GdP-Chef: Überwachung von Flüchtlings-Handys höhlt Grundrecht aus

Erstveröffentlicht: 
21.02.2017

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll künftig in bestimmten Fällen die Daten der Handys von Asylbewerbern auslesen dürfen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird gerade auf Bundesebene vorbereitet. Thüringen24 sprach mit Kai Christ, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Thüringen, über die Pläne.

 

Mehr Überwachungsmöglichkeiten und weniger Raum für Heimlichkeiten - begrüßen Sie als Vertreter der Thüringer Polizisten den neuen Vorstoß?


Kai Christ: Ich sehe die Initiative durchaus kritisch: Wir haben bestehende gesetzliche Regelungen, wann und wie wir Telefondaten speichern und auswerten können und dürfen. Das ist streng geregelt. Und schon jetzt dürfen wir, wenn zum Beispiel ein Anfangsverdacht für eine mögliche terroristische Gefahr droht, problemlos die Telekommunikation einer Person überwachen. Doch was zum Beispiel den Tatbestand des Erschleichens von Leistungen angeht, bezweifele ich, dass dies einen solch gravierenden Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre rechtfertigt.

 

Bedenklich ist doch aber auch die Tatsache, dass sich hier Personen möglicherweise illegal aufhalten, mehrfach Leistungen beziehen können oder in anderen Fällen durch falsche Angaben einer Abschiebung entgehen.


Wenn die Erfüllung von bestimmten Straftatbeständen vorliegt, dann kann bereits nach jetziger Gesetzeslage die Telekommunikation überprüft, gespeichert und ausgewertet werden. Doch wenn lediglich ein Anfangsverdacht für eine Straftat von niedrigerem Gewicht besteht, dann darf man dafür nicht pauschal einen solch großen Grundrechtseingriff durchführen. Ich beziehe mich hier auf das Thüringer Polizeiaufgabengesetz. Und das besagt, dass nur dann die Telekommunikation überwacht werden darf, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, für Leben, Gesundheit oder die Freiheit einer Person, oder zur Abwehr einer Gemeingefahr für Sachen erforderlich ist. Eben weil dieses Grundrecht ein solch hohes Gut ist, müssen wir uns daran halten und nur im ganz besonderen Fall die Freiheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes beschränken.

 

Könnte die Thüringer Polizei denn auch von einer solchen Gesetzesnovelle profitieren?


Zuständig für die Umsetzung einer solchen Gesetzesänderung wäre wohl das Landeskriminalamt. Es wäre aber zunächst zu prüfen, ob wir die personellen und materiellen Ressourcen haben, um eine solche Überwachung im großen Stil durchzuführen. Und da bin ich mir weder bei dem einen, noch bei dem anderen sicher ...

 

Nun handelt es sich beim BAMF ja um ein Bundesamt, jedoch nicht um eine Polizeidienststelle. Wenn Mitarbeiter die Handys von Asylbewerbern kontrollieren, ist das dort dann ähnlich problematisch?


Natürlich braucht auch das BAMF die nötigen rechtlichen Grundlagen, um solche Maßnahmen umzusetzen und genauso wie wir bräuchte auch das BAMF die personellen und materielle Ressourcen - doch wenn ich mir ansehe, dass das BAMF ja schon mit der schlichten Erfassung der Asylanträge überfordert war, sorgt eine solche große zusätzliche Aufgabe zumindest bei mir für ein großes Fragezeichen.

 

Wie bewertet die GdP die Registrierung in den Jahren 2015/16? Sind dabei grobe Fehler unterlaufen?


Natürlich wurden dort Fehler gemacht, schlicht aus Kapazitätsgründen. Im Grunde war jeder Asylbewerber, der in München mit dem Zug ankam und dort aber nicht ordnungsgemäß registriert werden konnte und anschließend trotzdem mit dem Zug in andere Bundesländer unterwegs war, spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Weiterreise illegal im Bundesgebiet unterwegs. Und inwieweit diejenigen, die zum Beispiel nach Thüringen gekommen sind, dann tatsächlich registriert wurden oder aber wenige Tage später wieder verschwunden sind, etwa zu Verwandten, in andere Bundesländer sowie EU-Länder oder wohin auch immer, das weiß im Moment tatsächlich niemand ganz sicher. Das ist die Situation, mit der wir momentan in Deutschland umzugehen haben.

 

Hätte man diesen Missstand nicht verhindern können - ja, verhindern müssen? Und warum wurden damals nicht beispielsweise Fingerabdrücke genommen, um Doppel-Identitäten zu verhindern?


