"Das ist in Berlin längst Geschichte"

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Erstveröffentlicht: 
10.07.2017

Der Grünen-Politiker Ströbele gehörte selbst zu den G20-Demonstranten. Ein Gespräch über Protest, linke Gewalt und die Frage, was Hamburg von Berlin lernen kann.

 

Interview: Katharina Schuler


ZEIT ONLINE: Herr Ströbele, wie war es, als Demonstrant beim G20-Gipfel in Hamburg?

 

Hans-Christian Ströbele: Ich war am Samstag zu der großen Demonstration da. Da war die Atmosphäre überhaupt nicht aggressiv, sondern sehr gelöst und politisch. Es war sehr eindrucksvoll, dass so viele Menschen gekommen sind. Nur in der Schanzen-Straße und Umgebung waren noch die Spuren der großen Feuer zu erkennen, die hier in der Nacht zuvor gebrannt hatten. Dennoch: Von einem zerstörten Stadtviertel, wie es jetzt manchmal heißt, konnte auch im Schanzenviertel keine Rede sein. Am Samstagnachmittag war die Stimmung auch hier gelöst und friedlich. Aber natürlich haben auch mich die Bilder der Krawalle, die ich im Fernsehen gesehen habe, entsetzt.

 

ZEIT ONLINE: Wer hat ihrer Meinung nach in Hamburg versagt: Der rot-grüne Senat? Die Polizei? Die Bundesregierung?

 

Ströbele: Ich habe während der Demonstration Berliner Polizisten gefragt, ob die Hamburger Polizei die Berliner Deeskalationsstrategie nicht gekannt hat oder nicht anwenden wollte. Als die Demonstrationen am Donnerstag begannen, haben die ja etwas gemacht, was in Berlin so nicht mehr möglich wäre: In einen großen Demonstrationszug mit solcher Brachialgewalt reingehen, mit Wasserwerfern und Stöcken, nur weil da ein paar Reihen Vermummte dabei sind. Das ist in Berlin längst Geschichte. Doch die Berliner Polizisten haben mir gesagt, ihre Expertise sei nicht gefragt gewesen.

 

ZEIT ONLINE: Die Eskalation hätte vermieden werden können, wenn die Polizei am Anfang weniger hart eingegriffen hätte?

 

Ströbele: Das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstration war unverhältnismäßig. Von Anfang an jede Regelwidrigkeit oder kleine Straftat zu verfolgen, das schafft nur Aggressionen und trägt dazu bei, dass das Ganze außer Kontrolle gerät. Ich will nicht sagen, dass das, was in der Nacht zum Samstag geschah, mit einer anderen Polizeistrategie völlig hätte vermieden werden können. Die Straftaten scheinen ja auch vorbereitet gewesen zu sein. Sie müssen aber sehen, dass die unverhältnismäßig große Aggressivität der Polizei zu einer Solidarisierung der normalen Demonstranten mit den Gewalttätern führt, die dann wiederum dazu beiträgt, dass die Polizei nicht gegen die Krawallmacher vorgehen kann.

 

ZEIT ONLINE: Gab es noch andere Fehler? 


Ströbele: Es muss nun auch parlamentarisch untersucht werden, wieso die Polizei in der Nacht zum Samstag – als die Straftaten wirklich losgingen – zwar am Rande des Schanzenviertels präsent war, aber angeblich aus Rücksicht auf die Unversehrtheit der Beamten über Stunden nicht eingriff, sondern eben erst lange nachdem die Situation bereits eskaliert war. Das ist mir unklar und auch viele andere Bewohner und Demonstranten mit denen ich gesprochen habe, verstehen das nicht.

 

ZEIT ONLINE: Sehen Sie hinter der Gewalt politischen Protest? Ist das nicht vielmehr nur Rowdytum?

 

Ströbele: Wenn Autos angezündet oder Geschäfte geplündert werden, dann sind das schlicht und einfach Straftaten, die entsprechend verfolgt werden. Als Mittel des Protestes ist das nicht akzeptabel.


ZEIT ONLINE: Welche Motive vermuten Sie bei den linken Gewalttätern? 


