In der Haft verbrannt - Der Fall von Oury Jalloh ist wieder offen

Erstveröffentlicht: 
16.08.2017

Im Fall des in einer Zelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh steht möglicherweise eine spektakuläre Wendung bevor.

  • Bislang war die Justiz davon ausgegangen, dass der Mann aus Sierra Leone das Feuer selbst gelegt hatte.
  • Gutachterliche Bewertungen zu einem Brandversuch haben jetzt aber zu erheblichem Zweifel geführt.

Warum das wichtig ist: Der Asylbewerber Oury Jalloh war 2005 bei einem Feuer in einer Dessauer Polizeistelle ums Leben gekommen.

 

Der Fall in Sachsen-Anhalt bewegt bis heute und diente auch als Vorlage für einen verstörenden ARD-„Tatort“: Vor mehr als zwölf Jahren kam der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers zu Tode - mutmaßlich bei einem Feuer. Denn nach wie vor sind die Umstände des Todes im staatlichen Gewahrsam nicht vollständig aufgeklärt, trotz mehrerer Gutachten und Prozesse. Insbesondere der Verdacht, dass das Feuer von einem Dritten gelegt wurde, konnte nie ganz ausgeräumt werden.

 

Ein Todesermittlungsverfahren läuft – und nach Informationen der WELT steht möglicherweise eine spektakuläre Wende bevor. Denn ein im Auftrag der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau durchgeführter Brandversuch, bei dem vor einem Jahr im sächsischen Dippoldiswalde in Anwesenheit von Journalisten der Hergang des Feuers nachgestellt wurde, führte zu einem neuen Ergebnis.

 

Nach Angaben aus Justizkreisen liegen insgesamt sechs Bewertungen zu dem Brandversuch vor. Aus ihnen ergeben sich erhebliche Zweifel, ob Jalloh tatsächlich an den Folgen des Feuers in der Zelle gestorben sein kann. Würde sich dies bestätigen, müsste ein Dritter die Matratze, auf der der 36-Jährige an Händen und Füßen fixiert worden war, in Brand gesetzt haben. Bislang war die Justiz stets davon ausgegangen, dass Jalloh die Matratze mit einem Feuerzeug selbst angezündet hatte.

 

Diese These war schon immer von Aktivisten der „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh“ angezweifelt worden. Sie sprechen von Mord. Als Indizien führen sie unter anderem an, dass das Feuerzeug, mit dem der Brand gelegt worden sein soll, bei der Durchsuchung der Zelle nach dem Todesfall nicht gefunden wurde und erst nachträglich zu den Asservaten gelangte. Bereits vor vier Jahren war zudem ein von der Initiative in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass Jalloh den Brand überhaupt nicht selbst gelegt haben konnte.

 

Nicht zuletzt dieses Gutachten trug mit dazu bei, dass die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau trotz eines rechtskräftigen Urteils in der Sache das Todesermittlungsverfahren einleitete, das inzwischen von der Staatsanwaltschaft Halle geführt wird. In diesem Verfahren sollen die Todesumstände vollständig aufgeklärt werden, teilt die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg mit. Sollte es Anhaltspunkte für einen Mord geben, müssten mögliche Täter strafrechtlich verfolgt werden. 

 

Sollte eine Misshandlung vertuscht werden?


Bislang wurde nur der zum Zeitpunkt des Todes von Jalloh eingesetzte Dienstgruppenleiter vom Landgericht Magdeburg wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt. Ihm wurde zur Last gelegt, die Vorschriften zur regelmäßigen Kontrolle der Zelle missachtet zu haben. Zuvor waren der Beamte und ein Kollege noch in erster Instanz vom Landgericht Dessau-Roßlau freigesprochen worden. Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof auf, sodass der Fall an die Justiz in Sachsen-Anhalt zurückverwiesen wurde.

 

In dem darauf folgenden Prozess vor dem Landgericht Magdeburg wurde bereits der Verdacht erörtert, ob Jalloh das Opfer eines Mordes geworden sein könnte. Im Urteil wird zudem diskutiert, ob mit dem Brand in der Zelle eine Straftat verdeckt werden sollte - etwa um eine zuvor erfolgte Misshandlung des Asylbewerbers durch Polizisten zu vertuschen. „Das letztgenannte Motiv hat die Kammer nicht generell ausgeschlossen, da ein Indiz hierfür ein Bruch des Nasenbeins des Oury Jalloh hätte sein können“, führt die Kammer aus.

 

Doch handfeste Beweise für eine solche Tat lagen den Richtern nicht vor. Gleichwohl listeten sie Auffälligkeiten wie die fehlende Videoaufzeichnung bei der Bergung der Leiche, eine mögliche nicht dokumentierte Begehung von Polizisten der Zelle von Jalloh vor dessen Tod sowie rassistische Äußerungen zumindest eines Beamten auf.

 

Der Brandversuch vom vergangenen Jahr wurde unter anderem von Rechtsmedizinern und Chemikern ausgewertet. Die Wissenschaftler haben die bisherige Annahme, Jalloh sei an einem sogenannten Hitzeinhalationsschock gestorben, endgültig ins Wanken gebracht. Die jetzt ermittelnde Staatsanwaltschaft Halle steht nun vor der Aufgabe, die genauen Todesumstände aufzuklären und gegebenenfalls mögliche Täter zu ermitteln.

 

Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod von Oury Jalloh ist der Fall wieder offen. Das wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die bisherige Ermittlungstätigkeit in diesem Fall, sondern wird auch Politiker in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt Magdeburg und darüber hinaus beschäftigen. Sollte sich herausstellen, dass Polizisten in den Fall verwickelt sein könnten oder versucht haben sollten, mit der Inszenierung eines vermeintlichen Suizids von eigenem Verschulden abzulenken, wäre das ein beispielloser Skandal.

 

Der Tod des Asylbewerbers aus Sierra Leone ist dabei nicht der einzige mysteriöse Fall im Polizeirevier Dessau. Bereits 1997 hatten Passanten einen Mann in der Nähe des Reviers tot entdeckt, der zuvor wegen Trunkenheit am Steuer in eine Zelle verbracht worden war. Fünf Jahre darauf starb ein Obdachloser in genau jener Zelle an einem Schädelbasisbruch, in der später Oury Jalloh verbrannte.