Björn Höcke ist noch gar nicht in der Kneipe, die keine mehr ist, da pressen sich schon gut 500 Weimarer an die Gitter davor, unter den Augen von Polizisten. Die Kneipe, das war mal das "Hinterzimmer". Drei junge Weimarer schenkten hier schicke Limos und kühlen Weißwein aus, bis der Vermieter ihnen eine neue Bedingung stellte: Ein bis zweimal die Woche sollten sie im Hinterzimmer einen Stammtisch der AfD ausrichten. Die Betreiber wollten das nicht, sie kündigten. Jetzt also Höcke.
Und weil die Kneipe keine Kneipe mehr ist und der Vermieter kein Wirt, hat Hartmut Issmer einfach ein paar Kästen Bier und Vita Cola hingestellt. Dazu eine Garnitur Holzbänke, ein Pult. An den Wänden hängen Gemälde: idyllische Landschaften, ein Schiff auf stürmischer See, ein Bismarck-Porträt. Fertig ist der AfD-Stammtisch. Issmer, der hessische Ingenieur, kam zu Wendezeiten nach Thüringen und hat hier viele Häuser gebaut. Vier Mietshäuser gehören ihm allein in Weimar. Auch die Trierer Straße 33, in deren Erdgeschoss er jetzt steht, in heller Lederjacke mit roten Kordeln und einem Sonnenhut. Und auf seinen Stargast Höcke wartet.
Der Vermieter kann verstehen, dass die Betreiber des Hinterzimmers die AfD nicht bewirten wollten. "Es kann ja nicht jeder für die AfD sein", sagt er. Aber der Stammtisch musste trotzdem hierher: "Das war politische Überzeugung."
Eine Überzeugung, die hier nicht jeder teilt. Issmer erzählt von Anschlägen in den vergangenen Nächten. Vermummte Gestalten hätten sein Lokal beschmiert, mit "Fick dich Höcke". Sie hätten das Schloss mit Sekundenkleber verstopft und Buttersäure verkippt. Drei Sicherheitsleute habe er daraufhin engagiert, die die Vermummten letzte Nacht "mutig in die Flucht geschlagen", und ihnen "sogar noch eins auf die Nase gegeben" hätten. "Das hier ist mein Beitrag für Deutschland", sagt Issmer.
Dann werden die Besucher seines ersten Stammtisches in einer Querstraße abgeholt – mit Begleitschutz. Sie müssen an den Gittern und den Gegendemonstranten vorbei, Eier fliegen in ihre Richtung, sie zerschellen an der großen Glasfront des ehemaligen Hinterzimmers. Die Demo hat das Weimarer Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus angemeldet. Und spricht man mit den Weimarern, die heute gekommen sind, um zu demonstrieren, dann erfährt man: Es passt ihnen insbesondere nicht der Ort, an dem heute Abend ein AfD-Stammtisch etabliert werden soll.
Man will unter sich bleiben
Tatsächlich sind die meisten Gäste der AfD heute zum ersten Mal in der Trierer Straße, auf der es sonst noch den Falken gibt: eine linke Kneipe, in der ein großes Pils zwei Euro kostet. Oder der Laden e.V., einer dieser kreativen Weimarer Freiräume, wo manchmal Bands spielen und gerade noch Plakate gebastelt wurden, für die Gegendemo. Die bunten Plakate hängen nun aus den Fenstern über und neben der ehemaligen Kneipe: "Kein Hinterzimmer für Hinterwäldler". Laut läuft Punkmusik, Demonstrierende halten Reden. Etwa Leo Röcker, der letzte Nacht eigentlich Liebesgedichte schreiben wollte. Der dann aber doch eine Rede für diesen Abend formulierte, in der er nun Goethe zitiert ("Der Patriotismus verdirbt die Geschichte") und Weimarer Hochkultur gegen die AfD aufwiegt ("Nietzsche und Höcke? Bei der Gegenüberstellung wird klar, was für ein Niemand uns hier in Weimar einen großen Schrecken einjagt!").
