Die Justiz war trotz brutaler Gewalttaten lange nachsichtig mit Christian Müller. Der Pogida-Gründer weiß das zu schätzen: Er hat Potsdam verlassen. Wo er nun ist, hält er geheim. Aber es gibt Hinweise.
Potsdam - Der von einer Haftstrafe bedrohte Potsdamer Pogida-Gründer Christian Müller hat sich via Facebook gemeldet. Zu einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Potsdam zu einer Gewalttat war er Mitte Mai nicht erschienen. Selbst sein Anwalt und auch der Bewährungshelfer hatten keinen Kontakt zu ihm. Nun äußerte sich Müller erstmals in einem Live-Video bei Facebook zu Wort, das auch Justiz und Polizei brennend interessieren dürfte.
Wo genau sich Müller aufhält, gab der 33-Jährige nicht preis. Zu sehen war im ersten, später gelöschten Video eine Landschaft im Sonnenuntergang mit Palmen, Swimmingpool und weißen Häusern. Es sieht aus wie am Mittelmeer, ein Urlaubsparadies. Das zweite Video nahm er - ohne Windgeräusche - in einem Raum auf, im Hintergrund war ein Ziervogel zu hören. Aber es gibt zumindest Hinweise, wo Müller sein könnte. Im März, so geht es aus seinem Facebook-Profil hervor, war er mit seiner Freundin auf der Urlauberinsel Fuerteventura.
Neues Leben unter Palmen dank nachsichter Justiz
Am Ende ist es der bizarre Auftritt einer gescheiterten Existenz, die mit der rechten Gruppe Pogida und ihren Aufmärschen in den ersten Monaten des Jahres 2016 Potsdam in Atem hielt. Eine Flucht vor der Justiz bestreitet er zwar. Und doch gesteht er in blauem Hemd und gebräunt ein, sich unter Palmen eine neue Existenz aufgebaut zu haben. Der Eindruck bleibt, dass sich Müller dem Zugriff der Justiz entzieht. Zur Wahrheit gehört aber: Die Justiz ging über Jahre nachsichtig mit dem Gewalttäter um. Nun bekommt sie ihn nicht mehr zu fassen.
Müller wehrt sich in dem Video gegen den Vorwurf, er sei untergetaucht und wolle sich der Justiz entziehen. "Ich bin nicht der Typ, der untertaucht", sagte Müller. Er sei völlig legal verreist, erklärte der Hartz-IV-Empfänger. Dass er nicht zu seiner Berufungsverhandlung vor dem Landgericht erschien, habe persönliche Gründe. Für ihn habe ein neuer Lebensabschnitt begonnen, er fange ganz von vorne an. "Mir geht es gut", sagte der 33-Jährige. Er habe neue Freunde gefunden.
Wilde Gerüchte über Prostitution, Gewalt und gestohlenes Pogida-Geld
Allerdings scheint das Dementi, er sei nicht untergetaucht, nicht der Antrieb für das Live-Video gewesen zu sein. Vornehmlich widmet sich Müller Vorwürfen, er schicke seine Frau auf den Strich, er habe für seine Flucht in den Süden die Pogida-Kasse geplündert oder die Frau eines anderen Rechten geschlagen. Müllers Kommentar: Er habe die „Patriotin“ auf einer Reise in Prag nur geschubst und sie sei auf dem Laub ausgerutscht.
Und dann wollte er doch ein Lebenszeichen und die Entschuldigung an seinen Verteidiger, den Neonazi-Anwalt Wolfram Nahrath, loswerden: "Mir geht es gut." Er sei wegen "persönlicher Ereignisse, die mein Leben maßgeblich umgekrempelt haben", nicht zur Verhandlung vor dem Landgericht erschienen. "Ich bin kein Typ, der wegrennt. So kannte mich auch die Justiz bisher noch nicht." Seine Wohnung in Potsdam sei weiterhin eingerichtet und bewohnbar. Es sei aber gegen ihn kein Haftbefehl erlassen oder vollstreckt worden. Wenn er die Ladung zum Haftantritt erhalte, werde er sehen, wie es weitergeht.
Nicht mit Holocaust-Leugner Horst Mahler in Ungarn
Wo er sich genau aufhält, wollte Müller trotz aller Beteuerungen nicht verraten. Offenbar fühlt er sich dort aber nicht vom Islam bedroht. Wo er jetzt sei, dort seien Frauen mit Kopftuch eine Seltenheit. "Ich habe ein neues Leben für mich gefunden, ich habe ein neues Ziel", sagte Müller. "Ich kann weitermachen, ich kann Geld verdienen auf legale Art und Weise." Für seine Vorgeschichte interessiere sich dort niemand.
