Die AfD will den Linksextremismus in Sachsen-Anhalt untersuchen lassen. Dabei zeigen die Zahlen, dass es weit mehr rechtsextreme Straftaten gibt. Eine sogenannte Enquete-Kommission soll dafür eingerichtet werden. Auch der Landtag selbst könnte dabei ins Visier rücken. Mögliche Verbindungen von Linksextremismus in die Politik oder gar die öffentliche Förderung dessen sollen untersucht werden. Was steckt dahinter? Was hat die AfD davon? Thomas Kliche, Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal, beantwortet die wichtigsten Fragen.
MDR SACHSEN-ANHALT: Welchen Zweck hat die Enquete-Kommission aus Sicht der AfD? Was erhofft sie sich davon?
Thomas Kliche: Da
schlägt die AfD mehrere Fliegen mit einer Klappe. Erstmal stellt sie
sich als Partei der Ordnung und Sicherheit dar und macht damit der CDU
Konkurrenz. Haltet-den-Dieb-Geschrei lenkt auch unsere Aufmerksamkeit
um. Die AfD verschiebt also den politischen Diskurs, ziemlich genau in
der Weise, die sie im Antrag selbst beschreibt. Der Innenminister hat ja
gerade die aktuellen Zahlen für das Land vorgestellt – da ist der
Rechtsextremismus das bei weitem größere Problem, und die AfD hat zu
rechtsextremen Ansichten und Personen ein, sagen wir mal, freimütiges
Verhältnis. Es geht der AfD also darum, ein Thema öffentlich nach vorn
zu bringen und von eigenen extremistischen Verstrickungen abzulenken.
Dabei kann sie vielleicht noch andere Parteien gegeneinander aufwiegeln
und entschlossene Gegner in Verruf bringen.
Extremismus in Sachsen-Anhalt 2016 gab es 1.660 Fälle mit rechtsextremem, 281 mit linksextremem Hintergrund in Sachsen-Anhalt. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht zählt in Sachsen-Anhalt 1.400 Rechts- und 490 Linksextremisten. Quelle: Ministerium für Inneres und Sport
Welchen persönlichen Nutzen könnte die AfD daraus ziehen? Ist
das reines Muskelspiel oder erhofft sie sich ernsthafte Ergebnisse?
Kein
Muskelspiel, sondern ein geschickter Schachzug, auch wenn neue oder
wichtige Sachbefunde nicht zu erwarten sind – und auch gar nicht nötig
sind, damit das Spiel aufgeht. Die AfD darf aber ein Pflästerchen auf
Poggenburgs Personalfleischwolf kleben. Dessen Gruppierung hat ja ihre
Kandidatenlisten mit Mitteln durchgesetzt, die den anderen Parteien
gerade von der AfD heftig um die Ohren gehauen würden. So was
hinterlässt tiefe Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und Übereinstimmung, und
da kann ein Feindbild wie der Linksextremismus innerparteiliche
Linderung bringen.
Die Kommission soll auch die Ausschreitungen auf dem Hamburger G20-Gipfel mitaufarbeiten. Macht das Sinn?
Das
ist taktisch total schlau. Die Hamburger Verwüstungen waren aus Sicht
der allermeisten Menschen ein Siegeszug durchgeknallter Hooligans. Aber
weil auch Teile der gewaltfreien Demos hineingezogen worden sind, haben
Politiker Verständnis für die Globalisierungskritiker geäußert. Damit
sind sie angreifbar, sobald eine einfache Wir-gegen-die-Geschichte
daraus geworden ist. Die Anknüpfung der Kommission an die
Chaos-Touristen spricht also ein bleibendes Unbehagen mit den
Gipfel-Unruhen an und macht den Auftrag der Kommission emotional
glaubhaft, auch wenn die Daten über politische Gewalt das Gegenteil
sagen.
Enquete-Kommission
Eine Enquete-Kommission ist eine überfraktionelle Arbeitsgruppe, die von
Parlamenten mit dem Auftrag eingesetzt wird, um langfristige
Fragestellungen zu lösen. Sie soll Material zusammenzutragen und
unterschiedlichste Aspekte eines Sachverhaltes abwiegen.
Solch
eine Kommission besteht immer aus Abgeordneten aller Fraktionen. Die
Anzahl richtet sich nach der Fraktionsstärke. In diesem Fall wären das
von der CDU vier, von der AfD drei, von DIE LINKE zwei, der SPD zwei und
von den Grünen ein Abgeordneter. Außerdem werden externe Experten und
Sachverständige hinzugezogen.
