Statement von Pressesprecher Andreas Loepki
Der Einsatz am 18. März 2017 wirft seine Schatten voraus. In Anbetracht des bevorstehenden Demonstrationsgeschehens meldet sich Andreas Loepki, Pressesprecher der Polizeidirektion Leipzig, zu Wort.
Wie ist die Erwartungshaltung der Leipziger Polizei?
Obwohl es sich um klar umrissene Grundrechte handelt, ist die Polizei
einmal mehr in der misslichen Lage, der Meinungs- und der
Versammlungsfreiheit zweier konträrer Lager gleichzeitig zur praktischen
Geltung verhelfen zu müssen und dabei friedliche Zustände abzusichern.
Wie seinerzeit am 12. Dezember 2015 tritt hier äußerst erschwerend
hinzu, dass Rechtsextreme nicht zufällig durch zwei eher linksalternativ
geprägte Stadtviertel ziehen wollen und sich kaum Mühe geben, ihre
provozierende Absicht zu verschleiern. Zum Beispiel ist wohl wieder die
„Brigade Halle“ beteiligt, welche schon damals formulierte, „Connewitz
in Schutt und Asche legen“ zu wollen. Sie wollen damit eindeutig Gewalt
von linker Seite auslösen, um hernach – selbst eben nicht minder
gewaltbereit – behaupten zu können, das eigentliche Problem unserer
Gesellschaft wäre auf linker Seite zu verorten. Und leider werden
Linksextreme, abseits des legitimen und friedlichen Gegenprotests, diese
Provokation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur zu gern
zum Anlass nehmen, um ihrer eigenen und primitiven Gewaltaffinität das
Deckmäntelchen des politischen Kampfes überzuziehen.
Wie auch im
Vorfeld des 12. Dezember 2015 kursieren bereits jetzt diverse
Gewaltankündigungen bzw. Aufrufe, die auf Gewalt schließen lassen. Deren
Ursprünge sind rechts wie links zu finden, wobei daraus schon heute
ersichtlich ist, dass auch die Polizei – mindestens für das
linksextremistische Lager – ein „angriffswertes“ Ziel darstellt.
Folglich werden abermals Polizeibeamte, also junge Frauen und Männer der
geschlossenen Einheiten, die sich am Morgen als Mütter und Väter in
vielen Fällen mit einem Kuss von ihren Kindern und Angehörigen
verabschiedet haben, in der Gefahr stehen, dem Bewurf hunderter
Pflastersteine ausgesetzt und entmenschlicht zu werden.
Wenn wir
dieses Szenario so deutlich umreißen, malen wir nicht den Teufel an die
Wand, sondern benennen schlicht die Wahrheit beim Namen. Es braucht im
Nachhinein also niemand behaupten, dieses oder jenes wäre überraschend
eingetreten.
Sollte das Versammlungsgeschehen dann im Interesse aller nicht lieber verboten werden?
Vor dem Hintergrund unserer Gefahrenprognose würde jeder Polizeibeamte
eine solche Entscheidung erleichtert begrüßen. Aber jeder Polizeibeamte
hätte hernach trotzdem Bauchschmerzen, denn ein Verbot kann keine
wirkliche Lösung sein. Es ist einer Demokratie und einem Rechtsstaat
nicht zuträglich, wenn es Extremisten – gleich welcher Färbung –
vermögen, unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Und wer definiert
überhaupt, bis zu welchem Punkt eine Meinung unliebsam ist und
unterdrückt werden darf? Wer bestimmt das Meinungsdiktat?
Einem
Verbot wohnen also erhebliche Gefahren für die allgemeinen Grundsätze
unserer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft inne. Genau
deshalb hat die Rechtsprechung sehr hohe Hürden definiert und die
Exekutive damit verpflichtet, alles zu unternehmen, um den
prognostizierten Gefahren durch Vorkehrungen zu begegnen. Dabei
überwiegen die zu schützenden Grundrechte im Übrigen auch regelmäßig
fiskalische Gesichtspunkte.
Auf welche Einsatzdimension müssen sich die Leipziger einstellen?
Aus einsatztaktischen Gründen berichtet die Polizei vorab regelmäßig
nicht darüber, in welchem konkreten Umfang wir Kräfte zum Einsatz
bringen. Ich kann aber verraten, dass selbst unsere Minimalanforderung
einen der größten Polizeieinsätze der jüngeren Vergangenheit nach sich
ziehen würde, der nicht allein aus Kräften der sächsischen Polizei zu
stemmen wäre.
Aufgrund der noch ausstehenden Bescheide seitens
der Versammlungsbehörde sind mir auch noch keine genauen Angaben zu
Einschränkungen möglich. Doch es liegt nach jetzigem Kenntnisstand klar
auf der Hand, mindestens im Süden der Stadt Leipzig mit Sperrungen,
Verkehrsumleitungen und ausgesetztem Personennahverkehr rechnen zu
müssen.
