In der Nacht vom 12. zum 13. April 2017 haben wir mehrere Straßen in Berlin-Kreuzberg, die nach Militaristen benannt sind, mit neuen Namen versehen. Dazu haben wir die bestehenden Straßenschilder, die Admiral-Brücke und den U-Bahnhof Gneisenaustraße mit einem neuen Namensschild überklebt. Wir wollen mit der Aktion gegen den Militarismus im Straßenbild vorgehen. Namen wie Wrangel, Gneisenau und Adalbert stehen für den preußischen Militarismus, für Nationalismus und Krieg. August Neidhardt von Gneisenau und Friedrich von Wrangel waren preußische Generalfeldmarschälle, Heinrich Wilhelm Adalbert war Admiral und Oberbefehlshaber der preußischen Marine.
In Berlin, genauso wie an anderen Orten, sind Straßen und Plätze hauptsächlich nach Männern* benannt. In der männlich dominierten Geschichtsschreibung finden Frauen* kaum Erwähnung. Die patriarchale Geschichtsschreibung spiegelt sich in den Straßennamen der Städte wieder. Anstelle der Militaristen haben wir deshalb Namen von Frauen* gesetzt, die als Feministinnen und Kriegsgegnerinnen aktiv waren und zum Teil im kollektiven Gedächtnis wenig präsent sind.
Wir haben zum Beispiel die Adalbertstraße, die nach dem preußischen Militaristen Heinrich Wilhelm Adalbert benannt ist, in Anita-Augspurg-Straße umbenannt. Anita Augspurg war aktiv in der Frauenbewegung und an der Gründung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit 1915 beteiligt. An den überklebten Schildern haben wir jeweils Informationsblätter zu den Biographien der Frauen* und eine kurze Erläuterung zu den Militaristen angebracht. Weiter unten befinden sich die einzelnen Biographien und Fotos der Aktion.
Anita Augspurg (1857–1943) und Lida Gustava Heymann (1868–1943)
Lida
Gustava Heymann und Anita Augspurg haben, so wie viele andere
Rebellinnen und radikale Feministinnen der ersten Frauenbewegung, seit
Ende des 19. Jahrhunderts, in der wilhelminisch geprägten Männerwelt,
für Aufruhr und Bewegung gesorgt.
Der erste internationale
Frauen*kongress in Deutschland (Berlin 1896) wurde in einer Zeit
durchgeführt, in der in vielen Bereichen politisches
Organisierungsverbot herrschte. Anita Augspurg und Lida Heymann waren
unermüdliche Vorkämpferinnen ihrer Zeit. Ihr konsequenter Kampf um die
Rechte für Frauen*, die Organisierung von Frauen* und die Durchsetzung
des Frauen*wahlrechts, waren wichtig für alle nachfolgenden
Generationen. Sie haben tabuisierte Themen wie die Misshandlungen von
Frauen* vor allem in Bordellen öffentlich zum Thema gemacht und Zuhälter
und staatliche Profiteure angegriffen. Einige Anzeigen wegen Erregung
öffentlichen Ärgernisses und Vereinsverbote folgten. Anita, Lida und
andere kämpferische Frauen* setzten ihre Arbeit im aufgebauten
Frauen*zentrum Hamburg fort, starteten Kampagnen, und veröffentlichten
Aufsehen erregende Texte mit feministischen, pazifistischen und
basisdemokratischen Positionen.
Ihr hohes Engagement gegen den ersten
Weltkrieg stand in deutlichem Kontrast zu dem Druck der
Mehrheitsgesellschaft, die Kriegsbeteiligung und Patriotismus von allen
einforderte. Während die meisten Frauen* in Rüstungsbetrieben arbeiteten
und dem allgemeinen Kriegstaumel folgend, an der Fürsorgefront
Kriegshilfearbeit leisteten, verstärkten Anita, Lida und ihre
Mitstreiterinnen ihre teils heimlichen, teils offenen
Anti-Kriegs-Aktivitäten. Den Kriegstreibern war dies ein Dorn im Auge.
In
einer geheimen Mitteilung des Königlich Bayerischen Kriegsministeriums
von 1915 heißt es: „Die Organisation des weiblichen Teils der
Bevölkerung hat in dem letzten Jahrzehnt ganz außerordentliche
Fortschritte gemacht und der Krieg hat nur dazu gedient, die Leiter
dieser Bewegung zu gesteigerten Anstrengungen zu veranlassen. Neben eher
gemäßigten Frauen gibt es jene, die unter internationalem Einflusse
stehen und sich unter dem Wahlspruch sammeln „Krieg dem Kriege“. Sie
sehen in dem Weltkrieg den Beweis des „Bankrottes der bisherigen Kultur
des Mannes“. An deren Stelle wollen sie setzen eine ‚Kultur der Frau‘.“
Insbesondere
die internationale Mobilisierung und Zusammenarbeit der Frauen*gegen
den Krieg, die Protestaktionen und die selbstbewussten
Organisierungsschritte der Frauen*, wollten die bayerischen Behörden
unbedingt durch Einschüchterung und Verbote verhindern. Die Frauen*
ließen sich davon nicht beeindrucken. Lidas Ausweisung aus Bayern folgte
und so arbeitete sie einige Zeit aus dem Untergrund.
