Angeklagte im „Sachsensumpf“-Prozess: „Ich habe ein reines Gewissen“

Erstveröffentlicht: 
02.05.2017

Gleich am ersten Tag des „Sachsensumpf“-Prozesses wird es emotional. Die Hauptangeklagte schildert ihre ganze seelische Pein, die sie seit zehn Jahren erduldet. So lange liegen die Vorwürfe gegen sie zurück.

 

Dresden. Am Ende steht der Rechtsstaat in Sachsen am Pranger. Als Simone H. - Hauptangeklagte im „Sachsensumpf“-Prozess - zum Abschluss des ersten Verhandlungstages am Dienstag eine Erklärung abgibt, schwingt ihre ganze Verzweiflung mit. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe sei sie „öffentlich hingerichtet“ und als „durchgeknallte Referatsleiterin“ mit „blindem Jagdeifer“ dargestellt worden, gibt die 58-Jährige zu Protokoll. Das Vorgehen gegen sie sei „meilenweit vom Rechtsstaat“ entfernt.

 

Das meiste trägt H. betont sachlich vor, manches emotional und pathetisch, zuletzt kämpft sie mit den Tränen: „Privat und beruflich fühle ich mich ruiniert.“ Das lange Verfahren habe ein „körperliches und gesundheitliches Wrack“ aus ihr gemacht: „Mein Leben ist mir in dieser Zeit entglitten.“ Zehn Jahre Sorge und Panik - niemals wirklich abschalten können, das alles habe sie schwer gezeichnet und ihr schlaflose Nächte beschert. Wer Simone H. so erlebt, nimmt ihr die Schilderungen ab.

 

Eigentlich schien der „Sachsensumpf“ bereits trockengelegt. Doch zehn Jahre nach der angeblichen Korruptionsaffäre blüht er im Frühling 2017 noch einmal auf - zumindest in juristischer Hinsicht. Früher war Simone H. im Landesamt für Verfassungsschutz für die Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK) verantwortlich. Jetzt sitzt die einstige Staatsanwältin auf der Anklagebank, weil sie Unschuldige verfolgt und Falschaussagen gemacht haben soll. 

 

Sachsensumpf-Affäre


Rückblick in das Jahr 2007: Damals wurde der beschauliche Freistaat in seinen Grundfesten geradezu erschüttert, als erste Meldungen über den „Sachsensumpf“ auftauchten. Politiker, Justizbeamte und Polizisten sollten in ein OK-Netzwerk verstrickt sein. Die Vorwürfe stammten aus 15 000 Blatt Akten des Geheimdienstes. Externe Prüfer nannten sie später aufgebauscht. Ermittlungen der Staatsanwälte erbrachten keine Hinweise auf Straftaten. Die Regierung legte den Fall zu den Akten. Die dunklen Wolken wichen dem Sonnenschein.

 

Dennoch schienen nicht alle Aspekte der vermeintlichen Affäre erhellt. Der Landtag setzte Untersuchungsausschüsse ein. Opposition und Regierung bewerteten die Aussagen von Zeugen meist kontrovers. H. wurde vorgehalten, ihre Anschuldigungen auf der Basis von Vermutungen und Gerüchten aufgebaut und dafür vor allem den Polizisten Georg W. als Quelle genutzt zu haben. Der sitzt wegen Beihilfe zur Verfolgung Unschuldiger und gleichfalls wegen Falschaussage auf der Anklagebank.

 

Die Generalstaatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass H. einen „strafrechtlichen Anfangsverdacht“ aus ihren Erkenntnissen ableitete, ohne dass deren wahre Herkunft aus der Gerüchteküche ersichtlich gewesen sei. Im Zentrum der damaligen Vorwürfe stand ein Mann, der noch heute in Sachsen ein hohes Justizamt bekleidet. Die Verdächtigungen gegen ihn und andere reichten von Bestechlichkeit, über Strafvereitelung im Amt, Vorteilsnahme und Nötigung bis hin zum sexuellen Missbrauch von Kindern.

 

H. wiederum bestreitet, nur von einer Quelle Informationen bezogen zu haben und stellt zudem klar, die Vorwürfe im Konjunktiv formuliert zu haben. Als Mitarbeiterin des Landesamtes für Verfassungsschutz sei die Verfolgung von Straftaten gar nicht ihre Aufgabe gewesen. Das dürfte ein zentraler Punkt im jetzigen Prozess werden. H. habe lediglich Daten übermittelt, sagt ihr Anwalt Thomas Giesen. Das sei aber kein Teil der Strafverfolgung: „Die beginnt erst dann, wenn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.“ Simone H. sieht das nicht anders: „Ich habe ein reines Gewissen. Ich bin unschuldig.“