Köln/Erlangen – Was hat das Bundesamt für Verfassungsschutz in diesem Mordfall zu verbergen? Warum werden wichtige Akten nach 37 Jahren noch immer unter Verschluss gehalten? Am 19. Dezember 1980 wurden der Rabbiner Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in ihrer Wohnung in Erlangen erschossen. Als mutmaßlichen Täter ermittelte die Polizei den Neo-Nazi Uwe Behrendt von der „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Doch er konnte nie vor Gericht gestellt werden. Er soll sich 1981 im Libanon das Leben genommen haben.
Angeblich war Uwe Behrendt der alleinige Täter – eine Theorie, an der sogar Bayerns Innenminister Joachim Herrmann Zweifel hat.
Bis heute wirft der Fall viele Fragen auf. Für Aufklärung könnten Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz sorgen. Doch der Geheimdienst weigert sich, die Akten offenzulegen.
Verfassungsschutz lügt
Dem Verfassungsschutz liegt eine Akte „Doppelmord am 19. Dezember 1980 in Erlangen“ vor. Das geht aus einer im März erteilten Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag hervor. Anfang 2016 hatte der Verfassungsschutz gegenüber BILD noch behauptet: „Weder zum Vorgang ,Attentat und Ermordung' von Shlomo Lewin und Frida Poeschke, noch zu den von Ihnen angefragten Personen selbst konnten Akten in den Altaktenbeständen des BfV ermittelt werden.“
Ein dreiste Lüge!
Es gäbe nur eine Akte zu Uwe Behrendt. Eine Einsichtnahme in die Unterlagen würde „das Wohl der Bundesrepublik Deutschland gefährden“, so der Verfassungsschutz vor einem Jahr.
Nach einer längeren juristischen Auseinandersetzung beantragte BILD im Februar erneut Zugang zu den Verfassungsschutz-Akten über Uwe Behrendt und den Doppelmord.
Jetzt verweigert der Geheimdienst die Akteneinsicht mit „zwingenden Gründen des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie zum Schutz der Identität der Mitarbeiter“. Dabei berufen sich die Agenten aus Köln auf einen neuen und umstrittenen Passus im Bundesarchivgesetz, den die Regierungsparteien erst im Januar beschlossen hatten.
Die Opposition im Bundestag und Fachverbände hatten sich energisch gegen diese Gesetzesänderung ausgesprochen. „Wie befürchtet können sich die Geheimdienste jetzt auf einen nebulösen ,Quellen- und Methodenschutz' zurückziehen, ohne dass sie jemandem erklären müssen, warum bestimmte Akten nicht eingesehen werden können“, so Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN, zu BILD. „Das neue Bundesarchivrecht beschneidet Transparenz und Kontrolle von staatlichen Institutionen wie dem Verfassungsschutz und schränkt zudem die Pressefreiheit ein. Die Öffentlichkeit hat aber ein Recht zu erfahren, was damals geschehen ist.“
Frank Überall, Bundesvorsitzender Deutscher Journalisten-Verband, bezeichnet den Fall gegenüber BILD als „völlig inakzeptabel“. Es müsse eine zeitliche Begrenzung für den Verfassungsschutz geben, seine Mitarbeiter und Quellen zu schützen. Überall: „30 Jahre sind lang genug für die Geheimhaltung. Danach wird aus Geheimhaltung Geheimniskrämerei.“
Josef Schuster (63), Präsident Zentralrat der Juden in Deutschland: „Es ist sehr unbefriedigend, dass der Mordfall nach wie vor nicht aufgeklärt ist. Er hat damals nicht nur in jüdischen Kreisen für tiefe Erschütterung gesorgt.“
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) beschäftigt sich intensiv mit dem Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke. Die Politikerin zu BILD: „Diese Ablehnung bedeutet ganz konkret, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz über die Aufklärungsbemühungen im Fall eines neonazistischen Doppelmordes stellt. Das bedeutet auch, dass wichtige Zeugen oder sogar weitere Tatbeteiligte nie bekannt werden.“
Die Staatsanwaltschaft klagte damals nach dem Doppelmord den Chef der verbotenen „Wehrsportgruppe Hoffmann“, Karl-Heinz Hoffmann (heute 79) und seine Lebensgefährtin Franziska Birkmann an. Am Tatort hatten Ermittler die Sonnenbrille der Hoffmann-Freundin gefunden. Doch das reichte dem Schwurgericht Nürnberg zu einer Verurteilung nicht aus. Seitdem gilt Behrendt als Einzeltäter.
Drei Monate vor der Ermordung von Shlomo Lewin und Frida Poeschke hatte ein anderes Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ das Attentat auf das Münchner Oktoberfest mit 13 Toten und 211 Verletzten verübt.
Auch dort soll es nur einen Täter gegeben haben. Auch dieser Täter kam nie vor Gericht, weil er bei dem Attentat starb. Wie bei dem Doppelmord in Erlangen gibt es beim Oktoberfest-Attentat Zweifel an der Einzeltäter-Theorie und ungeklärte Fragen zur Rolle der Geheimdienste.
Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen zu möglichen weiteren Tätern des Oktoberfest-Attentats im Dezember 2014 nach neuen Hinweisen wieder aufgenommen. Im Doppelmord Lewin/Poeschke gibt es keine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Und der Verfassungsschutz hält seine Erkenntnisse vor der Öffentlichkeit geheim.