Wird Bürgern von einer Teilnahme an den Versammlungen bzw. an den Protesten abgeraten?
Nein, dies tun wir ausdrücklich nicht. Es muss möglich sein und bleiben,
Meinungen innerhalb der bestehenden Grenzen friedlich zu artikulieren
und hierfür einzutreten. Und es muss möglich bleiben, extremistischem
Gedankengut entgegenzutreten.
Damit meinen wir jedoch wiederum
explizit jedwedes extremistische Gedankengut und Handeln. Es kann also
nicht angehen, dass steinewerfende Chaoten inmitten des vermeintlich
friedlichen Protests agieren können und dort Schutz durch Masse
erfahren. Hier erwarten wir eine umgehende räumliche Distanzierung –
auch im eigenen Interesse. Denn wer eine Solidarisierung am
Landfriedensbruch für gerechtfertigt hält oder seine nackte Schaulust
befriedigen will, soll dann bitte später nicht darüber klagen, wenn er
seitens der Polizei in der Anwendung unmittelbaren Zwangs betroffen
wurde. Diesbezüglich lasse ich auch kein Argument gelten, wonach die
Polizei mit dieser Bitte angeblich die Örtlichkeiten des friedlichen
Protests der Auflösung preisgibt. Wo Steine fliegen, Vermummte
Barrikaden bauen und Mülltonnen anzünden, kann es keinen friedlichen
Protest an gleicher Stelle geben. Wer also mit dem Feuer oder in dessen
unmittelbarer Nähe spielen muss, kann sich eben auch mal die Finger
verbrennen. Er sollte dann aber nicht jammern.
Gibt es allgemeine Verhaltenstipps für Versammlungsteilnehmer, Anwohner, Passanten oder Verkehrsteilnehmer?
Zunächst bitte ich alle um Verständnis für die gefahrenabwehrenden
Maßnahmen der Polizei. Es wird leider unvermeidbar sein, Sperren zu
errichten und an bestimmten Stellen den Durchlass zu verweigern. Somit
müssen sich die Bürger auf Umwege und somit auf einen zeitlichen
Mehraufwand einstellen. Die vor Ort handelnden Beamten werden
entsprechend sensibilisiert sein und im Rahmen der objektiven
Möglichkeiten Auskunft zu Umleitungen erteilen, aber angesichts von
einer Vielzahl auswärtiger Kräfte und angesichts eines wahrscheinlich
sehr dynamischen Einsatzverlaufs kann ich keine Garantie geben, dass die
Auskünfte überhaupt oder in einem besonders freundlichen Ton erfolgen
können bzw. inhaltlich immer absolut richtig sind. Letztlich wird es
vielmals bei einem empfehlenden Charakter bleiben müssen.
Wer am
18. März 2017 nicht am Versammlungsgeschehen teilnehmen möchte und eine
Anwesenheit im fraglichen Bereich vermeiden kann, der sollte dies bitte
auch tun. In meinem Bekanntenkreis gibt es mehrere Personen, die in der
Südvorstadt oder in Connewitz wohnen und die mir signalisiert haben, es
von sich aus so zu handhaben. Dieser Fakt und der Umstand, eine solche
Bitte äußern zu müssen, stimmt mich übrigens nachdenklich, denn
Versammlungsfreiheit bedeutet im Wesentlichen, eine Meinung nach außen
und an die Öffentlichkeit zu richten. Es sollte daher eigentlich nicht
nötig werden, eben diese Öffentlichkeit zu Meidungsverhalten
aufzufordern.
Und obwohl ich es in der Antwort zur vorherigen
Frage schon einmal zum Ausdruck gebracht habe, wiederhole ich es gern,
denn es ist besonders wichtig: An einem Ort, an welchem Straftäter einen
unübersehbaren Landfriedensbruch begehen, kann es schon nach gesundem
Menschenverstand nicht gleichzeitig einen friedlichen Protest und auch
keine Solidarisierung geben. Es liegt hier vorrangig in der
Verantwortung der Versammlungsleiter und -teilnehmer, diesen Ort
umgehend zu verlassen. Gleiches gilt für sonstige Passanten, wobei sich
die einzuschlagende Richtung aufgrund der umgebenden Bebauung sowie
aufgrund der klar zu erkennenden Konfrontationslinie zwischen
Extremisten und Polizei regelmäßig von selbst ergibt. Und da der Mensch
grundsätzlich auf Flucht programmiert ist, betrachte ich all jene, die
dort staunend oder gar videofilmend verharren, schlicht und einfach als
sensationslüstern. Sollte in diesem Personenkreis der Anspruch bestehen,
die Polizei habe mit ihren Kräften und Mitteln innerhalb eines dem 12.
Dezember 2015 vergleichbaren Szenarios die tatsächliche Möglichkeit,
selektiv zu agieren und nur auf aktive Störer/Straftäter einzuwirken, so
wird u. a. die Lektüre des § 32 Sächsisches Polizeigesetz wärmstens
empfohlen.