Angst vor Reportern? Dieser Bierdeckel lag gestern auf @BjoernHoecke's Rednerpult. Bald auf @zeitonline: Mein Abend bei der @AfD_Thueringen. pic.twitter.com/YRnxWn9egu
— Josa Mania-Schlegel (@JosaMania) 5. August 2017
Und dann kommt Höcke. Im ehemaligen Hinterzimmer steht die Luft. Von letzter Nacht wabert noch der faulige Geruch von Buttersäure herum. Trotzdem bleiben die Fenster geschlossen, sogar die weinroten Vorhänge sind zugezogen. Man will unter sich bleiben. Also fächert sich der Thüringer AfD-Landtagsfraktionschef mit der flachen Hand Luft ins Gesicht. Die Demonstrierenden sind nicht mehr zu sehen, nur ihre lauten Parolen dringen noch herein: "Nazipartei!" und "Wir sind Thüringen!". Die Tür wird zugedrückt, so gut es geht. Gleich will Höcke zu den 40 Gästen "Klartext zu Deutschland" reden, so heißt dieser erste Stammtisch, da schiebt jemand einen Bierdeckel aufs Rednerpult: "Vorsicht! Presse da! TA + ZEIT", hat jemand mit Kugelschreiber drauf geschrieben.
100.000 Euro Schaden
Ein Hinweis an Höcke, er solle sich heute mäßigen? Seine Rede im Brauhaus Watzke in Dresden ist gerade sechs Monate her. Dort sprach er – offenkundig im Hinblick auf das Berliner Holocaust-Mahnmal – von einem "Denkmal der Schande" und forderte eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Der AfD-Vorstand beschloss damals ein Ausschlussverfahren gegen Höcke, die Dresdner Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen gegen ihn auf – und wegen der AfD-Spender, die wegen seiner Rede absprangen, klagte der sächsische Landesverband über einen Schaden von mehr als 100.000 Euro.
Tatsächlich bleibt Höcke heute in Weimar leise. Er ehrt den Vermieter Issmer, der trotz der Anschläge den AfD-Stammtisch möglich machte: "Wir haben Sie gewarnt", sagt Höcke, "aber Sie haben gesagt: Sie wollen der Märtyrer werden, wie der Herr Höcke. Sie haben Mut bewiesen!" Und dann spricht noch Stephan Brandner, der Weimarer Direktkandidat, ein 50-jähriger Westfale mit schwarzen Gel-Locken. Die beiden ergänzen sich gut, denn manchmal neigt Höcke zu komplizierten Formulierungen wie den "pervertierten Gesinnungslinken" und dann ist Brandner da und fängt ihn auf: "Die sind wie der Draht einer Glühbirne kurz vorm durchbrennen!"
"Da werden Sie als Nazi beschimpft!"
Höcke beschwert sich über Manuela Schwesig, deren Namen er spaßeshalber Scheswig ausspricht, weil er sie nicht mag. Unter anderem, weil ihr nachgesagt wird, dass sie Linksextremismus als "aufgebauschtes Problem" bezeichnet haben soll. In Hamburg, – beim G20-Gipfel – habe man ja gesehen, wie aufgebauscht dieses Problem sei, sagt Höcke. Brandner vergleicht die Demonstrierenden draußen mit der SA, der Sturmabteilung der NSDAP aus der Weimarer Republik. Die da draußen, so Brandner, seien schließlich auch nichts anderes als die SA, nämlich: "Stinkende, picklige Muttisöhnchen" und: "der Bodensatz der Gesellschaft".
Und am Ende gibt es noch eine kleine Diskussion zwischen Brandner und einem Besucher, der ihm vorhält: "Mensch, wir müssen immer wieder den Diskurs suchen, auch mit denen da draußen." Und Brandner sagt: "Quatsch, da werden Sie als Nazi beschimpft!" Höcke hält sich zurück. Aber sonst ist man sich einig, auf diesem ersten Stammtisch der AfD im Weimarer Ex-Hinterzimmer: Die da draußen sind "die Hölle", wie es ein Besucher formuliert, und die hier drinnen sind die Guten. Der Hass der Anderen schweißt die AfD'ler zusammen wie sonst nichts. Daran ändert auch der faule Buttersäuregestank nichts, die fliegenden Eier oder die karge Rede von Stargast Björn Höcke.
Höcke nimmt sich noch Zeit für zwei Gäste, dann muss er los. Wie es sich für einen Stargast gehört: vor allen anderen und mit Polizeischutz. Musste er heute auch an Dresden denken? An sein "Denkmal der Schande", von vor mehr als einem halben Jahr? Ist er seitdem leiser geworden? Keine Zeit. Beim Rausgehen ruft Höcke noch: "Dresden, das ist doch schon lange Vergangenheit." Der nächste Stammtisch ist noch nicht geplant.
Korrektur: Ursprünglich hatten wir geschrieben, die erwähnte Reden Höckes in Dresden habe vor einem Jahr stattgefunden. Wir haben diesen Fehler korrigiert.