Da sich Anita
und Lida 1915 an der internationalen Frauen*Friedenskonferenz in Den
Haag beteiligten, wurden sie aus dem national-konservativen Bund
deutscher Frauenvereine ausgeschlossen. Sie gründeten aber bald darauf
die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit und unterstützten
die Arbeiterinnenstreiks bei den Geschützwerken der Krupp AG. Sie waren
beteiligt am basisdemokratischen Rätesystem 1918/1919 in Bayern und
versuchten Frauenräte aufzubauen. Mit der Forderung Hitler aus
Deutschland auszuweisen bezogen sie bereits 1923 deutlich Stellung gegen
den aufkommenden Faschismus und setzten dies auch bis 1943 fort.
Flora Tristan (1803–1844)
Flora
Tristan wurde 1803 in Paris geboren. Sie war eine bedeutende
Sozialistin, Feministin und Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts. Mit
17 Jahren heiratete sie ihren Arbeitgeber, Andre-Francois Chazal, um der
Armut zu entkommen. 1825 floh sie vor ihrem gewalttätigen Ehemann. Er
verfolgte sie und verübte 1838 einen Mordanschlag auf sie, den sie nur
knapp überlebte. Erst durch den Anschlag erhielt sie das Recht zur
Scheidung. Sie kämpfte für die Verbesserungen der Lebensbedingungen von
Arbeitern und insbesondere Arbeiterinnen. Sie schrieb Reportagen über
Peru und London, in denen die Armut und das soziale Elend der
Arbeiter*innenklasse dargestellt werden. Sie beschreibt auch die brutale
Realität der Frauen- und Kinderprostitution zu dieser Zeit. Sie stellte
bereits 1843 in ihrem Hauptwerk „Die Arbeiterunion“ die Forderung auf:
„Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ – vier Jahre,
bevor dieser Satz – um die Arbeiterinnen gekürzt – im Kommunistischen
Manifest wieder auftaucht. 1844 starb sie an Typhus.
Marie Diana Equi (1872–1952)
Marie
Diana Equi war eine US-amerikanische Frauenrechtlerin,
Schwangerschaftsabruchsbefürworterin, Ärztin, Kriegsgegnerin im I. und
II. Weltkrieg, Anarchistin und ihr Leben lang offen lebende Lesbe.
Mit
21 Jahren machte sie Schlagzeilen in der Presse: „Nachdem der
Arbeitgeber ihrer Freundin sich weigerte den Lohn auszuzahlen, drohte
Marie ihm öffentlich auszupeitschen. Weil die Drohung nicht fruchtete,
wartete sie mit ihrer Peitsche vor seinem Büro und setzte ihre
Ankündigung um, wofür sie von den Bewohner*innen der Stadt und den
Medien bewundert und unterstützt wurde. Sie verlosten die Peitsche und
übergaben so der Freundin von Marie ihr zustehendes Geld.“
Marie
schloss als eine der ersten Frauen ihr Studium als Doktor der Medizin
ab. In ihrer Praxis ermöglichte sie es hauptsächlich Frauen der
Arbeiter*innenklasse den Zugang zu Verhütungsmitteln und führte auch
Schwangerschaftsabrüche durch.
1913 geriet sie auf einem Frauenstreik
zum ersten Mal in Haft und wurde Opfer brutaler Polizeigewalt. Dieses
Erlebnis führte zu einer konsequenten Ablehnung des Kapitalismus und
machte sie zur Anarchistin und Mitglied der American Union Against
Militarism. Bei einer Demonstration von Kriegsdienstbefürworter*innen
wurde sie 1916 für das Entrollen eines Transparentes mit der Aufschrift
„Bereitet euch vor zu sterben“ verhaftet. Für ihre Antikriegsrede auf
einer IWW-Konferenz (Industrial Workers of the World) im Jahr 1918 wurde
sie wegen Verhetzung zu drei Jahren Haft verurteilt – sie war wohl auch
da kein angenehmer Häftling, sondern sorgte auch im Knast für Unruhe.
Trotz eines Herzinfarkts, der sie ans Bett fesselte, nahm sie in den
1940er Jahren weiterhin an Antikriegsdemonstrationen teil.