»Es gibt nichts mitzuteilen«

Erstveröffentlicht: 
19.06.2017

Feuertod von Oury Jalloh im Polizeirevier Dessau: Staatsanwaltschaft hält Gutachten zurück. Sachsen-Anhalts Behörden verweigern jede Auskunft

 

Von Susan Bonath

 

Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« wirft der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau erneut massives Fehlverhalten bei den Ermittlungen zum Feuertod des Asylsuchenden vor. Sie ermittle absichtlich ins Leere, verschleppe das Verfahren, vertusche Ergebnisse und ignoriere Beweise. »Das ist Strafvereitelung im Amt«, erklärte die Initiative vergangene Woche. Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 im Dessauer Polizeirevier bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Dabei lag der 36jährige Flüchtling aus Sierra Leone an Händen und Füßen angekettet auf einer feuerfest umhüllten Matratze, die sich in einer gefliesten Zelle befand. Die Behörden beharren trotz gegenteiliger Indizien darauf, dass er sich selbst getötet habe.

 

Das Resultat eines Brandversuchs, der diese Version stützen sollte, wird geheimgehalten. Nachdem von der Initiative beauftragte Experten gravierende Mängel in den Ermittlungen aufgedeckt und einen Mord nahegelegt hatten, war die Staatsanwaltschaft in die Offensive gegangen: In Gegenwart von Journalisten ließ sie den Schweizer Brandgutachter Kurt Zollinger und Diplomingenieur Thorsten Prein am 18. August 2016 im sächsischen Schmiedeberg den Brandverlauf nachstellen. Staatsanwalt Olaf Braun versprach damals, bis Mitte Oktober 2016 Ergebnisse bekanntzugeben. Passiert ist bis heute nichts. Anfragen von junge Welt schmettern die Staatsanwälte seither ab. Vergangene Woche erklärte Behördensprecher Frank Pieper erneut: »Derzeit gibt es nichts mitzuteilen, insbesondere kein Datum einer solchen Mitteilung.« Man werde sich zu gegebener Zeit melden, so Pieper.

 

Die Dessauer Staatsanwaltschaft untersteht der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg – die sich nicht einmischen will, wie ihr Sprecher Klaus Tewes gegenüber jW mehrfach betonte. Dazu gebe es keinen Anlass. Das Justizministerium Sachsen-Anhalt hält es als Dienstaufsichtsbehörde genauso. Selbst zu den Kosten des Versuchs schweigt Sprecher Detlef Thiel. »Jede Veröffentlichung könnte die Ermittlungen gefährden«, sagte er gegenüber jW. Und: »Den Vorwurf der Verschleppung und des Ignorierens weise ich zurück.« Nach Informationen dieser Zeitung wollte das Land 100.000 Euro an Zollinger und 70.000 Euro an Prein zahlen.

 

Bereits an dem Brandversuch selbst ließen Experten kein gutes Haar. Ein Mitglied der Bundesvereinigung Fachplaner und Sachverständige für den vorbeugenden Brandschutz (BFSB) bezeichnete die Versuchsanordnung als »dilettantisch«. »Das kann überhaupt keine brauchbaren Ergebnisse liefern«, sagte er bereits 2016 im Gespräch mit jW. Der Londoner Brandgutachter Iain Peck sah es ähnlich. In einer Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft rügte er im Dezember, dass zahlreiche Parameter nicht beachtet worden seien. So befand sich die Todeszelle im Keller eines Steingebäudes, der Versuchsort aber in der sechsten Etage eines maroden Plattenbaus. »Da herrschen ganz andere Windverhältnisse«, erklärte er. Außerdem fehlten die Fliesen, die Matratze wies grobe Risse auf, ein Fenster war geöffnet, der Dummy war stellenweise mit Alufolie umwickelt und mit Speckschwarten belegt. Dies wirke geradezu wie ein Brandbeschleuniger, so Peck.

 

Eine windige Sache war der Versuchsort offenbar in zweierlei Hinsicht: Das angebliche »Institut für Brand- und Löschforschung« (IBLF) ist nicht im Register eingetragen. Vor Ort ist es nicht ausgewiesen, eine Telefonnummer gibt es nicht. Das Gelände, eine Industriebrache, gehört dem Inhaber der schleswig-holsteinischen Firma Hansenebel. Der betreibt dort ein »Brandschutzzentrum«. Die Fläche vermietet er für Feuerlöschübungen. Einer seiner Anmieter war offenbar »Institutsleiter« Thorsten Prein, der für den Versuchsaufbau zuständig war. Er betreibt in Bergisch Gladbach ein Brandschutzbüro.

 

Darüber hinaus schweigt die Staatsanwaltschaft gegenüber den Anwältinnen der Familie Jallohs. Im Februar hatten Gabriele Heinecke und Beate Böhler beantragt, noch vorhandene Asservate des Verstorbenen aus der Rechtsmedizin Halle in die forensische Abteilung der Berliner Charité zu überstellen, um offene Fragen zur Todesursache zu klären. Darauf habe die Staatsanwaltschaft bis heute nicht reagiert. Auch gegenüber jW äußerte sich weder diese noch das Justizministerium.

 

Als wichtigstes Beweismittel für einen Mord sehen Initiative und Anwältinnen aber weiterhin den Rest eines verschmorten Feuerzeugs, mit dem Jalloh sich angezündet haben soll. Eine Gerichtsgutachterin fand bereits 2012 heraus, dass es keine Spuren aus der Zelle trägt und mutmaßlich woanders verbrannt war.