Kommission gegen Linksextremismus "Der AfD-Antrag zielt auf Rufmord"

Erstveröffentlicht: 
24.08.2017

Die AfD will den Linksextremismus in Sachsen-Anhalt untersuchen lassen. Dabei zeigen die Zahlen, dass es weit mehr rechtsextreme Straftaten gibt. Eine sogenannte Enquete-Kommission soll dafür eingerichtet werden. Auch der Landtag selbst könnte dabei ins Visier rücken. Mögliche Verbindungen von Linksextremismus in die Politik oder gar die öffentliche Förderung dessen sollen untersucht werden. Was steckt dahinter? Was hat die AfD davon? Thomas Kliche, Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal, beantwortet die wichtigsten Fragen.

 

MDR SACHSEN-ANHALT: Welchen Zweck hat die Enquete-Kommission aus Sicht der AfD? Was erhofft sie sich davon?

Thomas Kliche:
Da schlägt die AfD mehrere Fliegen mit einer Klappe. Erstmal stellt sie sich als Partei der Ordnung und Sicherheit dar und macht damit der CDU Konkurrenz. Haltet-den-Dieb-Geschrei lenkt auch unsere Aufmerksamkeit um. Die AfD verschiebt also den politischen Diskurs, ziemlich genau in der Weise, die sie im Antrag selbst beschreibt. Der Innenminister hat ja gerade die aktuellen Zahlen für das Land vorgestellt – da ist der Rechtsextremismus das bei weitem größere Problem, und die AfD hat zu rechtsextremen Ansichten und Personen ein, sagen wir mal, freimütiges Verhältnis. Es geht der AfD also darum, ein Thema öffentlich nach vorn zu bringen und von eigenen extremistischen Verstrickungen abzulenken. Dabei kann sie vielleicht noch andere Parteien gegeneinander aufwiegeln und entschlossene Gegner in Verruf bringen.

 

Extremismus in Sachsen-Anhalt 2016 gab es 1.660 Fälle mit rechtsextremem, 281 mit linksextremem Hintergrund in Sachsen-Anhalt. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht zählt in Sachsen-Anhalt 1.400 Rechts- und 490 Linksextremisten. Quelle: Ministerium für Inneres und Sport


Welchen persönlichen Nutzen könnte die AfD daraus ziehen? Ist das reines Muskelspiel oder erhofft sie sich ernsthafte Ergebnisse?

Kein Muskelspiel, sondern ein geschickter Schachzug, auch wenn neue oder wichtige Sachbefunde nicht zu erwarten sind – und auch gar nicht nötig sind, damit das Spiel aufgeht. Die AfD darf aber ein Pflästerchen auf Poggenburgs Personalfleischwolf kleben. Dessen Gruppierung hat ja ihre Kandidatenlisten mit Mitteln durchgesetzt, die den anderen Parteien gerade von der AfD heftig um die Ohren gehauen würden. So was hinterlässt tiefe Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und Übereinstimmung, und da kann ein Feindbild wie der Linksextremismus innerparteiliche Linderung bringen.
 
Die Kommission soll auch die Ausschreitungen auf dem Hamburger G20-Gipfel mitaufarbeiten. Macht das Sinn?

Das ist taktisch total schlau. Die Hamburger Verwüstungen waren aus Sicht der allermeisten Menschen ein Siegeszug durchgeknallter Hooligans. Aber weil auch Teile der gewaltfreien Demos hineingezogen worden sind, haben Politiker Verständnis für die Globalisierungskritiker geäußert. Damit sind sie angreifbar, sobald eine einfache Wir-gegen-die-Geschichte daraus geworden ist. Die Anknüpfung der Kommission an die Chaos-Touristen spricht also ein bleibendes Unbehagen mit den Gipfel-Unruhen an und macht den Auftrag der Kommission emotional glaubhaft, auch wenn die Daten über politische Gewalt das Gegenteil sagen.

 

Enquete-Kommission Eine Enquete-Kommission ist eine überfraktionelle Arbeitsgruppe, die von Parlamenten mit dem Auftrag eingesetzt wird, um langfristige Fragestellungen zu lösen. Sie soll Material zusammenzutragen und unterschiedlichste Aspekte eines Sachverhaltes abwiegen.

Solch eine Kommission besteht immer aus Abgeordneten aller Fraktionen. Die Anzahl richtet sich nach der Fraktionsstärke. In diesem Fall wären das von der CDU vier, von der AfD drei, von DIE LINKE zwei, der SPD zwei und von den Grünen ein Abgeordneter. Außerdem werden externe Experten und Sachverständige hinzugezogen.