Es gab einfach Zeiten, da war eine Registrierung, so wie sie normalerweise durchgeführt wird, nicht möglich. Und da reden wir noch gar nicht davon, dass zusätzlich die Hardware für die Sicherung von Fingerabdrücke vor Ort angeschafft hätte werden müssen - da sind im Stundentakt Menschen hier angekommen und die haben alle verfügbaren Kapazitäten des BAMF und der Bundespolizei einfach überfordert. Ich erinnere mich noch an den Tag, als ein Zug mit 600 Flüchtlingen in Saalfeld ankam, wo auch Ministerpräsident Bodo Ramelow anwesend war. Genau an diesem Tag sind genau in diesem Moment - rein rechtlich - etwa 600 Menschen mit einem illegalem Aufenthaltsstatus in Thüringen angekommen und kein Mensch hat sofort damit begonnen, eine Registrierung vorzunehmen. Es war personell einfach unmöglich. Man hat das dann stetig in der Folge der Ereignisse nachgeholt.

 

Und es gab keine Alternative?


Doch, natürlich - zumindest in der Theorie: Der einzig gangbare Weg wäre gewesen, riesige Zeltlager vor München zu errichten und dann dort die Asyl-Antragsteller nach und nach abzuarbeiten. Zehntausende hätten dort Platz finden müssen. Doch das wäre genau deshalb keine Option gewesen, weil es unmenschlich ist.

 

Momentan gilt, dass die Handy-Überprüfung eines Asylbewerbers mit seiner Zustimmung möglich ist. Kann das nicht auch einen Eingriff in ein Grundrecht darstellen?


Nein, das ist völlig in Ordnung, wenn der Betroffene zustimmt und seine Telefondaten zur Verfügung stellt. Bei uns in der Polizeiausbildung gibt es ein geflügeltes Wort: "Dem, der will, kann kein Unrecht gestehen."

 

Wie bewertet die GdP Thüringen die übrige Gesetzeslage in Deutschland? Fehlen den Polizisten Handlungsspielräume, um auf die aktuelle Sicherheitslage zu reagieren und gegen neue Formen der Kriminalität wirksam zu werden?


Also, was das reine Aufzeichnen und Auswerten von Daten aus der Telekommunikation angeht, ist der Spielraum groß genug. Natürlich wird es auch Kollegen geben, die eine Ausweitung der Telefonüberwachung begrüßen würden. Doch ich glaube, eine Verabschiedung der nun diskutierten Novelle hätte für den Dienst des normalen Streifenpolizisten tatsächlich keinen nennenswerten Einfluss. Wo die Gewerkschaften der Polizei aller Länder sich allerdings einig sind und noch Nachholbedarf anmelden, ist beim gesetzlichen Rahmen für die Datenspeicherung. Dort braucht die Polizei, um möglichen terroristischen Angriffen effektiver vorzubeugen, einen größeren Spielraum. Wir fühlen uns da momentan zu stark beschnitten. Doch das wird momentan auf Bundesebene diskutiert.

Ich sehe übrigens noch eine weitere Gefahr, die durch die neue Gesetzesinitiative zur Handy-Überwachung droht.

 

Welche ist das?


Es herrscht ein gesellschaftlicher Konsens, dass wir im Namen der akuten Terrorbekämpfung selbstverständlich Zugriff auf die Telefone der mutmaßlichen Terroristen haben sollten. Doch wenn nun jeder Asylbewerber wegen möglicher Leistungserschleichung damit rechnen muss, dass sein Smartphone überwacht wird, liegt die Idee nahe, dass es nicht bei dieser Personengruppe bleibt.

 

Sie meinen, dass ein möglicher Dammbruch droht?


Wenn wegen Leistungserschleichung Telefoniedaten erfasst werden können, dann lässt sich diese Idee genauso auf jeden deutschen Leistungsempfänger erweitern. Auch dort könnte man ja überprüfen, ob der nicht möglicherweise Leistungen erschleicht. Das ist ein schmaler Weg. Und das Ergebnis einer derartigen Reform ist womöglich eben auch dazu geeignet, gegen den geneigten deutschen Bürger eingesetzt zu werden. Ich verstehe Polizei-Kollegen, die das jetzt so machen wollen. Doch wir haben ganz klare Grundregeln. Und die sind nicht ohne Grund erlassen worden. Diese Regeln gelten egal für wen - ob für die Polizei oder etwa das Landesamt für Verfassungsschutz. Zugegeben, die Grundrechte und wo sie eingeschränkt werden dürfen, das ist manchmal auslegungsfähig, aber bei der Telekommunikation ist das ganz klar festgeschrieben und genau diese klare Definition aufzuweichen, öffnet ganz anderen Dingen Tür und Tor.

