Feindbild Links

Erstveröffentlicht: 
15.08.2017

Gegen antifaschistischen Protest wird in Sachsen hart vorgegangen

 

Heute fand die Gerichtsverhandlung eines jungen Mannes statt, der gegen Legida an einer Blockade teilgenommen hatte und dafür einen Strafbefehl erhielt. Dagegen legte er Einspruch ein. Nun wurde seine Strafe zwar reduziert, aber freigesprochen wurde er nicht. Ein weiteres Beispiel dafür, wie linker Protest in Sachsen kriminalisiert wird? Denn davon gibt es viele.

 

Es ist mal wieder so weit. In Leipzig und darüber hinaus wird hitzig über die angebliche Gefahr des Linksextremismus diskutiert. Anlass sind diesmal die Anti-G20-Proteste in Hamburg. Teile der Demonstranten zündeten Autos an, plünderten Supermärkte oder übten andere Akte der Sachbeschädigung aus – ein Katalysator für die Debatte um linksextreme Gewalt, die seitdem wieder die gesamte Bundesrepublik beschäftigt.


Die Gewaltdebatte ist nicht neu, auch die Argumente drehen sich immer wieder um die Frage, ob Systemfeindlichkeit sich mit Menschenfeindlichkeit gleichsetzen lässt: Die einen sagen, es sei Terror, der rechtsextremen Angriffen in nichts nachsteht. Die anderen sprechen von Sachbeschädigung, die bei Weitem nicht die Dimension rechter Angriffe auf Personen annimmt.


Erneuten Aufwind bekommt auch die Extremismustheorie, aufgrund derer nun politische Konsequenzen gezogen werden sollen. Auch in Leipzig. So sprach Innenminister Thomas de Mazière (CDU) kurzerhand davon, man könne »so etwas, was es in Connewitz in Leipzig gibt«, nicht hinnehmen. Er begründete dies mit der Existenz einer starken Szene, die für die Anti-G20-Proteste mobilisiert habe.

 

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) unterstützt diese Forderung, gegen einen ganzen Stadtteil vorzugehen, und auch der Leipziger Polizeichef Bernd Merbitz ist sich sicher, es seien »rechtsfreie Räume entstanden«, während Leipzig seit Jahren »einen erheblichen Zuzug von Linksextremisten« erlebe. Zudem könne man »von Glück reden, dass kein Polizist getötet wurde«. Seit Jahrzehnten gab es in Deutschland keinen linkspolitisch motivierten Mord mehr. Bleibt man beim Vergleich mit rechten Taten, kommen Letztere deutlich schlechter weg: Mehrere Polizisten wurden in den letzten Jahren von Nazis ermordet, auch sonst sind, außer in der Kategorie Sachbeschädigung, weitaus weniger links motivierte Taten verzeichnet als rechts motivierte.


Politisch wird das Aufkeimen der Debatte jedoch genutzt, um einen Kurs zu verteidigen, der sächsische Tradition hat. Nicht nur in Sachen »Nationalsozialistischer Untergrund«, »Gruppe Freital« oder bei vielen weiteren Beispielen wird immer wieder kritisiert, in Sachsen sei man »auf dem rechten Auge blind«, so Politikwissenschaftler Hajo Funke. Gleichsam wird der sächsischen Politik vorgeworfen, gegen Linke deutlich stärker vorzugehen. Ob heimliche Überwachung von Wohnungen in Connewitz, Abhörung der Telefone von Journalisten, die sich mit politisch relevanten Themen beschäftigen, oder ein hartes Vorgehen gegen linke Gegendemonstranten bei den zahlreichen Legida-Aufzügen: Die Kriminalisierung linker Aktivitäten scheint hier Konjunktur zu erleben.


Ein Beispiel hierfür ist die massenweise Strafverfolgung linker Demonstranten, die im Mai 2016 mit einer friedlichen Sitzblockade versuchten, einen Legida-Aufmarsch zu blockieren. Sascha Kauer, Pressesprecher der »Dazusetzen«-Kampagne, die sich aus Solidarität mit den Betroffenen gegründet hat, spricht von einer »politischen Entscheidung«, die zu den Bußgeldern führe. Von 163 Menschen wurden die Personalien aufgenommen, fast alle erhielten Strafanzeigen, bei denen Bußgelder in einer Gesamthöhe von mehr als 50.000 Euro verlangt werden. Zum Vergleich: Als 141 Legida-Anhänger sich im Februar 2016 trotz Verbot versammelten und dabei gewaltvoll gegen die Polizei vorgingen, wurden zwar ebenfalls alle Personalien aufgenommen, letztlich jedoch auf Druck der Landesregierung hin alle Verfahren fallen gelassen, sagt Kauer.


Auch Rechtsanwältin Rita Belter hält die strafrechtliche Verfolgung in Sachen Versammlungssprengung beziehungsweise grober Störung in Sachsen für strenger als anderswo. »Friedlicher Protest und Sitzblockaden werden unnötig kriminalisiert, obwohl die Voraussetzung hierfür gar nicht vorliegt«, sagt Belter. Im Unterschied zu anderen Bundesländern sei außerdem die Tendenz größer, Verfahren wegen angeblicher Bildung krimineller Vereinigungen zu führen.


Auch Linken-Stadträtin und Landtagsabgeordnete Juliane Nagel bekommt diese Härte deutlich zu spüren. Sechs Verfahren laufen derzeit gegen sie, die zur Aufhebung ihrer Abgeordneten-Immunität führen könnten. Sämtliche Anzeigen, zum Großteil von Polizeibeamten gestellt, beziehen sich auf außerparlamentarische Tätigkeiten wie die Anmeldung von Demos. Das prominenteste Verfahren ist seit einer Pressekonferenz 2015 anhängig: Gemeinsam mit anderen appellierte die Abgeordnete für friedlichen Protest gegen Legida – was die Staatsanwaltschaft als Aufruf zu Straftaten deutete. Während die Verfahren gegen die anderen Angeklagten fallen gelassen wurden, läuft das gegen Nagel weiter. »Das Strafverfolgungsinteresse wuchs mit meinem Eintritt in den Landtag«, sagt Nagel. Doch auch wenn die Vorkommnisse sich bei ihr besonders häufen, sei sie kein Einzelfall. »Repression gegen linke Aktivisten und Aktivistinnen ist in Sachsen Alltag.« Dagegen hat sich in Leipzig eine Kampagne gegründet, die unter dem Motto »Gemeint sind wir alle« auf die Kriminalisierung linker, emanzipatorischer und antifaschistischer Politik aufmerksam machen will.


Die Debatte um Connewitz läuft weiter hitzig. Während Oberbürgermeister Jung (SPD) erklärte, er sehe keine rechtsfreien Räume in der Stadt, und sagt, der Innenminister habe sich »im Ton vergriffen«, identifiziert er dennoch »ein Problem mit linken Gewalttätern«. CDU-Mitglied Michael Weickert wirft der Leipziger Linken, Grünen und der SPD vor, eine »Koalition der Verharmlosung zu bilden«. Erstaunlich bei all dem Aufruhr um Connewitz: Noch immer gibt es nicht einmal offizielle Zahlen, wie viele Leipziger Personen sich tatsächlich an den Protesten in Hamburg beteiligt haben.

 

 

Dieser Text erschien in der August-Ausgabe der kreuzer.

 

SARAH ULRICH