Ströbele: Da sind Leute dabei, die sagen, wir wollen uns keine Polizeigewalt gefallen lassen. Und es gibt Leute, die nicht mehr daran glauben, dass man gegen das G20-System mit Transparenten ankommt. Trotzdem schaden sie der notwendigen Kritik an der Politik der G20 mit ihrem Vorgehen, weil die Berichte über die Gewalttaten den friedlichen Protest von Zehntausenden dominieren.

Wer die Gewalttäter wirklich waren, wie viele es waren und wie viele sich angeschlossen haben, das ist immer schwer rauszukriegen. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass Hunderte festgenommen werden, aber am Ende werden nur ein paar verurteilt. Das liegt nicht nur daran, dass man ihnen nichts vorwerfen kann. Oft werden die Falschen festgenommen, die wirklichen Täter wissen, wie sie sich verbergen können.

 

ZEIT ONLINE: Hat sich die linke Szene in den vergangenen Jahren radikalisiert? 


Ströbele: Zu solchen Ereignissen wird international mobilisiert, deswegen lassen sich kaum Rückschlüsse auf die Verhältnisse in Deutschland ziehen. Aber insgesamt sind gewalttätige Proteste sehr viel seltener geworden, als das etwa in den 1980er Jahren der Fall war. Zum Beispiel verläuft der 1. Mai in Berlin im Vergleich zu früher viel friedlicher. Wenn es zu Ausschreitungen kommt, dann eher im Anschluss an die Demonstrationen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass den ganzen Tag über viel Alkohol getrunken wird. Da geht es eher nicht um Politik. 

 

ZEIT ONLINE: Wurde der Linksextremismus in den vergangenen Jahren zu sehr vernachlässigt?

 

Ströbele: Die Frage ist: Was ist Linksextremismus? Häufig trifft dieses Etikett Antifagruppen, die eine sehr informierte Politik machen gegen Rechte und rechte Gewalt. Ich mache oft die Erfahrung, dass diese Gruppierungen besser über rechte Gewalttäter informiert sind als die staatlichen Institutionen. Wenn diesen nun die Gelder gestrichen würden, weil sie angeblich linksextrem sind, fände ich das falsch.

 

ZEIT ONLINE: Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz will jetzt darüber nachdenken, ob das linksautonome Zentrum Rote Flora geschlossen werden soll. Haben solche Zentren noch eine Berechtigung?

 

Ströbele: Natürlich brauchen wir weiterhin Zentren, in denen alternatives Leben gedeiht. Man sollte Einrichtungen wie die Rote Flora nun nicht denunzieren, indem man so tut, als dienten die dazu, Gewalt zu organisieren. Da möchte ich erst mal Beweise dafür sehen, dass in der Roten Flora wirklich Straftaten vorbereitet wurden. Mir wurde zum Beispiel gesagt: "Das kann niemand von uns gewesen sein, der in der Drogerie geplündert hat. Gerade aus dem Laden wurde uns manches Mal geholfen – zum Beispiel beim Thema Flüchtlinge."

 

ZEIT ONLINE: Braucht man eine europaweite Extremistendatei, um gewalttätige Demonstranten an der Einreise zu hindern?

 

Ströbele: Da muss man sich fragen: Was heißt Extremistendatei? Geht es da um Personen, die sich strafbar gemacht haben und verurteilt worden sind? Für Straftäter gibt es längst einen internationalen Austausch. Oder sind mit Extremisten Menschen gemeint, die man aus irgendwelchen Gründen für radikal hält? Da kann ich nur sagen, das werden dann sehr häufig die Falschen sein. 


ZEIT ONLINE: Was kann der Staat ansonsten tun? CDU-Politiker wie Jens Spahn fordern, dass man von linken Initiativen, die finanziell unterstützt werden, Geld zurückverlangen könne, wenn die Initiativen sich nicht an demokratische Grundsätze halten. Ist das sinnvoll?

 

Ströbele: Das ist völliger Kappes. Sie müssten dann ja der Gruppierung nachweisen, dass sie absichtlich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstößt. Dass ein einzelnes Mitglied auf einer Demonstration eine Straftat begeht, würde nicht ausreichen, um Geld zurückzufordern. Das ist wirkungsloser Aktionismus.