Streit um Compact auf der Leipziger Buchmesse

Erstveröffentlicht: 
30.03.2017

Die Leipziger Buchmesse begrüßte ihre Besucher mit einer klaren Botschaft: „Für das Wort und die Freiheit – #FreeTheWords“, hieß es auf meterlangen Transparenten und unzähligen Plakaten. In Halle fünf galt dieser Grundsatz jedoch nicht – hier legte das Sicherheitspersonal des Compact-Magazins die Grenzen der Berichterstattung fest. Immer wieder wurden Journalisten eingeschüchtert, bedroht und rabiat der Halle verwiesen.

 

Samstag, 17 Uhr, im Sachbuchforum, Halle fünf der Leipziger Buchmesse: Martin Müller-Mertens, Chef vom Dienst bei Compact, und Peter Feist, Reiseführerautor und Philosoph aus dem Umfeld des Magazins, präsentieren eine Sonderausgabe. Bevor das erste Wort zum Heft fällt, beginnt Feist mit der obligatorischen Medienschelte: Entgegen vieler Berichte frage man lediglich nach den Ursachen der Flüchtlingskrise und wolle der Opfer gedenken, die sie hervorgebracht habe. Nicht einmal der Titel des Heftes – „Gibt es eine Lösung?“ – sei richtig zitiert worden. Feist erntet zustimmendes Nicken von den etwa 25 Zuhörern. Dass Compact die Lesung unter dem Titel „Asyl. Die Toten“ in das Programmheft der Buchmesse eintragen ließ, verschweigt er.

 

In der anschließenden Diskussion wird die Heftpremiere zur Nebensache. Vielmehr breiten die Autoren im Zwiegespräch ihre Lesart der gegenwärtigen politischen Diskussionen aus: Demokratie in Deutschland? Nicht mit der Autokratin Angela Merkel. Die Grenzöffnung für Geflüchtete 2015? Millionenfacher Rechtsbruch und Hochverrat. Deniz Yücel? Keine Solidarität mit ehemaligen Jungle World- und taz-Autoren. Dass Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer vor seiner politischen 180-Grad-Wende ebenfalls für die Jungle World schrieb und auch für den Freitag und das Neue Deutschland arbeitete, enthält Martin Müller-Mertens seinem Publikum vor.

Abseits der Bühne: Einschüchterungen und Schläge


Wie es die thematische Blaupause für Pegida und AfD selbst mit der Pressefreiheit hält, zeigt sich am Rande der Lesung. Ein Journalist fotografiert die beiden Autoren auf der Bühne, ausliegende Compact-Exemplare und den Stand des Magazins. Zwei schwarz gekleidete Männer im Türsteherformat bedrängen ihn und fordern das Löschen der Bilder. Als der Journalist auf die Pressezugehörigkeit verweist, seine Kamera schützt und weinige Schritte zurücktreten will, werden die nicht als Sicherheitspersonal gekennzeichneten Männer übergriffig: Sie nehmen den Fotografen in den Schwitzkasten, schlagen auf seine Kamera ein und zerren ihn aus einem Seiteneingang der Halle.

 

Am Vortag spielten sich ähnliche Szenen ab: Am Rande einer anderen Diskussionsrunde des Magazins wurden zwei Journalisten vom Sicherheitspersonal des Standes bedrängt. Einer der Fotografen brach die Arbeit eingeschüchtert ab, ein anderer wurde minutenlang durch die Halle verfolgt. Letztlich erklärte er sich bereit, dass Material zu löschen. Nach eigenen Angaben des erfahrenen, offiziell akkreditierten Journalisten hatte auch er lediglich die Personen auf der Bühne und den Compact-Stand abgelichtet.

 

2/2 Compact unterbindet mit eigenen Sicherheitskräften Berichterstattung durch Medien. Journalisten z.T. physisch angegangen. #LBM17

— StraßengezwitscherLE (@coverage_LE) March 25, 2017

 

 

Eine Stellungnahme zu den Vorfällen lehnte die Compact-Geschäftsleitung ab. Anders die Leipziger Messe GmbH. Auf Anfrage wird erklärt, dass von Standbetreibern engagiertes Sicherheitspersonal außerhalb der eigenen Ausstellungsfläche „keine Weisungsbefugnisse“ hat. Verstöße gegen die Hausordnung könnten durchaus mit Hausverboten geahndet werden, jedoch nur nach einer Bewertung des hauseigenen Sicherheitsbeauftragten. Auf die Frage nach den Grenzen der Berichterstattung offiziell akkreditierter Journalisten, erklärt die Messe weiter: „Journalisten haben alle Möglichkeiten der Berichterstattungen. Dem Persönlichkeitsrecht entsprechend, haben wir das Recht am eigenen Bild in der Hausordnung der Leipziger Messe GmbH berücksichtigt“. Man nehme die Vorfälle sehr ernst und rate den Betroffenen, Anzeige bei der Polizei zu erstatten.

 

Genau das kam für den aus der Halle geworfenen freien Journalisten jedoch nicht in Frage. Als er nach einem Gespräch mit der von umstehenden Messebesuchern alarmierten Polizei den Heimweg antrat, erklärte er auf Nachfrage: „Anzeige? Nein. Ich möchte nicht, dass er an meine Daten kommt“. Gemeint ist Sven Liebich, fremdenfeindlicher Aktivist aus Halle mit neonazistischer Vergangenheit. Er konnte während der Buchmesse umfänglich und ungestört über die Veranstaltungen des Compact-Magazins berichten. So streamte er beispielsweise per Facebook und Laptop Liveaufnahmen einer Protestaktion des Bündnisses Verlage gegen Rechts – während er auf dem Stand stehend immer wieder „Heil Merkel“ brüllte.

 

Auch die letzten Szenen des Übergriffs auf den Journalisten, den er im Video als „Schabe“ und „Drecklaus“ beschimpft, konnte auf seiner Facebookseite verfolgt werden. Die Bedenken des Fotografen gegen eine Anzeige bei der Polizei wegen möglicher anschließender Veröffentlichung persönlicher Daten durch Liebich scheinen nicht unbegründet: Nach MDR-Recherchen veröffentlichte er die Anschrift eines Studenten, der sich beim Bündniss Halle gegen Rechts engagiert. Im Anschluss beklebten Unbekannte dessen Briefkasten mit rechtsextremistischen Drohbotschaften.