Vor allem zur Dokumentation wollen wir hier einen Flyertext veröffentlichen, welcher am 1. Mai bei der Antifa-Demo "Das Hinterland aufwühlen - III. Weg stoppen!" in Gera verteilt und verlesen wurde. Wir danken allen Beteiligten für die Organisierung der antifaschistischen Proteste und selbstverständlich allen, die daran teilgenommen und nach Gera gekommen sind. Dennoch fordern wir alle Antifaschist*innen auf, sich von den verschiedenen Varianten des Staats-Antifaschismus zu distanzieren, sich selbst zu organisieren und eigene politische Inhalte zu entwickeln.
Für eine autonome Strömung in der Verworrenheit der antifaschistischen Bewegung! – ein anarchistischer Anstoß
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„Kommt am ersten Mai nach Gera!“ heißt es im Aufruf für die Antifa-Demo „Das Hinterland aufwühlen – III. Weg stoppen!“. Und Nur die Entwicklung eigener politischer Perspektiven kann uns voranbringen und wir sind hier. Wir sind hier, weil wir es als Notwendigkeit ansehen, vielleicht sogar, weil wir es als eine Art Verpflichtung empfinden, dem Faschismus unserer Zeit entgegen zu treten. Doch wir sind nicht alle: Viele Menschen fehlen, von denen wir uns wünschen, dass sie sich genauso gegen die Zustände dieser autoritärer werdenden Gesellschaft zur Wehr setzen, organisieren und politisch positionieren.
Als Anarchist*innen betonen wir, dass der 1. Mai einst der Kampftag der Arbeiter*innenklasse war und damit eine Herausforderung für die staatlich-kapitalistische Gesellschaft der Herrschenden darstellte. Auch wenn sich vieles verändert hat, knüpfen wir an diese Tradition an. Und wir wollen trotz allem die Hoffnung hoch halten: In der krisengeschüttelten Hülle der alten Gesellschaft beginnen wir eine neue aufzubauen. Darin sollen alle Menschen, in ihrer Unterschiedlichkeit, als Freie und Gleichwertige ihre Leben selbstbestimmt gestalten und in Würde und Solidarität miteinander ein gutes Leben führen können.
Diese vernünftige und menschenwürdige Einrichtung der Verhältnisse ist für uns keine abstrakte Theorie oder ein schöner Traum. Vielmehr sehen wir in unseren Beziehungen und Umgebungen, dort, wo wir stehen, was ein gutes Leben ausmacht und wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Wer aber ist dieses diffuse „Wir“ der antifaschistischen Bewegung? Was ist ihr gemeinsamer Nenner? Wo wollt ihr jeweils einzeln oder auch gemeinsam hin? Und wofür steht ihr selbst politisch, wenn euer Anspruch, tatsächlich eine bessere Gesellschaft aufzubauen nicht nur eine leere Phrase oder ein dogmatischer Glaubenssatz sein soll?
Wir kritisieren die Utopielosigkeit der radikalen Linken von denen wir Teil sind. Wir kritisieren den Zynismus, den Fatalismus, den Rückzug auf Szene-Identitäten, in die Feierkulturen oder in die Konformität. Wir kritisieren den unreflektierten Aktionismus. - All diese Erscheinungen sind Ausdruck der Erfahrung unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit. Und diese haben ihre Ursachen in den erdrückenden, herrschaftlichen Verhältnissen in denen wir leben.
Seit je her sind Gewalt, Hetze und Angst die Mittel autoritärer Politik – sei es die vermittelte und verschleierte Politik der Staaten oder zugespitzt die direkte Gewalt der Faschisten. Deswegen ist es wichtig, dass wir verstehen, dass unsere Ohnmachtsgefühle und unsere Orientierungslosigkeit Effekte des Autoritarismus und der Gewalttätigkeit in dieser Gesellschaft sind. An diesem Zustand etwas grundsätzlich zu verändern ist für alle von uns zweifellos sehr schwer.
Wir fordern von euch nicht ein, dass ihr alle politisch „noch mehr“ machen müsst. Doch zum Teil haben euer Mütter recht: Wofür steht ihr eigentlich?
Deswegen wollen wir euch die Fragen stellen: Wie geht ihr eurer politisches Handeln an? Und: Wofür wollt ihr euch bewegen und aktiv werden?
- Wollt ihr als Antifaschist*innen letztendlich einfach nur die bestehende schlechte Regierung verteidigen, weil die rechts-autoritäre Alternative mit Sicherheit noch wesentlich grauenhafter ist?
- Wollt ihr die menschenfreundlichen Aushängeschilder für die staatliche Politik sein, die sich selbstverständlich gegen Nazis richtet und im selben Zuge den Kapitalismus am Leben erhält, verschärft und somit in wertvolles und minderwertiges Leben einteilt, spätestens, wenn Leute abgeschoben werden?
- Wollt ihr euch von Politiker*innen instrumentalisieren lassen, die auch hier ihr Wahlvolk um sich scharen und die mühevolle und selbstlose Arbeit von Basisaktivist*innen in ihr politisches Kapital ummünzen?
Wir sind hier, weil Antifaschismus für uns kein Selbstzweck ist. Wir brauchen ihn nicht für unsere Szene-Identität und um uns zu versichern, dass wir auf der richtigen Seite stehen. Dem Faschismus in allen seinen Facetten stellen wir unsere gelebten Erfahrungen der Anarchie entgegen:
Von den Standpunkten der anti-hierarchischen Selbstorganisation freier, gleicher und miteinander verwobener Einzelner aus, richten wir uns gegen alle autoritären Tendenzen in dieser durch Gewalt zusammen gehaltenen Gesellschaft.
Dass wir uns dabei gegen Faschismus richten versteht sich von selbst. Doch es bringt uns nicht weiter, dies aus angsterfüllten Reflexen heraus zu tun. Denn Angst ist ein schlechter Ratgeber für emanzipatorische Politik.
Stattdessen wollen wir eine autonome und antiautoritäre emanzipatorische Bewegung aufbauen, die eigene politische Inhalte hat, sie schmackhaft formulieren und greifbar verwirklichen kann. Dazu könnt ihr euch ermächtigen, selbst Akzente setzen, einen Schritt vorangehen und den vorgegebenen Rahmen eingehegter und eingespielter Protestformen überwinden.
Keineswegs könnt ihr alles tun, wenn ihr euch das nur einredet... Mit Sicherheit habt ihr aber eure Möglichkeiten noch nicht kreativ ausgeschöpft und erweitert.
Es geht nicht nur um das, was wir tun, sondern wie wir es tun; und: wofür. Wir laden euch ein, dass Wagnis Anarchie einzugehen: Organisiert euch selbst, bildet Banden, schließt euch zusammen, löst euch vom Staats-Antifaschismus und versucht euer ganzes Leben in die eigenen Hände zu nehmen!
* * Für die soziale Revolution und einen autonomen Antifaschismus! * *
einige Anarchist*innen aus Thüringen