Vorratsdatenspeicherung: Befreiung per Eilantrag

Erstveröffentlicht: 
23.06.2017

Oberverwaltungsgericht Münster: Datenspeicherung ist ein Verstoß gegen Europarecht / Aktivisten fordern Provider auf, sich ebenfalls befreien zu lassen

 

Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Deswegen können sich nun Internetprovider von der Vorratsdatenspeicherung befreien lassen. Telekommunikationsunternehmen können nicht verpflichtet werden, ab dem 1. Juli die Telefon- und Internetverbindungsdaten aller Bürger zehn Wochen lang speichern zu müssen, wie das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster in einem Beschluss vom Donnerstag entschied. Geklagt hatte der Internetprovider SpaceNet. Das Unternehmen aus München wollte die Internetzugangsdaten seiner Kunden nicht speichern.

 

Die Vorratsdatenspeicherung sei ein »Vertrauensbruch« gegenüber den Kunden, so Sebastian von Bomhard, Vorstand der SpaceNet AG. Doch darüber hinaus müssten die Internetprovider Gelder in Millionenhöhe investieren, um überhaupt die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die umfassende Datenspeicherung zu schaffen, bemängelt der Verband der Internetwirtschaft (Eco).

 

Das Gericht verwies zur Begründung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das im vergangenen Dezember die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in der Europäischen Union gekippt hatte. Den Luxemburger Richtern zufolge ist die Speicherung von Vorratsdaten nur bei Vorliegen des Verdachts einer schweren Straftat zulässig. Auch müsse die Vorratsdatenspeicherung auf geografisch eingegrenzte Gebiete beschränkt bleiben. Zudem müssten Menschen ausgenommen sein, deren Kommunikation dem Berufsgeheimnis unterliege.

 

Dem OVG-Beschluss zufolge umfasst die Speicherpflicht in Deutschland aber »pauschal die Verkehrs- und Standortdaten nahezu aller Nutzer von Telefon- und Internetdiensten«. Dem Luxemburger Urteil zufolge seien aber nur Regelungen zulässig, »die den von der Speicherung betroffenen Personenkreis von vornherein auf Fälle beschränkten«, bei denen ein zumindest mittelbarer Zusammenhang mit Straftaten bestehe. Solche Beschränkungen könnten etwa »durch personelle, zeitliche oder geografische Kriterien geschehen«.

 

Das Urteil gilt zunächst nur für SpaceNet aus München, andere Provider könnten sich nun aber auf das Urteil berufen und eigene Eilanträge stellen. »Wir gehen davon aus, dass nun viele Provider einen Antrag auf Befreiung von der Vorratsdatenspeicherung stellen werden«, so Christin Wagner vom Verband der Internetwirtschaft. Netzaktivisten haben dazu im Internet eine Briefvorlage erstellt, mit der Verbraucher ihren Provider dazu auffordern können.

 

Das Urteil aus Münster liegt auf einer Linie mit der Rechtsauffassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Dieser bezweifelte im Februar ebenfalls, dass das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung den Vorgaben des EuGH entspricht.

 

Eine Klage zur Vorratsdatenspeicherung ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig, wird aber voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahr entschieden. Rund 33.000 Unterstützer haben die Bürgerrechtler von Digitalcourage e.V. mittlerweile für ihre Verfassungsbeschwerde gesammelt. Die Datenschützer wollen mit der Unterschriftenkampagne mindestens das 35.000 Menschen erreichen. So viele Unterstützer hatten 2008 die Klage von Digitalcourage mit ihrer Unterschrift unterstützt.

 

Die Ende 2015 in Kraft getretene und inzwischen wiedereingeführte Vorratsdatenspeicherung in Deutschland soll Telekommunikationsanbieter nach dem Willen der großen Koalition verpflichten, vom 1. Juli 2017 an die Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos zehn Wochen lang zu speichern (Standortdaten von Handys vier Wochen lang). Ermittlungsbehörden könnten damit bei Verfahren zu schweren Straftaten auf Abruf feststellen, wer wann wen angerufen und wer sich wann und mit welcher IP-Adresse ins Internet eingewählt hat.