 

Das mag sicher stimmen. Aber trägt der Vergleich? Der typische Hartz-IV-Empfänger hat nur die eine Identität. Die ist auch dem Amt bekannt. Klar, er kann beim Wohnort oder persönlichen Daten falsche Angaben machen und damit ein paar Euro erschleichen. Aber er wird sich nicht ein Dutzend Identitäten zulegen können, um im großen Stil mehrfach Bezüge einzustreichen. Außerdem wird er nicht wie der Berliner Attentäter Anis Amri mit über einem Dutzend Identitäten den Ermittlern auf der Nase herumtanzen.


Die Frage ist doch aber - und wird diese Gesetzesinitiative nicht genau deshalb angestrebt: Was ist seine richtige Identität? Und ob darüber die Handyüberprüfung eine Auskunft gibt? Womöglich. Wir reden bei Anis Amri aber auch über einen Terroristen, der wahrscheinlich für die Vorbereitung seiner Tat seine Identität verschleiert hat.

 

Und wer sollte sich mit der Leistungserschleichung befassen?


Was die Mehrfachbezüge anbelangt, gibt es schon jetzt die Möglichkeit gegen diese Form des Betrugs vorzugehen. Da ist die Verwaltung in der Pflicht. Zugriffsmöglichkeiten für die Strafverfolgung sind immer dann gegeben, wenn die Behörde den Anfangsverdacht hat, dass sich hier vielleicht jemand mit verschiedenen Identitäten vorstellt.

 

Wenn das Gesetz nun nur begrenzt wirksam ist und dann auch noch nur auf Kosten eines starken Grundrechtseingriffes, weswegen sollte die Bundesregierung dieses dann beschließen?


Die Bundesregierung sieht sich mit verschiedenen Vorwürfen konfrontiert: Es gibt medial aufgearbeitete Sachverhalte, wo jemand tatsächlich ein, zwei, fünf oder vielleicht auch 20 Identitäten benutzt, um Vater Staat zu betrügen - aber das ist immer noch ein Bruchteil von etwa einer Million Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr zu uns gekommen sind. Und genau in dieser Diskussion befindet sich jetzt die Bundesregierung. Dieser Frage muss sich die Verwaltung stellen. Ist hier überhaupt die Polizei zuständig? Als Polizeigewerkschafter sehe ich die Thematik Telekommunikationsüberwachung aus dem streng formulierten Polizeiaufgabengesetz heraus. Klar wäre es gut, den einen oder anderen besser überwachen zu können. Aber ich denke noch mit Wehmut zurück an eine andere Diskussion um Überwachung, die wir in Thüringen hatten. Nämlich da, wo unser Dienstherr möglicherweise Telefondaten von uns Polizisten aufgezeichnet hat. Warum und wieso? In dieser Sache wird immer noch durch Datenschutzbeauftragten des Landes Thüringen ermittelt. Den Überwachungsstaat will niemand in Deutschland, auch Polizisten wollen das nicht.

 

Noch eine Frage zum Schluss: Wie bewertet die Gewerkschaft die Haltung der Thüringer Landesregierung in der Abschiebepraxis? Schafft das Setzen auf eine freiwillige Ausreise nicht unnötige Probleme?


An diesem Punkt habe ich eine genauso klare Haltung - nämlich aus den gesetzlichen Gründen - wie in der Frage, ob die pauschale Handy-Überprüfung nicht die Grundrechte einschränkt. Für uns ist klar: Wenn die Voraussetzungen für einen positiven Ausgang eines Asylverfahrens nicht bestehen oder das Asylverfahren negativ abgeschlossen ist, dann ist der abgelehnte Asylbewerber zur Ausreise verpflichtet. Ich bin dafür, dass man ihm die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gibt. Doch wenn er dieser Möglichkeit nicht nachkommt, dann ist er abzuschieben. Da gibt es kein Wenn und Aber. Die Einstellung unserer linken Landesregierung ist moralisch vielleicht durchaus löblich, aber rechtlich ist sie falsch. Und dafür ist nicht die politische, sondern die rechtliche Sicht ausschlaggebend. Vermutlich sollte die Regierung besser über ein Einreisegesetz nachdenken, um Alternativen zum Asylverfahren anzubieten und so manche Menschen möglicherweise zu deutschen Staatsbürgern zu machen. Aber sie hat bisher nicht diejenigen Schritte getan, die dafür nötig wären.

 

Herr Christ, vielen Dank für das Interview.