„Wir brauchen Neubau und Abriss“

Erstveröffentlicht: 
21.06.2017

Sachsens Wohnungsgenossenschaften spüren den Gegensatz von Stadt und Land. Sie wollen Kleinstädte stärken.

 

Von Georg Moeritz

 

Umzug aufs Land: Das war einmal. Vor etwa zehn Jahren war damit Schluss, erinnert sich Axel Viehweger. Bis ins Jahr 2008 zogen die Sachsen gerne aus den Großstädten ins Grüne. Seitdem ist es umgekehrt, seitdem nimmt der Wohnungsleerstand außerhalb der Großstädte wieder zu. 6 200 Genossenschaftswohnungen standen zum Silvestertag in den drei Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz leer, aber 15 400 außerhalb. Erstmals seit rund 15 Jahren hat der Anteil der leeren Wohnungen an den Genossenschaftswohnungen in Sachsen wieder zugenommen, berichtete Viehweger am Dienstag in Dresden. Er ist Vorstand des Verbandes der Sächsischen Wohnungsgenossenschaften (VSWG) und steht damit für etwa ein Fünftel der Wohnungen in Sachsen. Wenn es nach Viehweger geht, bekommen „versteckte Perlen“ wie Bischofswerda und „Ankerstädte“ wie Zittau mehr Ansehen.

 

Flüchtlinge: Laut Verband weitergezogen in den Westen

Bei 7,9 Prozent liegt jetzt der Leerstand der sächsischen Genossenschaftswohnungen. In Dresden kann bei 2,2 Prozent von Leerstand kaum die Rede sein – die Rekordhalter sind Zwickau mit 17,4 Prozent und die Regionen Riesa-Großenhain mit 14,5 und Löbau-Zittau mit 13,4 Prozent. Nahe am Dresdner Niveau sind der Weißeritzkreis und selbst die stark geschrumpfte Stadt Hoyerswerda mit 2,5 Prozent Leerstand nach viel „Rückbau“. Wohnungen seien „vom Markt genommen worden“, schreibt der Verband und fordert auch für die Zukunft Zuschüsse für diese Bereinigung.

Viehweger spricht vom Ende der „Stadtflucht“ – aber er hat auch mit Flüchtlingen aus anderen Staaten zu tun. Wohnungsgenossenschaften mit hohem Leerstand brachten Flüchtlinge unter. „Leider haben wir viele wieder verloren“, sagt Viehweger. Viele Flüchtlinge seien weggezogen, nach seinem Eindruck vor allem in westdeutsche Großstädte, wo sie Verwandte haben, „wo man ihre Sprache spricht“. Früher sei es gelungen, Vietnamesen und Russlanddeutsche dezentral unterzubringen; die seien geblieben und zufrieden.

 

Aussichten: Mehr als 1 500 Wohnungen zum Abriss vorgemerkt

Sie bauen auf und reißen nieder: Voriges Jahr haben die 214 Genossenschaften des Verbandes in Sachsen 613 Wohnungen abgerissen, aber 315 Wohnungen neu gebaut. Dieses Jahr wird der Neubau voraussichtlich den „Rückbau“ überflügeln: 855 Neubauten sind laut Verbandsreferent Sven Winkler geplant. Das übertrifft den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2015: Damals kamen 532 Neubauten zusammen, weil die Bauherren neuen Vorschriften der Energiesparverordnung zuvorkommen wollten.

Jetzt sind es niedrige Zinsen, die zum Bauen verlocken. Doch der Abriss geht weiter: Laut Winkler sind für die Zeit nach 2018 bereits 1 572 sächsische Wohnungen „für einen Rückbau vorgemerkt“. Nicht immer werden ganze Häuser abgerissen, manchmal nur die oberste Etage – sie ist unbeliebt wegen der Treppen. Ein Aufzug würde eine Viertelmillion Euro kosten, dann würde aber die Miete auf neun bis zehn Euro pro Quadratmeter steigen.

Jetzt liegt die Kaltmiete im Durchschnitt der Verbandsmitglieder bei 4,76 Euro, Stand Dezember, das sind sechs Cent mehr als ein Jahr zuvor. Eine typische Genossenschaftswohnung mit 58 Quadratmetern kostet in Dresden warm 431 Euro, im Vogtland 342 Euro, referiert Winkler.

 

Stadt gegen Land: Verband setzt auf Kleinstädte

Verbandschef Viehweger widerspricht, wenn in Studien ein Rückzug vom Lande angeregt wird. Zu Wochenbeginn hatten Forscher solche Papiere vorgelegt: Auf dem Lande werde zu viel gebaut, hieß es beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das Münchner Ifo-Institut warnte vor einer neuen Leerstandswelle in „Schrumpfungsregionen“. Viehweger vertritt die Ansicht, Sachsen brauche weiterhin „Neubau, aber auch Abriss im ländlichen Raum“. Städte müssten kompakt gemacht werden, damit sie funktionieren. Neubau sei oft nicht teurer als Modernisieren, barrierefrei mit bodengleichen Duschen.

 

Perlen und Anker: Attraktive Orte außerhalb der Großstädte

Sachsen wird auch künftig nicht nur aus den „Schwarmstädten“ bestehen, Dresden, Leipzig, Chemnitz und Freiberg. Gerne zitiert Viehweger eine Studie, in der Städte wie Bautzen, Bischofswerda und Döbeln als „versteckte Perlen“ bezeichnet werden. Sie schrumpfen zwar, ziehen aber Einwohner aus dem Umland an. Ein hübscher Marktplatz mit Café mache dabei schon viel aus, sagt Viehweger. Und dann gebe es noch „Ankerstädte“ wie Weißwasser und Zittau, Hoyerswerda und Riesa. Auch sie schrumpfen, aber sind wichtig wie ein Anker für ihre Umgebung. Keine dieser Städte werde auf null schrumpfen, die Aufgabe sei, „das Schrumpfen zu gestalten“.

 

Angeprangert: Landräte und Dresdner Planer

Ganz im Sinne seiner Genossenschaftsmitglieder wirbt Viehweger dafür, kleine Städte attraktiv zu machen – auch mit guten Verkehrsverbindungen zu den Großstädten. „Im Umland kriege ich für das gleiche Geld ein Zimmer mehr. Aber ich muss pendeln können“, sagt der Verbandschef. Daher prangert er heftig die Verkehrsverbünde an, weil an ihren Grenzen die Fahrpreise zu starke Sprünge machen. Von Oschatz nach Riesa zu fahren, sei teurer als ins deutlich weitere Leipzig, das sei „Unsinn“. Mit Landräten legt sich Viehweger an, weil einige wie „Fürsten“ seien – und mit der Stadt Dresden, weil sie für Bauvorhaben einen zweiten Rettungsweg vorschreiben wolle. Dresden verteuere damit das Wohnen, sagt der Lobbyist. Zugleich wecke die Stadt mit ihrer neuen Wohnungsgesellschaft Hoffnungen auf viel billigen Wohnraum, den so niemand erfüllen könne.