Sie sehen eine nicht unerhebliche Verantwortung auf den Schultern der Versammlungsleiter und Versammlungsteilnehmer im Gegenprotest. Warum?
Nach meiner Auffassung erschöpft sich deren Verantwortung nicht darin,
Protest gegen Rechtsextreme auf die Straße zu tragen, sondern reicht
mindestens in moralischer Hinsicht weit über festgeschriebene Pflichten
aus dem Versammlungsrecht hinaus. Ich sehe diesen Personenkreis, der
sich völlig zu Recht gegen Rechtsextremismus, Rassismus,
Menschenverachtung und Gewalt positioniert, eben auch in der Pflicht,
sich gegen jeglichen Extremismus auszusprechen – und zwar aktiv.
Doch
bei der dargestellten Ausgangslage verwundert es, wenn derzeit kaum
eine der Stimmen zu vernehmen ist, die sich sonst persönlich und
lautstark im (Gegen-) Protest engagiert. Bei aller Berechtigung und
Notwendigkeit, behördliches Handeln über Medien-Statements, Beschwerden,
Strafanzeigen oder Kleine Anfragen kritisch zu bewerten und zu
hinterfragen, wird – wenn nur dies erfolgt – eine verkürzte
Verantwortung gelebt.
Wo bleiben JETZT mäßigende Worte, Aufforderungen zu Gewaltlosigkeit und Distanzierungserklärungen?
Leider
überrascht uns dies nicht wirklich, denn hier mussten wir in der
Vergangenheit und speziell rund um den 12. Dezember 2015 schon sehr viel
Lehrgeld zahlen. Dennoch bleibt es bis heute eine bodenlose Frechheit,
wenn sich Einzelpersonen aus diesem Kreise damals beispielsweise
erdreisteten, den Behörden öffentlich den Vorwurf zu machen, sie haben
die Gewalttätigkeiten heraufbeschworen, weil sie legitimen Protest in
Hör- und Sichtweite „verunmöglicht“ hätten. Und es ist ein bezeichnender
Ausdruck des eigenen Distanzverständnisses, wenn beispielsweise ein
Jahr danach in einem Fernsehinterview verharmlosend ausgesagt wird, die
Gewalt habe den friedlichen Protest „ein Stück weit diskreditiert“.
Nach
unserer festen Überzeugung kann der Zweck niemals die Mittel heiligen
und es ist mithin nicht akzeptabel, Linksextremisten und ihre Gewalt
direkt oder indirekt zu hofieren. Es gibt keinen guten Extremismus – er
ist immer und allerorten abzulehnen. Das vermissen wir absolut.
Wir brauchen aber auch keine nachträglichen Schulterklopfer.
Was ist mit den Schulterklopfern gemeint?
Stadt und Polizeidirektion Leipzig stehen bekanntlich nicht zum ersten
Mal vor einer derartigen Versammlungslage. Die Polizei wird wieder die
Trennlinie bilden und sich wieder von selbsternannten Kennern des
Versammlungsrechts anhören müssen, sie würde sich falsch verhalten, wenn
sie einen rechten Aufzug sichert. Von der anderen Seite wird wieder der
Vorwurf erhoben werden, man sei auf dem linken Auge blind. Und zudem
ist seit Jahren bekannt, dass Leipzig ein örtlicher Schwerpunkt des
Linksextremismus ist und der uns entgegenschlagende Hass – siehe 12.
Dezember 2015 – kommt nun einmal verstärkt aus dieser Richtung. Dieses
Wissen existiert in der Gesellschaft, in Familien, Sportvereinen, in
Schulen, Betrieben, in der Kirche, der Politik, an der Supermarktkasse
und beim Friseur.
Jeder weiß es, aber es erfolgen keine
spürbaren Schritte gegen diese Zustände. Damit müssen wir als Polizei
leben, aber wir können dann auch gern darauf verzichten, wenn sich die
üblichen Verdächtigen danach völlig erschrocken zu Wort melden und uns
ihre volle Unterstützung zusichern. Wenn die volle Unterstützung nach
drei Tagen in Vergessen mündet und man den öffentlichen Diskurs mit
Meinungsführern scheut, dann werden wieder und wieder Angriffe auf
Beamte erfolgen. Phrasen helfen da keinen Deut.
Sind Sie am 18. März 2017 vor Ort?
Ich werde im Dienst sein und mich in der Nähe des Versammlungsgeschehens aufhalten, es in der Hoffnung auf einen friedlichen Verlauf beobachten, Bürgerfragen beantworten, wahrscheinlich wieder das ein oder andere Streitgespräch führen, mich Beschimpfungen aussetzen und Medienauskünfte geben. Danach werde ich irgendwann wieder im Büro sitzen und darüber nachdenken, ob die Mütter und Väter des Grundgesetzes schon solche Bilder vor Augen hatten, als sie das Recht formulierten, sich „friedlich und ohne Waffen“ zu versammeln und warum es dazu eigentlich Polizei braucht.