Im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss geht es am Donnerstag um die angebliche Verbindung eines Ex-V-Manns zu einem bekannten Thüringer SPD-Politiker - niedergeschrieben in einem internen Protokoll vor 16 Jahren von zwei Weimarer Kripo-Beamten. Einer von ihnen ist Zeuge im Ausschuss. von Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia
Der Ton ist sachlich und in bestem Beamtendeutsch gehalten. Denn die beiden Polizisten der Kripo Weimar, die im Juni 2001 Thomas Dienel aufsuchten, wollten ihre Skepsis über seine Aussagen gar nicht verbergen. "Der Sachverhalt wurde angezweifelt", oder "Er wurde aufgefordert einige Beispiele zu nennen", oder "auf Grund seines übertriebenen Geltungsbedürfnisses steigerte er sich in die Sache hinein", steht dort.
Zu lesen sind diese Sätze in einem dreiseitigen internen Papier, das seit der letzten Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses für Wirbel hinter den Kulissen des Thüringer Innenministeriums und der Polizei sorgt. Denn in diesem internen Protokoll, das MDR THÜRINGEN in Kopie vorliegt, steht, dass der Ex-NPD-Funktionär und frühere Verfassungsschutz-Spitzel Thomas Dienel über Jahre Kontakte zum SPD-Politiker Heiko Gentzel unterhalten haben soll.
Um es vorweg zu nehmen: Heiko Gentzel weist diesen Vorwurf - sowie alles was in dem Dokument steht - als "Unsinn" zurück. Trotzdem könnte das sogenannte "Dienel-Protokoll" und der Umgang mit ihm noch von Interesse sein. Deshalb soll am Donnerstag einer der beiden Kripobeamten im Ausschuss als Zeuge gehört werden. Und zwar ein zweites Mal. Denn er war es, der in der letzten Sitzung den Abgeordneten von diesem brisanten Dokument berichtet hatte.
Angeblich Kontakt zu Gentzel
Rückblick: 1996 wird der damaligen Thüringer NPD-Landeschef Thomas
Dienel V-Mann des Verfassungsschutzes. Angeblich soll er 1998
abgeschaltet worden sein. Das Problem: Dienel hatte eine
Führungsposition innerhalb der rechtsextremen Partei. Damit lenkte der
Geheimdienst aber quasi die Geschicke der NPD, und alimentierte sie auch
noch durch die V-Mann-Honorare. Ein Sündenfall, der 2000 dem damaligen
Verfassungsschutzchef Helmut Roewer das Amt kostete.
Dienel
verschwand von der Bildfläche. Tauchte aber im Laufe des Jahres 2000 bei
der Weimarer Polizei wieder auf. Ein Geschäftsmann aus Kromsdorf habe
ihn beauftragt, einen Killer zu finden, der seine Frau umbringen sollte,
erzählte Dienel den Beamten. Diese nahmen den Hinweis ernst, am Ende
bewahrheitete sich der perfide Plan des Geschäftsmannes. Der Mann wurde
im November desselben Jahres zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Im
Juni 2001, also ein Jahr später, fahren zwei Beamte der Kripo Weimar zu
Dienel. Warum, das ist nicht ganz klar und dürfte an diesem Donnerstag
eine Rolle in der Zeugenbefragung im NSU-Ausschuss spielen. Angeblich,
so steht es in dem brisanten Dokument, sei der "Beschuldigte Dienel zu
verschiedenen Vernehmungsterminen" nicht erschienen. Warum Dienel ein
Beschuldigter war, und warum er vernommen werden sollte, bleibt auch
unklar.
Dienel hatte Angst
Aber, so sagte es der eine Kripomann im letzten Ausschuss: "Der Dienel hatte Angst!" Warum, das ist in dem Protokolle von 2001 wiederum zu lesen. Dort steht, dass Dienel "durch Personen aus dem rechten Spektrum bedroht wurde". Einen davon kenne er mit Namen, so Dienel gegenüber den Polizeibeamten. Und der sei eine Quelle des Verfassungsschutzes. Durch diese sei er "aufgefordert worden, seine Schnauze über die Sache mit dem Verfassungsschutz und Herrn Dewes zu halten". Dienel erklärte den Polizisten, dass es um die geklauten Computer beim Umzug des Innenministeriums ging, die im November 1997 verschwunden waren. Darüber war der damalige SPD-Innenminister Richard Dewes politisch fast gestolpert.
Doch die beiden Polizisten blieben ungerührt. Sie notierten in ihrem Protokoll später: "... der Sachverhalt wurde angezweifelt, wodurch sich der Dienel beleidigt fühlte und weitere Umstände erzählte." Diese "Umstände" betrafen neben der Bedrohung Dienels, den verschwundenen Festplatten auch einen prominenten SPD-Politiker. Denn Dienel berichtete den Beamten von seinem Kontakt zu dem SPD-Politiker Heiko Gentzel.
Angebahnt habe der sich 1996 in einem Erfurter Restaurant. Laut Dienels Aussagen in dem Protokoll soll dieser Kontakt über Jahre bestanden haben. Was im historischen und landespolitischen Kontext einigermaßen brisant ist. Denn Gentzel war erst parlamentarischer Geschäftsführer und bis 2004 Fraktionschef der SPD im Landtag. Zudem war er Mitglied in verschiedenen geheimen Gremien des Landtages, die den Verfassungsschutz kontrollierten. "Alles Unsinn" sagte Gentzel MDR THÜRINGEN. Es habe nie einen Kontakt zu Dienel gegeben.
Protokoll vernichtet?
Doch die Vorgesetzten der beiden Kripobeamten fanden die Aussagen und das interne Protokoll damals im Juni 2001 nicht unsinnig. Jedenfalls, wenn die Aussage des Kripobeamten in der vergangenen NSU-Ausschusssitzung stimmt. Denn nachdem sie das Dokument verfasst hatten, sei wenige Tage später ein hoher Polizeibeamter aus dem Innenministerium aufgetaucht und habe die Löschung angeordnet. Brisant: Es soll sich um Michael Menzel handeln. Menzel hatte als Gothaer Polizeichef 2011 die Ermittlungen rund um das Auffliegen des NSU in Eisenach geleitet und war dabei in die Kritik geraten.
Menzel teilte MDR THÜRINGEN mit, dass die Aussagen des Weimarer Kripobeamten gelogen seien. Er habe nie die Löschung des Dokuments angeordnet. Menzel bestätigte aber, 2001 mit einem Kollegen in Weimar gewesen zu sein. Er habe die Aussagen Dienels geprüft und einen entsprechenden Bericht an die Staatsanwaltschaft Erfurt geschickt. Was daraus geworden ist, bleibt im Dunkeln.
Nun steht in diesem Fall Aussage gegen Aussage. Dabei ist in der Thüringer Polizeiführung diese angebliche Löschanweisung des Dienel-Papiers seit vier Jahren bekannt. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN gab es im Februar 2013 einen geheimen Bericht an den damals laufenden Untersuchungsausschuss zur Trinkaus-Affäre. Der MDR hatte den Ex-NPD-Funktionär Kai-Uwe Trinkaus Ende 2012 als V-Mann enttarnt. In diesem Bericht wurde dem Landtag nicht nur das Dienel-Protokoll übermittelt, sondern auch mitgeteilt, dass der Verdacht bestehe, dass "mehrere Führungsbeamte der Thüringer Polizei 2001 die Löschung des Protokolls angeordnet haben". Stimmt also die Aussage des Kripobeamten aus Weimar? Der NSU-Untersuchungsausschuss wird sich nicht nur mit dieser Frage am Donnerstag beschäftigten.