Um in Sachsen-Anhalt eine
Enquete-Kommission einzurichten, braucht es die Zustimmung von einem
Viertel der Abgeordneten im Landtag. Mit seinen 22 Abgeordneten kann
demnach die AfD die Kommission ohne eine einzige Stimme der anderen
Parteien anordnen. Sie soll am 1. Januar 2018 ihre Arbeit aufnehmen und
soll spätestens zum 1. Dezember 2018 einen Zwischenbericht vorlegen.
Inwiefern ist das Wahlkampf der AfD?
Die AfD
lebt als Stimmungspartei von kanalisierter Feindseligkeit, nicht von
politischen Leistungen. Mobilisierungsfähige Feindbilder waren vor allem
"die da oben", dann Migration und "alles mit Islam", daneben noch
"linksgrün". An dieses letzte Feindbild knüpft der AfD-Antrag an. Wenn
man schon keine Lösungen hat, kann man wenigstens anderen dafür die
Schuld geben und die Stimmung möglichst am Köcheln halten.
Was
bedeutet es, dass auch Vereine wie der Miteinander e.V. oder sogar die
Landeszentrale für politische Bildung von dieser Kommission untersucht
werden sollen?
Der AfD-Antrag zielt auf Rufmord an
Organisationen, die sich für Zivilgesellschaft eingesetzt haben und
Ausgrenzung entgegengetreten sind. Das hat die AfD ja auch schon mit den
Kirchen versucht. So eine Technik des politischen Anpinkelns ist
natürlich verführerisch: Sie kostet nichts, läuft trotzdem durch alle
Medien, man braucht dafür weder Sachkenntnis noch Augenmaß, und
irgendwas wird schon am Gegner kleben bleiben.
In dem AfD-Antrag heißt es auch, dass die Kommission überprüfen
soll, ob Linksextremismus eventuelle Überschneidungen "zu derzeit oder
ehemals im Landtag vertretenen Parteien" hat. Ist das nicht ein
Generalverdacht?
Nein, kein Generalverdacht, aber eine
Politik durch Verdächtigung. Es wird der AfD um Linke und Grüne gehen.
Sie kehrt also die Vorwürfe um, die sie sich für ihre wohlwollende
Offenheit zu rechtsextremen Gruppen und Gedanken eingefangen hat. Und
das ist natürlich auch eine Stolperfalle für andere Parteien, besonders
die CDU, sich mit der AfD ein Verurteilungs-Wettrennen zu liefern und
damit ihre Koalitionsfähigkeit und die Gemeinsamkeit der Demokraten zu
belasten.
Die AfD wird diese Kommission ohne Zustimmung der anderen Parteien einrichten. Sind diese machtlos?
Die anderen Parteien sind überhaupt nicht machtlos. Sie haben in der Kommission
die Mehrheit, können Zeugen nennen und einen Bericht entwerfen. Die AfD
kann eine Minderheiten-Einschätzung dazu schreiben, wenn sie mag. Aber
man weiß aus Erfahrung: Fleißig und klug sind die nicht, das wird eher
wieder hysterisch als überzeugend. Egal, die Botschaften für die
AfD-Fans werden ankommen: Die Bösen sind links, wir sind die
Sicherheitspartei, alle sind gegen uns.
Übrigens zehrt der AfD-Antrag
sehr von einigen Studien über den Einfluss rassistischer Gruppierungen
auf den öffentlichen Diskurs, die in letzter Zeit erschienen sind – nur
dreht er Rechts und Links um. Die anderen Parteien könnten den Antrag
praktisch unverändert und mit mehr Daten und Expertise auf ihrer Seite
nun über rechtsextreme Gewalt einbringen und mal die AfD untersuchen.
Sie werden das wohl nur deshalb unterlassen, um den Eindruck zu
vermeiden, die arme AfD werde mal wieder allseitig verfolgt.
Was kann die Machtlosigkeit für uns alle bedeuten? Für unsere Demokratie?
Eine
Partei, die von der Mobilisierung böser Stimmungen lebt, werden wir
nicht durch Aussitzen los. Man wird sie los durch Rückgrat, Zusammenhalt
der Demokraten, kluge Zukunftsentwürfe und unbeirrbares Engagement.
Machtlos sind wir und die Demokratie, wenn wir den Kopf in den Sand
stecken. Stark und produktiv werden wir, indem wir Verantwortung
übernehmen, zupacken, für Menschlichkeit und Vernunft eintreten.