Hat Oury Jalloh sich wirklich selbst verbrannt? Was geschah in der Dessauer Polizeizelle, wo der Asylbewerber vor zwölf Jahren starb? In dem mysteriösen Fall wurden jetzt die Ermittler ausgetauscht.
Vor zwölf Jahren starb Oury Jalloh - und noch immer gibt der Fall des Asylbewerbers Rätsel auf: Im Januar 2005 war Jalloh in einer Gewahrsamszelle der Polizei in Dessau ums Leben gekommen, nach Darstellung der Polizei hatte er sich selbst angezündet. Daran bestehen jedoch Zweifel.
Seit 2014 war die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau mit den Ermittlungen zur Todesursache betraut. Jetzt wurde bekannt, dass der Fall den Dessauer Ermittlern bereits vor drei Monaten entzogen wurde. Die Staatsanwaltschaft Halle soll nun klären, wie das Feuer in der Zelle entstanden war.
"Das ist keine Kritik an der Arbeit der Dessauer Staatsanwaltschaft," sagte Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad dem SPIEGEL. Das Dezernat in Dessau sei überlastet. Außerdem habe man es als sinnvoll erachtet, Ermittler von außen mit dem Fall zu betrauen. "Wir haben beschlossen, dass es einen frischen Blick in dem Verfahren braucht."
Jalloh war am 7. Januar 2005 in Polizeigewahrsam genommen worden. Beamte hatten den angeblich stark angetrunkenen Mann an Händen und Füßen fixiert. Dann soll Jalloh nach Darstellung der Polizei seine Matratze mit einem Feuerzeug entzündet haben. Er starb in der Zelle, sein Leichnam war völlig verkohlt. Ein Dienstgruppenleiter der Polizei wurde 2012 rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Damit war der Fall jedoch nicht abgeschlossen.
Sechs Gutachten, kein eindeutiges Ergebnis
Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau wurde 2014 mit der Klärung der Todesursache betraut. Anlass dafür war auch ein Brandgutachten, dass die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" im Jahr davor vorgelegt hatte. Demnach ist eine Beteiligung Dritter wahrscheinlicher als eine Selbsttötung.
Im August vergangenen Jahres beauftragten die Dessauer Ermittler einen Sachverständigen, den Feuertod des Asylbewerbers in einer Polizeizelle nachzustellen. Innerhalb weniger Wochen werde die Auswertung des Brandversuchs vorgelegt, hieß es damals. Dazu kam es bis heute jedoch nicht.
Es gebe nach dem Brandversuch noch kein eindeutiges Ergebnis, sagte Generalstaatsanwalt Konrad nun. Im März seien sechs Gutachten von verschiedenen Experten - darunter Chemiker und Toxikologen - eingereicht worden. Die Urteile der Spezialisten lassen jedoch teilweise an der Selbsttötungsthese zweifeln. "Die Gutachten sind in sich jeweils schlüssig, doch sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen," sagte Konrad. Demnach bestehe nicht nur Uneinigkeit darüber, ob Jalloh sich selbst angezündet haben könnte. Auch den Todeszeitpunkt legten die Experten unterschiedlich fest.
"Den Gutachten zufolge sind drei Szenarien denkbar: Jalloh hat sich selbst angezündet, Jalloh wurde lebendig von einem Dritten in Brand gesteckt oder seine Leiche wurde angezündet. Anhand der Bewertungen können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Möglichkeit eindeutig ausschließen," so Konrad.
Die Ermittler in Halle sollen nun zu einem endgültigen Ergebnis kommen. Einen zeitlichen Rahmen für die Ermittlungen nannte Konrad jedoch nicht. "Uns ist sehr daran gelegen, den Fall aufzuklären," sagte er. Vorwürfe, wonach die Justiz versuche, etwas zu vertuschen, wies er vehement zurück.
"Ich habe kein Vertrauen mehr in den Rechtsstaat"
Diese Vorwürfe erhebt unter anderem Thomas Ndindah von der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh". Er sieht den Wechsel der Ermittler kritisch. Die Initiative hatte bereits nach dem Brandgutachten von 2013 Anzeige wegen Mordes erstattet. Nun fürchtet Aktivist Ndindah nach eigenen Angaben, dass das Verfahren verschleppt werden könne. "Der Ermittlerwechsel soll nur die Dessauer Staatsanwaltschaft aus der Schusslinie bringen."
Ndindah setzt sich seit Jahren für die vollständige Aufklärung des Falles Oury Jalloh ein. Er ist davon überzeugt, dass der Asylbewerber in seiner Zelle ermordet wurde. Dennoch, so behauptet er, würden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Halle ohne Ergebnis enden. "Ich habe kein Vertrauen mehr in den Rechtsstaat. Am Ende wird man uns erklären, dass die Todesursache nicht mehr festgestellt werden kann."
Während der Ermittlungen war es immer wieder zu Ungereimtheiten gekommen. So gibt es keine Videoaufzeichnungen von der Bergung der Leiche. Das Feuerzeug, mit dem Jalloh die Matratze angezündet haben soll, wurde erst später gefunden und nachträglich in die Asservatenkammer gelegt. Die Ermittler in Halle könnten nun eine entscheidende Wende im dem Fall bringen - oder ihn ergebnislos abschließen.