erfahrungen mit Gästen in Thor-Steinar-Kluft gemacht haben. Das seien einfach Mitbürger, heißt es dort knapp.

 

Ein Verbündeter von Trappe ist Thoralf Koß. Auch er ist für eine offene Strategie gegen die Rechten. Koß ist Lehrer und hat gerade Sommerferien. "Sie schreiben über die Heldentaten unserer OB?", brüllt der 46-Jährige ins Telefon. "In einer Viertelstunde komm ich vorbei und hole Sie ab. Blauer BMW." Im Auto schimpft Koß los. Die Straßenumbenennung sei wieder einmal ein Beweis dafür, wie sehr Gerti Töpfer ihr Fähnlein nach dem Wind hänge. Koß sitzt als Parteiloser für die Grünen im Stadtrat, liegt mit der CDU-Frau Töpfer im Dauer-Clinch und will selbst Bürgermeister werden.

 

Ohne NPD-Verbot stehen Lokalpolitiker vor einem Dilemma


Koß kriegt sich kaum ein: "Seit Jahren bekämpfe ich die NPD, und man versucht, mich mundtot zu machen." Töpfer habe ihm den schlechten Ruf der Stadt vorgehalten, als sei er daran schuld. Wo auch immer sie in Deutschland hinkäme, lautet die Klage der Bürgermeisterin, stehe der Name Riesa nur für die Neonazis. Und warum? Weil Koß jedermann bei jeder Gelegenheit darauf hinweise.

 

"Und jetzt geriert sich Töpfer als große Kämpferin gegen Rechts."

 

Thoralf Koß hält vor einem Einfamilienhaus, keine drei Straßen von der "Deutschen Stimme" entfernt. Hier bereitet er seinen Wahlkampf vor. Dabei wäre es fast nicht zu seiner Kandidatur gekommen. Die Grünen sind sauer, weil Koß im Stadtrat mit der NPD gestimmt hat - für einen Antrag, den er vernünftig fand. Es ging um eine Senkung der Pauschale für Ratsmitglieder. Würde die NPD endlich verboten, stünde er nicht vor einem solchen moralischen Dilemma, sagt Koß.

 

Aus Gewerbesteuereinnahmen der "Deutschen Stimme" will er in Riesa Bildungsarbeit gegen die Rechtsextremen finanzieren. Seine Schüler sollen immun werden gegen Nazi-CDs und Hass-Pamphlete, die auf dem Schulhof verteilt werden.

 

In der Riesaer Erdgas-Arena wird deutlich, wie bitter nötig nachhaltige Aufklärung in der Stadt ist. Beim Public Viewing des Halbfinalspiels Deutschland gegen Spanien grölen Glatzköpfe wie selbstverständlich die erste Strophe des Deutschlandlieds - keiner fühlt sich abgeschreckt von Shirts mit Panzern darauf und Nazi-Tattoos. Alles treue Fans der deutschen Nationalelf. Als Jogi Löws Team das Spiel verliert, fliegen Mülltonnen durch die trostlose Mehrzweckhalle.

 

Und die SPD?


Der Sozialdemokrat Andreas Näther müsste verzweifeln angesichts dieser Zustände. Er lief bereits demonstrierend durch das Riesaer Industriegebiet, als die "Deutsche Stimme" dort ihre Büros bezog. Einem Bürgermeisterkandidaten wie Näther würde man sein Engagement gegen die Neonazis sicher abnehmen. Pech nur: Die SPD hat keinen eigenen Kandidaten aufgestellt.

 

Näther ist ein kräftiger Mann mit Schnurrbart, 52 Jahre alt und Stadtrat. Er leitet eine Jugendeinrichtung und hat kürzlich zusammen mit Kollegen anderer freier Träger einen "Riesaer Appell" verfasst: einen Aufruf, der die Unterwanderung von Jugendzentren durch Nazis anprangert.

Die NPD werde immer dreister dabei, Jugendclubs bei der demokratischen Bildungsarbeit zu behindern, sagt Näther. Kollegen von ihm hatten letztens mit Jasmin Apfel höchstpersönlich zu tun. Die Frau des NPD-Fraktionsführers im Sächsischen Landtag ging in einem Kinder- und Jugendclub ein und aus und versuchte, sich ehrenamtlich zu engagieren. Deshalb will Andreas Näther seine Mitarbeiter im Umgang mit vermeintlich wohlmeinenden Eltern schulen, die unter dem Deckmäntelchen der Bürgerlichkeit für die Partei werben.

 

Bei der Frage nach der Arbeit von Thoralf Koß, den er noch aus seiner Zeit in der DDR-Opposition beim Neuen Forum kennt, schüttelt Näther ungnädig den Kopf: Koß habe seinen "Riesaer Appell" aus formalen Gründen abgelehnt. Weil Linksextremismus darin nicht gleichermaßen verurteilt wurde. "Dabei haben wir ganz klar die 'Deutsche Stimme' als Problem benannt."

 

Über die Streitereien verlieren die Beteiligten ihr Ziel aus den Augen. Die NPD hat in der Stadt ihre Propaganda-Zentrale eingerichtet und sich ganz schön festgebissen. Es wäre ein Anfang gemacht, wenn die demokratischen Parteien endlich an einem Strang ziehen würden beim Kampf gegen die Nazis.

 

Gerti Töpfer hofft auf ihre Wiederwahl. Und darauf, dass der braune Spuk irgendwann von selbst vorbei ist. Das tut sie schon seit Jahren.