Um in Sachsen-Anhalt eine Enquete-Kommission einzurichten, braucht es die Zustimmung von einem Viertel der Abgeordneten im Landtag. Mit seinen 22 Abgeordneten kann demnach die AfD die Kommission ohne eine einzige Stimme der anderen Parteien anordnen. Sie soll am 1. Januar 2018 ihre Arbeit aufnehmen und soll spätestens zum 1. Dezember 2018 einen Zwischenbericht vorlegen.

 

Inwiefern ist das Wahlkampf der AfD?

Die AfD lebt als Stimmungspartei von kanalisierter Feindseligkeit, nicht von politischen Leistungen. Mobilisierungsfähige Feindbilder waren vor allem "die da oben", dann Migration und "alles mit Islam", daneben noch "linksgrün". An dieses letzte Feindbild knüpft der AfD-Antrag an. Wenn man schon keine Lösungen hat, kann man wenigstens anderen dafür die Schuld geben und die Stimmung möglichst am Köcheln halten.
 
Was bedeutet es, dass auch Vereine wie der Miteinander e.V. oder sogar die Landeszentrale für politische Bildung von dieser Kommission untersucht werden sollen?


Der AfD-Antrag zielt auf Rufmord an Organisationen, die sich für Zivilgesellschaft eingesetzt haben und Ausgrenzung entgegengetreten sind. Das hat die AfD ja auch schon mit den Kirchen versucht. So eine Technik des politischen Anpinkelns ist natürlich verführerisch: Sie kostet nichts, läuft trotzdem durch alle Medien, man braucht dafür weder Sachkenntnis noch Augenmaß, und irgendwas wird schon am Gegner kleben bleiben.

 

In dem AfD-Antrag heißt es auch, dass die Kommission überprüfen soll, ob Linksextremismus eventuelle Überschneidungen "zu derzeit oder ehemals im Landtag vertretenen Parteien" hat. Ist das nicht ein Generalverdacht?

Nein, kein Generalverdacht, aber eine Politik durch Verdächtigung. Es wird der AfD um Linke und Grüne gehen. Sie kehrt also die Vorwürfe um, die sie sich für ihre wohlwollende Offenheit zu rechtsextremen Gruppen und Gedanken eingefangen hat. Und das ist natürlich auch eine Stolperfalle für andere Parteien, besonders die CDU, sich mit der AfD ein Verurteilungs-Wettrennen zu liefern und damit ihre Koalitionsfähigkeit und die Gemeinsamkeit der Demokraten zu belasten.
 
Die AfD wird diese Kommission ohne Zustimmung der anderen Parteien einrichten. Sind diese machtlos?

Die anderen Parteien sind überhaupt nicht machtlos. Sie haben in der Kommission die Mehrheit, können Zeugen nennen und einen Bericht entwerfen. Die AfD kann eine Minderheiten-Einschätzung dazu schreiben, wenn sie mag. Aber man weiß aus Erfahrung: Fleißig und klug sind die nicht, das wird eher wieder hysterisch als überzeugend. Egal, die Botschaften für die AfD-Fans werden ankommen: Die Bösen sind links, wir sind die Sicherheitspartei, alle sind gegen uns.
Übrigens zehrt der AfD-Antrag sehr von einigen Studien über den Einfluss rassistischer Gruppierungen auf den öffentlichen Diskurs, die in letzter Zeit erschienen sind – nur dreht er Rechts und Links um. Die anderen Parteien könnten den Antrag praktisch unverändert und mit mehr Daten und Expertise auf ihrer Seite nun über rechtsextreme Gewalt einbringen und mal die AfD untersuchen. Sie werden das wohl nur deshalb unterlassen, um den Eindruck zu vermeiden, die arme AfD werde mal wieder allseitig verfolgt.
 
Was kann die Machtlosigkeit für uns alle bedeuten? Für unsere Demokratie?

Eine Partei, die von der Mobilisierung böser Stimmungen lebt, werden wir nicht durch Aussitzen los. Man wird sie los durch Rückgrat, Zusammenhalt der Demokraten, kluge Zukunftsentwürfe und unbeirrbares Engagement. Machtlos sind wir und die Demokratie, wenn wir den Kopf in den Sand stecken. Stark und produktiv werden wir, indem wir Verantwortung übernehmen, zupacken, für Menschlichkeit und Vernunft eintreten.