In Ungarn, wo der Holocaust-Leugner Horst Mahler Asyl suchen wollte, um der erneuten Haft in Brandenburg zu entgehen, sei er aber nicht. Dennoch werde er auch aus der Ferne die Geschehnisse in Deutschland weiter verfolgen und auf andere Weise Widerstand leisten. Am Ende rief er seine "Patrioten" dazu auf: "Lasst unser Volk nicht untergehen. Euer Pogida-Müller."
Müller droht in Potsdam Haft
Fest steht, dass Müller nach dem Willen der Justiz wieder ins Gefängnis muss. Mitte Mai hatte das Potsdamer Landgericht eine von ihm eingelegte Berufung gegen eine einjährige Freiheitsstrafe verworfen. Über die Berufung der Staatsanwaltschaft, die 16 Monate Haft fordert, entscheidet das Gericht später. Sollte Müller dann erneut nicht vor Gericht erscheinen, wird Haftbefehl erlassen.
Schon über sein Fernbleiben bei der Verhandlung zeigten sich die Prozessbeteiligten erstaunt. Sein Bewährungshelfer habe keinen Kontakt mehr zu Müller, die Wohnung des Mannes in der Burgstraße sei verlassen, sagte Richterin Phieler-Morbach. Und Müllers Verteidiger sagte, seine Versuche, den 33-Jährigen per Handy zu erreichen, seien erfolglos geblieben.
Ermittler halten Müller für eine tickende Zeitbombe
Der frühere Anmelder der rechten Pogida-Demonstrationen war in dem Berufungsverfahren wegen Körperverletzung angeklagt und in erster Instanz vor dem Amtsgericht Potsdam zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er in der Silvesternacht 2014/15 zwei Partygäste verprügelt hatte.
Intern hatten Ermittler der Polizei schon mehrfach Unverständnis für den jahrelang nachsichtigen Umgang der Justiz mit dem Intensivstraftäter geäußert, der mit der Berufung eine erneute Haftstrafe verhindern wollte und weiter mit Gewalttaten auffiel. Müller hatte Anfang 2016 in Potsdam mehrere Demonstrationen nach dem Vorbild der Dresdner Pegida-Bewegung organisiert. Ermittler halten ihn für eine tickende Zeitbombe. Trotz mehrerer Urteile und wiederholten Gewalttaten blieb er auf freiem Fuß.
Gericht bescheinigte Müller eine narzisstische Persönlichkeitsstörung
Im Feburar 2016 verurteilte ihn das Amtsgericht Potsdm wegen Körperverletzung, Bedrohung und Fahren ohne Führerschein, wogegen Müller Berufung einlegte. Grund für die Verurteilung war ein Vorfall bei einer Silvesterparty. Als es schon Neujahr war, soll sich Müllers Kampfhund mit einem anderen Hund eine wilde Beißerei geliefert haben. Als der 32-Jährige die Tiere auseinanderbringen wollte, soll er gebissen worden sein. Der Potsdamer soll derart in Rage geraten sein, dass er in seiner Wut zwei andere Partygäste verprügelt haben soll, darunter einen 16-Jährigen. Beide Opfer wurden dabei erheblich verletzt.
Relevant für das Hafturteil war vor allem Müllers dickes Vorstrafenregister, darunter mehrere Urteile aus den vergangenen Jahren wegen Körperverletzung. Zudem wurde ihm nun eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert.
Vorzeitige Haftentlassung - trotz Folter und Scheinhinrichtung
Wie berichtet hat der gebürtige Potsdamer eine Karriere als Intensivstraftäter hinter sich. Er ist fünf Mal verurteilt worden und war zwei Mal im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter. Zudem räumte er ein, ein Problem mit seiner Aggression zu haben – und mit Alkohol. Insgesamt fünf Jahre war er nach eigenen Angaben schon im Gefängnis. Bis 2013 saß er wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung ein. Er hatte einen Mann über Stunden gefoltert und eine Scheinhinrichtung verübt. Er kam allerdings vorzeitig frei, die dreijährige Haft musste er nicht komplett absitzen.
Bei der Polizei ist Müller seit Jahren einschlägig bekannt – und mit einer ganzen Reihe von Delikten registriert. Im internen Computer-Fahndungssystem der Polizei wird er als Straftäter der allgemeinen Kriminalität geführt. Insgesamt 170 Strafverfahren sind in dem System für die Jahre 2002 bis 2015 bei Müller verzeichnet, außerdem ist sein Eintrag dort mit den Vermerken Drogenkriminalität, „bewaffnet“ und „gewalttätig“ versehen.
Bei den meisten Fällen handelte es sich um Rohheitsdelikte wie Nötigung, Bedrohung und Körperverletzung. Daneben fiel Müller mehrfach mit politisch motivierter Kriminalität auf. Im Sommer 2016 verprügelte er in der Potsdamer Innerstadt auf offener Straße seine Lebensgefährtin