Die Ehe für alle ist erreicht. Warum also demonstrieren Schwule und Lesben dennoch zum Christopher Street Day? Auf dem CSD in Leipzig wird klar: Die LGBTQI-Community ist im Alltag oft – wenn auch unbewusst – Diskriminierung ausgesetzt.
Leipzig. Regenbogenbunt ist die Fahne, die viele junge Leute auf dem Leipziger Marktplatz um den Rücken tragen. Andere lassen die farbenfrohe Flagge fröhlich umherwehen. Weltweit gilt sie als Zeichen der Toleranz, der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht nach Akzeptanz.
Weniger bunt aber ebenso eindringlich wirken die 16 großen Verkehrsschilder, die unübersehbar am Rand von Leipzigs guter Stube stehen: „Stop Hate“ ist darauf zu lesen. „Stoppt den Hass“, war auch das Motto vieler CSD-Veranstaltungen, die sich für die Emanzipation und die Rechte von Menschen jenseits von Heteronormativität einsetzten. Aufklären und beraten wollen die zahlreichen Vereine und Initiativen, die sich Sonnabendnachmittag auf dem Marktplatz vorstellen. Dass noch großer Handlungsbedarf besteht, weiß Stefanie Krüger. Die Erziehungswissenschaftlerin vom Leipziger Verein Rosa Linde präsentiert mit anderen jungen Leuten das Bildungsprojekt „Liebe bekennt Farbe“. „Wir gehen in die Schulklassen, informieren über Geschlechterrollen, sexuelle Identitäten und Transgender-Lebensweisen. Um Vertrauen zu erreichen, stellen wir Regeln auf: keine Schimpfwörter, die andere abwerten. Denn sonst entsteht kein Raum, wo man sich traut, etwas zu sagen. Respekt beginnt im Kopf“, sagt Krüger.
Ein paar Meter weiter lädt eine Art Parcours zum Rundgang ein. Sprüche wie diese sind auf Kartons zu lesen: „Mein Geschlecht wird nicht als Phase abgetan“, „Ich kann ein Kind anlächeln, ohne dass die Eltern anfangen, mich dem Kind zu erklären“ oder auch „Wenn ich nachts auf eine Männergruppe treffe, bin ich nicht verunsichert“. Aber auch: „Ich kann mir sicher sein, dass die allgemein verbreitete Sprache mein Geschlecht mit einbezieht“. Jeder könne hier selbst urteilen, was auf ihn zutrifft und sich damit auseinandersetzen, sagt Sebastian vom CSD-Veranstaltungsteam. Lautstark und mit bunten Kostümen machen andere CSD-Teilnehmer auf sich aufmerksam.
„Warum müssen die so laut und schrill sein?“, fragen ein paar Passanten herausfordernd. „Alles, was uns sichtbarer macht, ist wichtig“, wissen Holly, Carmen und Natasha – drei junge Männer, die sich grell geschminkt als Drag-Queens verkleidet haben. Auffällige Blumenkränze schmücken die Haare von Hannah, Josefine und Alexandra: Auch die drei werden im Alltag häufig mit Vorurteilen konfrontiert. „Gebe es sie nicht, wären wir ja nicht hier.“ Zwei der Studentinnen leben bisexuell. Das dritte Mädchen meint, es sei asexuell: „Mir gefällt die romantische Liebe“.
Schließlich schallen Rock- und Popklänge über den Markt, werden immer lauter, die Umzugswagen sammeln sich, die Parade durch das Stadtzentrum startet: Luftballons steigen auf, unter die bunten Kostüme mischen sich politische Botschaften. Tausende Menschen schließen sich der Demo an, die zum Hauptbahnhof, dem Augustusplatz, dem Neuen Rathaus und zurück zum Markt führt. Sie setzen deutlich sichtbar Zeichen gegen ein Gegeneinander und für ein solidarisches Füreinander in unserer Gesellschaft.
Ingrid Hildebrandt